Rechte und linke Gewalt: Alles ist gefährlich
Das Massaker von Oslo war nicht extremistisch: Es war pure rechte Gewalt. In der Bundesrepublik hat deren Verharmlosung mit Verweis auf Linke schon Tradition.
BERLIN taz | Als Journalist einfach mal Begriffe oder Wortfolgen durch die Suchmaschine zu jagen hat den professionell gleich niedrigen Stellenwert wie die berüchtigte Unterhaltung mit dem Taxifahrer. Trotzdem reden Journalisten natürlich mit Taxifahrern - in der heutigen Zeit meist, um ihnen den Weg zum gewünschten Reiseziel zu erklären; und sie benutzen Google: "Extremismus von links und rechts" ist zum Beispiel so eine Kombination, die 5.750 Ergebnisse bringt.
Ach, so wenig? Trotz Oslo, brennender Autos, Geert Wilders und Athener Chaoten? Das Rätsel ist schnell gelöst. Die Wortkombination hat einen kleinen, feinen Konkurrenten, und der geht so: "Extremismus von rechts und links" - und bringt 266.000 Ergebnisse. Natürlich kann man hier von einem Zufall sprechen, sozusagen als Pendant zur Einzeltäterthese im Fall Oslo; man kann sagen, so sei nun mal der Sprachgebrauch; man kann sich aber auch ein paar Gedanken machen, Spekulationen sozusagen. Keine Sorge: Wir werden hier nicht orakeln, dass ziemlich sicher Islamisten an allem schuld sind.
Wir vermuten Folgendes: Immer wenn in Deutschland und Europa Nazis oder sich anders definierende Rechtsextremisten Menschen erschießen, totprügeln oder verbrennen, wird im gleichen Atemzug vor einer bedrohlichen linksextremistischen Gewalt gewarnt und diese damit mit den Bordstein-Kicks der Rechten gleichgesetzt - obwohl in der Bundesrepublik der politische Mord von links seit der RAF aus der Mode gekommen ist. Und das ist ja nun schon eine Weile her.
Das hinderte Bundesinnenminister Friedrich (CSU) allerdings nicht daran, bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutzberichtes zu äußern: "Wir haben zwar mehr gewaltbereite Personen in der rechten Szene. Betrachtet man aber die Straftaten, bei denen tatsächlich Gewalt angewandt wird, stellt man fest: Sie werden mehrheitlich von Linksextremisten verübt." Von 1990 bis 2010 haben nach Recherchen der Zeit und des Tagesspiegels mindestens 137 Menschen ihr Leben durch Angriffe rechtsextremer Täter verloren.
Solidarisierung mit dem Mob
Die Verharmlosung hat Tradition. Als im August 1992 das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Gange war - das als Negativsymbol für das wiedervereinigte Deutschland um die ganz Welt ging -, kam auch der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) in die Gänge. Er solidarisierte sich mit dem Mob - indem er, was er tat, in Politikersprech brachte: "Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierbaren Zustrom in unser Land bekommen haben." Die SPD, damals unter Lafontaine, fand das so verkehrt nicht. Das Asylrecht wurde in einer Gemeinschaftsaktion faktisch abgeschafft.
Seiters legte aber noch einen drauf, denn doppelt hält besser: Er fabulierte einfach mal, in Rostock sei es zum ersten Mal zu "einer Zusammenarbeit von Autonomen und Rechtsradikalen" gekommen: "Extremismus von rechts und links" eben oder, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann es in seiner unnachahmlich altfränkischen Art am Montag im Deutschlandfunk sagte: "Wir haben in den letzten Jahren natürlich ständig linksextremistische Gewalt in unserem Land." Genau. Richtig. Selbstverständlich, führte Herrmann weiter aus, "müssen wir jede Bedrohung und jede Form von Extremismus scharf beobachten und so gut wie irgend möglich auch bekämpfen".
Man stelle sich vor, Angela Merkel hätte in ihrem ersten Pressestatement nach Fukushima nichts Besseres zu tun gehabt, als in einem Aufwasch vor den durchaus vergleichbaren Gefahren zu warnen, die von Kohlekraftwerken ausgehen.
Es ist der Rechtsextremismus - und zwar der historisch verwurzelte -, der die größte Gefahr für alle Europäerinnen und Europäer darstellt. Die deutsche Politik muss endlich aufhören, einen Popanz linker Gewalt aufzubauen.
Oder wie es kürzlich auf einer Party zu hören war: Wenn die Autonomen die KZs betrieben hätten, wäre man höchstens am veganen Essen gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen