DIE WAHRHEIT: "Ich bin nur ein Mann!"
In dem kleinen Allerweltsörtchen Leutesdorf am Rhein befindet sich eines der unbekanntesten Forschungsinstitute Deutschlands. Geleitet wird der rheinische Thinktank ...
... von Enno Griebschütz, der sein unscheinbares Sprachlabor im hinteren Teil seiner Garage untergebracht hat. Zwar beschäftigt das winzige Sprachinstitut keine Mitarbeiter und wirkt auf den ersten Blick menschenleer und eher leblos, aber dafür ist der Institutsleiter umso quicklebendiger, als er uns zu einem Gespräch empfängt.
taz: Herr Griebschütz, wie fing das damals an mit Ihrer …
Enno Griebschütz: Es fing alles damit an, dass ich als Kind so oft den Evergreen von Willy Schneider mit anhören musste: "Ich hab den Vater Rhein in seinem Bett gesehn". Mir blieb nicht nur völlig rätselhaft, wie sich ein Fluss überhaupt in ein Bett legen konnte, sondern auch die sprichwörtliche Vaterschaft des Rheins. Eigentlich hätte man dann doch auch genauso von der "Mutter Donau" sprechen müssen!
Und haben Sie darauf mittlerweile eine Antwort gefunden?
Um ehrlich zu sein: nein! Dabei wimmelt es nur so von Verwandtschaftsbeziehungen im Deutschen oder, wie wir das wissenschaftlich nennen: Familingen. Wenn es auch keine "Mutter Donau" gibt, so doch die "Mutter Erde" oder "Mutter Teresa". Und dann kommt ja auch noch der "Vater Staat" dazu …
… nicht zu vergessen: "Väterchen Frost"!
Ja, eben! Das genau macht die Dinge so rätselhaft. Warum wird der Frost verniedlicht, der Staat hingegen nicht? Vermutlich setzt er den Menschen doch ärger zu als der Frost. Oder denken Sie nur an "Papa Heuß" …
… den ersten deutschen Bundespräsidenten.
Genau! Warum bloß hieß der "Papa" und nicht "Opa"?
Vielleicht weil dafür heute ein undurchsichtiger Trend- und Zukunftsforscher so heißt, nämlich "Opa Schowski" …
Kenn ich nicht! Aber die Kanzlerin wird "Mutti" genannt, obwohl sie gar keine Kinder hat. Da wäre nach meinem Dafürhalten eigentlich eher "Tante" sinnvoll.
Gibt es denn auch Tantenwörter im Deutschen?
Aber ja, die alte "Tante Ju", die Urmutter des Frachtflugzeugs, die nur leider auch zu Kriegszwecken missbraucht wurde.
Und wie steht es mit den anderen Familienbeziehungen im deutschen Wortschatz?
Meine zentrale These lautet: Weibliche Verwandtschaftsverhältnisse sind eher positiv, die männlichen meist negativ, zumindest fragwürdig. Ich nenne nur den "Bruder Leichtfuß" oder "Gevatter Tod", der sich manchmal sogar als "Freund Hein" bezeichnet. Alles unangenehme Männerbekanntschaften!
Sie grenzen sich also mit Ihrer Forschung entschieden gegen Nietzsche ab, der ja mit frauenfeindlichen Aphorismen nur so um sich gepeitscht hat?
Ja, so siehts aus, obwohl ich mit Philosophie eigentlich gar nichts am Hut habe. Ich bin ein Mann des Alltags und der Lebenspraxis. Als ich zum Beispiel vorgestern beim Stammtischskat ein "Omablatt" nach dem anderen hatte, hat mich alten Familinguisten das nicht groß verwundert.
Was halten Sie denn von dem "Vetter von Dingsda" aus der gleichnamigen Operette?
Um ehrlich zu sein, gar nichts! Ich habe nämlich herausgefunden, dass er nicht der Sohn von "Onkel Tom" und in dessen Hütte zur Welt gekommen ist. Im Gegenteil, sein Vater war "Uncle Sam" - und der hat ihn brutal ins Operettenland verstoßen.
Kann man Ihre Forschungsergebnisse auch im wirtschaftlichen Sinne nutzen?
Unbedingt! Warum gründen wohl erfolgreiche Unternehmen sonst "Tochterfirmen"? Da käme kein Chef auf die Idee, stattdessen ein "Sohnwerk" aus dem Boden zu stampfen. Und die Sektkellerei Söhnlein bleibt ganz allein mit ihren Flaschen.
Könnte man denn sagen, dass Sie mit Ihren Forschungsergebnissen dem Feminismus ein ganz neues Fundament liefern?
Ja, und das, obwohl ich nur ein Mann bin. Allein dieser Umstand dürfte die Unbefangenheit meines wissenschaftlichen Ansatzes belegen. Ich wills mal so sagen: Könnten Sie sich vorstellen, im Krankenhaus zu liegen und laut "Bruder! Bruder!" zu brüllen? Eben. Aber nach der "Schwester" rufen sie alle. Das sagt doch alles!
Enno Griebschütz, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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