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Debatte Politische Teilhabe im NetzDemokratie auf Augenhöhe

Kommentar von Franziska Heine

Politische Teilhabe im Netz beschränkt sich nicht auf Facebook und Online-Petitionen. Es geht viel mehr um Diskussion, Organisation und Transparenz.

W er behauptet, politische Partizipation im Internet bestünde hauptsächlich darin, eine Stimme per Klick abzugeben und damit der Demokratie zu schaden, macht es sich sehr einfach.

Zum einen handelt es sich bei den meisten digitalen Unterschriftensammlungen um weitaus mehr als einen Klick. BenutzerInnen müssen ihre persönlichen Daten preisgeben, um sich ein Konto einzurichten und stehen dann oft für alle sichtbar mit ihrem (Real)Namen hinter einer politischen Forderung. Dagegen ist die analoge Unterschriftensammlung schnell, unkompliziert und nicht öffentlich.

In der Tat schwierig ist, dass es inzwischen unterschiedliche Möglichkeiten gibt, online für ein und das selbe Thema abzustimmen. Wenn man seine Stimme bei Facebook oder auch campact! abgibt, kann man nicht davon ausgehen, dass sie irgendeine Relevanz in der parlamentarischen Diskussion haben wird.

Bild: wikimedia
FRANZISKA HEINE

(31), engagiert sich im //ak-zensur.de/:AK Zensur, war in verschiedene Onlineprojekte wie der Petition gegen Netzsperren involviert und hat in den letzten zwei Jahren viele Erfahrungen mit digitaler und analoger direkter Demokratie sammeln können. Die Petition gegen Netzsperren hat die bislang größte Zahl an Petenten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erreicht.

So ist es durchaus als kontraproduktiv zu bewerten wenn campact! über zweihunderttausend Unterschriften sammelt, die bei einer Onlinepetition an den Deutschen Bundestag eher Auswirkungen auf die parlamentarische Politik gehabt hätten. Sie sind nicht mehr als ein symbolischer Akt ohne Wirkung. Menschen die dort ihre Stimme hinterlassen haben, werden nur in den seltensten Fällen bereit sein für dieselbe Sache noch einmal online zu unterschreiben.

Digitale politische Partizipation

Aber seit wann ist digitale politische Partizipation in erster Linie das Unterschreiben von Petitionen? Das was das Netz zu DEM Werkzeug der außerparlamentarischen Opposition macht, ist mit Sicherheit nicht der Like-Button. Es sind Vorgänge, wie die folgenden:

Mark Schmitt in Buxdehude liest bei Twitter eine Nachricht von Rita Lehmann auf der Schwäbischen Alb und stellt fest, dass er gar nicht der Einzige ist, der sich für XY einsetzt. Sie tauschen in Blogposts Argumente für ihre Position aus, erzählen wie sie dazu gekommen sind. Sie werden mit Kommentaren von Menschen konfrontiert, die absolut dagegen sind.

In der Auseinandersetzung mit diesen "Gegnern" lernen sie ihre Argumente zu schärfen und zu erweitern. Sie üben sich darin, den politischen Gegner von ihrer Position zu überzeugen, seine Argumente zu entkräften und finden über ihre öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema immer mehr Leute, die so denken wie sie. Sie beginnen sich zu organisieren, legen Mailinglisten an und Dokumente, die sie kollaborativ bearbeiten können, sie gestalten Kampagnen-Webseiten. Ihre Arbeit wird zunehmend differenzierter.

Darin liegt die Stärke des Netzes als Werkzeug politischer Partizipation: es lassen sich Beziehungen zu Gleichgesinnten knüpfen, es ist eine Debattenplattform die Jedem und Jeder mit einem Internetzugang offen steht. Unabhänging von Zeitungen und anderen Medien lassen sich hier innerhalb kurzer Zeit sehr viele Menschen erreichen und Meinungen bilden.

Die oft in Online-Kontexten vorhandene Frustration über das in Deutschland herrschende politische Klima kommt nicht davon, dass mal ein Politiker nicht schnell genug auf Twitter antwortet oder dass eine Frage auf Abgeordnetenwatch mit einer Standardantwort abgespeist wird. Nein, frustrierend wird es, wenn Argumente ignoriert werden von Politikeren in Parlamenten oder Funktionären in Ministerien. Onlineaktivisten tragen die Ergebnisse der Debatten, die im Netz geführt werden, dorthin. Dabei erleben sie, wie Entscheidungen trotz besseren Wissens getroffen werden. Hier entsteht Frustration!

Transparenzmaschine Netz

Das Netz ist eine Transparenzmaschine. Die abgeschottete parlamentarische Demokratie wird durchsichtig, wo Bürger bei öffentlichen Ausschusssitzungen präsent sind, das Geschehen kommentieren und im Netz sichtbar machen. Wie sehr Politiker diese Öffentlichkeit fürchten, erfuhr die Partei Die Linke vor einigen Tagen, als die Bundesregierung ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Verschlusssache erklärte. Als Begründung diente das "[...] veränderte Nutzerverhalten bezüglich öffentlich zugänglicher Publikationsmedien, wie dem Internet [...]".

Der Druck auf Politiker wächst. Sie müssen erklären, warum sie Entscheidungen treffen, die sie selbst für falsch hielten. Oft genug wollen oder können sie es nicht - hier entsteht Frustration! Durch die Analyse der im Netz befindlichen Informationen wird offenbar, dass einige Politiker ihre Zeit weniger in Sitzungen als bei bezahlten Vorträgen und Veranstaltungen der Wirtschaft verbringen. Sie können sich nicht mehr hinter ihren Doktortiteln verstecken, auch hier funktionieren die Werkzeuge des Internets besser als jeder Untersuchungsausschuss. Die Menschen fühlen sich von den gewählten Volksvertreten belogen und hintergangen - hier entsteht Frustration!

Der versierte Umgang mit den digitalen Werkzeugen ist eine "Privilegiertenveranstaltung". Der versierte Umgang mit digitalen Werkzeugen braucht Wissen, Zeit und eine technische Infrastruktur - man muss es sich leisten können. Die, für deren Rechte in der parlamentarischen Demokratie kaum einer kämpft, haben es auch im Digitalen schwerer. Wir haben die Verantwortung, sie in unsere Netzwerke hineinzuholen, unsere Knoten bewusst so zu knüpfen, dass die, deren Stimmen leise sind, nicht auch hier durch die Maschen fallen.

Wie machtvoll das Netz als politisches Werkzeug sein kann, hat die Tunesische Revolution bewiesen. Wie die Bloggerin Line Ben Mhenni in ihrem Buch "Vernetzt euch!" beschreibt, waren es die Onlineaktivisten, die das sichbar gemacht haben, was von allen Medien totgeschwiegen wurde. Trotz massiver staatlicher Zensur haben sie gezeigt, was auf den Straßen und Plätzen passierte: die Willkür der Polizei, die Lügen des Präsidenten Ben Ali, aber auch den Mut und die Entschlossenheit, die in der Bevölkerung wuchs, dies nicht länger hinzunehmen. Sie haben für viele Menschen sichtbar gemacht, was nur wenige Jahre zuvor beim Kampf der Bergbauarbeiter in Gafsa fast im Verborgenen geschah und so zu seinem Scheitern führte.

Das Unterdrückte, das Verborgene sichbar zu machen, um eine Demokratie auf Augenhöhe zu ermöglichen, das ist das Potenzial digitaler Werkzeuge. Nicht aus dem Glauben heraus, dass Politiker grundsätzlich gegen Bürger und für wirtschaftliche Lobbyverbände und die eigene Tasche arbeiten, sollten wir für die Freiheit im digitalen Raum kämpfen. Sondern weil wir damit selbst unsere Ideale und Visionen einer besseren Gesellschaft für alle verwirklichen können.

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7 Kommentare

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  • A
    antiantiantianti

    Sehr geehrte Frau Heine,

    zu meinem Unglück bin ich ein kritisch denkender Mensch der schon des Öfteren darauf hingewiesen hat, dass man Themen nicht kategorisch anderen Parteien oder politischen Richtungen überlassen sollte. Man muß meiner Meinung nach über alles reden können und mit sachlichen Argumenten und einem gefestigten moralischen Standpunkt diese dann auch vertreten.

    Dennoch mußte ich feststellen, dass dies bei der taz nicht möglich ist, wenn man zum Beispiel die Stellung der Frau in Religionen kritisiert.

     

    Warum?

  • A
    Amir

    fangt einfach an, den Kapitalismus abzuschaffen, wie soll es sonst demokratischer werden können? Die Lorbeeren gibt es eben nur für ein paar ganz tolle Hechte, die entsprechend gut getarnt auch ihre (Wirtschafts-) Macht sichern müssen.

    Es liegt nicht allen, jeden Tag stundenlang im tollen Netz zu hängen und wichtige Sachen zu erledigen. Und Campact bekommt meine Stimme gerne, ich finde sie geben sich hier die größte Mühe, zu enttarnen, provozieren, miese geheime Pläne offenzulegen. Und das im Realen!

  • M
    Michael

    Ich finde ja, die wirkungsvollsten Abstimmungen im Netz finden immer noch bei Ebay statt.

  • T
    traktator

    ....wer hier richtig hacked ist in England zu sehen und was glaubt Ihr denn wer als Erster an der Wand steht wenn die Regierungen in Europa ihren Wissensvorsprung anwenden?

    Ich weiß jetzt schon das ich für Petitionenszeichnung erkennbar für die Regierung bin. ...und wie schnell kann die Wechseln, siehe DDR,...

    Mit den "Ausnahmezustandsgesetzen" (wahrscheinlich) werde ich automatisch als Querulant eingestuft.

    Die Geldwirtschaft macht es vor; z.B. SCORE...Demokratie-Score? Wer nix zu verbergen hat?

    Wir sind doch demokratisch?

    UNDERGROUND IS ANDERS ...

  • J
    JML

    Träumen Sie weiter, Frau Heine....

  • N
    Nico

    Eine sehr interessante Analyse!

     

    [und jetzt, fanatische Google-Feinde, haltet euch die Ohren bzw. Augen zu]

     

    Ich freue mich schon darauf, wenn Google+ für alle offen wird. Dann wird das sich-vernetzen noch viel mehr Spaß machen als auf Facebook!

  • T
    teekay

    Naja, irgendwie liest sich der Artikel so, als ob er vor 10 Jahren geschrieben wurde. Das Netz veraendert den politischen Diskurs und Politiker werden sich an diese neue 'ausserparlamentarische Opposition' gewoehnen muessen. Ein paar Online-Petitionen und ein bisschen Blogosphaere spaeter gibt es erstmal viel Ernuechterung. Der Politikbetrieb hat gemerkt, dass ihm durch 'politische Teilhabe' im Netz keine Gefahr droht. Sind halt ein paar Leute frustriert und gehen nicht waehlen. Es gibt immer 100% abgegebene Stimmen und da sind immer noch genug fuer die Parteien uebrig. 'Ja, aber Stuttgart 21...'. Sieht man mal wie wenig WAHLBERECHTIGTE uberhaupt Gruene gewaehlt haben dann ist das schon ein Grund zum Nachdenken. Der politische Betrieb hat ueberhaupt keine Diskussions- und Sanktionsmoeglichkeiten '2.0'-und die meisten Abgeordneten finden das auch gar nicht schlecht. Im Moment ist Teilhabe im Netz klicken eines Buttons. Wenn 100.000 in Berlin gegen Netzsperren demonstrieren und es einen 45sekuendigen Beitrag in der Tagesschau gibt wird sich vielleicht etwas aendern-bis dahin frohes 'Argumente austauschen' in Blogs...