Debatte Barack Obama: Präsident im falschen Land
Obama lässt nicht ab von seinem Run auf eine Mitte, die es nicht gibt. Die Vereinigten Staaten sind gespalten, vom Hass gequält - und nun ohne Hoffnungsträger.
D er Schriftsteller Norman Mailer sagte einmal sinngemäß: Der Charakter des Präsidenten bestimmt die Kultur der Nation. Mailer wuchs unter Franklin Roosevelt auf (und zog in den Krieg), unter Truman wurde er berühmt, war eine Ikone der Eisenhower-Ära und die Kennedys mochten ihn sehr. Johnsons Krieg in Vietnam lehnte Mailer ab; Nixon verabscheute er. All diese starken Präsidenten spalteten die Nation - und keiner ihrer Nachfolger (Ford, Carter, Reagan, Bush Senior, Clinton, Bush Junior) hatte je wieder ihren Einfluss.
Obamas Chronisten hatten sich ausgemalt, dass er die Dynamik der starken Präsidenten wieder ins Weiße Haus bringen würde. Seine multiethnische Familie, seine Zeit in Indonesien und in Hawaii, sein Studium an der Columbia und in Harward im intellektuellenNordosten, gefolgt von seiner Arbeit als Anwalt für Bürgerrechte im turbulenten Chicago und als Wahlkampfhelfer für Bill Clinton, all das ließ ihn auf einzigartige Weise geeignet erscheinen, das Land aus dem brutalen, imperialen Zeitalter in eine neue, multipolare Welt zu führen.
Perfekt für die multipolare Welt
1926 in New York geboren, lehrte als Professor für Soziologie an der Georgetown University und beriet Robert sowie Edward Kennedy. Er war Mitbegründer der New Left Review und arbeitet heute unter anderem für The Nation.
Es sollte nicht sein. Die Wählerallianz, die ihm seine cleveren Berater zusammengeschmiedet hatten, bestand aus Afroamerikanern, Latinos, asiatischen Immigranten, Frauen, Gewerkschaftern, der kritischen Intelligenzia und ausreichend Weißen aus der Arbeiterklasse. Übrigens: Was anderswo Arbeiterklasse heißt, bezeichnet man in den USA als Mittelschicht: Jeder gehört zu ihr, der weder wie rund 45 Millionen Amerikaner auf Lebensmittelmarken angewiesen ist noch Business-Klasse fliegt. Obamas Wahlkampfmanager gaben dieser Mittelschicht das Gefühl, zu einer neuen und aufregenden Bewegung zu gehören.
Leider brauchten die Demokraten anschließend eine Weile um fest zu stellen, dass - was immer Obama auch sein mochte - die Definition vom starken Präsidenten jedenfalls nicht zu ihm passte. In der Zwischenzeit wurden die für die Wirtschaftskrise von 2008 verantwortlichen Banken gerettet. Ein mittelgroßes Konjunkturpaket verhinderte den totalen ökonomischen Kollaps, doch gleichzeitig verloren Bundesstaaten und Städte die Federal Funds und konnten nun weder Dienste noch Arbeitsplätze anbieten. Die größeren Firmen häuften Reserven an, doch die kleineren bekamen keine Kredite mehr, um zu expandieren; der Wohnungsmarkt schrumpfte.
Und was machte Obama? Er konzentrierte sich auf die Gesundheitsreform. Die ist auf die Privatversicherten angewiesen, um die Absicherung auf vierzig Millionen zuvor ausgeschlossene US-Bürger auszuweiten. Der Plan wurde nur von wenigen verstanden, und zusammen mit der milden Behandlung der Banken entfachte er den Unmut einer Öffentlichkeit, die spürte, dass sie kaum ins Gewicht fiel.
Gleichzeitig machten jene, die die Wahl eines Afroamerikaners zum Präsidenten extrem unerfreulich fanden, sich die Lügen über seine vermeintlich unrechtmäßige Staatsbürgerschaft, seine Zugehörigkeit zum Islam und seinen "Sozialismus" zu eigen.
Versöhnung ohne Grundlage
Angesichts von so viel Hass und Unwissenheit scharten sich Obamas Unterstützer um ihn - und stellten schockiert fest, dass dieser die imperialen Feldzüge in Afghanistan und im Irak fortsetzte genauso wie den "Krieg gegen den Terror" mit seinen direkten Angriffen auf bürgerliche Freiheiten in den USA. Bei den Wahlen 2010 gingen nur noch 40 Prozent der Amerikaner wählen - im Unterschied zu 60 Prozent im Jahr 2008. Die Obamaanhänger blieben zu Hause.
Die Antwort des Präsidenten? Anstatt zu versuchen, seine ehemaligen Supporter erneut zu mobilisieren, bewegte er sich auf eine imaginäre "Mitte" zu. Gegenüber den feindseligen und aggressiven Republikanern erging er sich wiederholt in Gesten des Entgegenkommens, wenn nicht gar der Kapitulation. Dabei besitzen die nur eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, nicht aber im Senat.
Zudem hat Obama die Schuldenbekämpfung zu seiner Priorität erklärt und bietet substantielle Einschnitte bei Medicare, der Krankenversicherung für Senioren und der Sozialversicherung (unser Pensionssystem) an. Dabei sind die Umfragen eindeutig: eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet Maßnahmen, um die Beschäftigung auszuweiten und misst der Verringerung des Defizits nur sekundäre Bedeutung bei. An der Schwelle zu den Präsidentschaftswahlen 2012 hat Obama also sich und die Demokraten ihres schlagkräftigsten Arguments beraubt - nämlich, dass alleine die vollständige Kommerzialisierung des Daseins verhindern können.
Er hält sich für das kleinere Übel
Taumelnd akzeptierte eine demoralisierte demokratische Partei die Einrichtung einer parteiübergreifenden Kommission von Kongress und Senat, die sich auf Haushaltsreformen verständigen soll - ein offensichtlicher Verlust gesetzgeberischer Souveränität. Es gibt keine demokratischen Herausforderer für den Präsidenten, der offensichtlich glaubt, dass die Republikaner jemanden nominieren werden, der entweder so unqualifiziert oder so eng mit den räuberischsten Seiten des Kapitals verbunden ist, dass seine eigene Wiederwahl als wesentlich kleineres Übel erscheint.
Die Stimmen kritischer Demokraten waren laut und wehmütig. Zu den Erben des New Deal zählen rund 30 von 100 Senatoren und 85 von 435 Abgeordneten im Kongress. Sie erkennen jetzt, dass sie nicht eine Schlacht, sondern einen Bürgerkrieg verloren haben. Der neue Finanzkapitalismus (der Hedge Fonds, Derivate und obskuren Transaktionen) hat den Industriekapitalismus ersetzt, der uns einst eine prosperierende Arbeiterklasse gab. Weite Teile des Landes sind heute ökonomisch und sozial verwüstet.
Obama hat sich im Wahlkampf als Reformer präsentiert, aber wirkt auf viele, die besonders enthusiastisch waren, wie ein manipulativer Technokrat. Die amerikanische Elite, die ihn ins Amt gebracht hat und immer noch unterstützt, geht davon aus, dass die Art Proteste, die in London gewütet haben, zwar auch in den USA möglich wären, aber (wie in der Vergangenheit) erfolgreich eingedämmt werden könnten. Doch das könnte sich, wie so vieles andere, als Irrtum erweisen. Was die Kultur des Landes betrifft, so ist es zerrissen und gequält.
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