Landsmannschaft Schlesien: Jahrestreffen der Geschichtsklitterer
Der Chef der Landsmannschaft Schlesien will eine Entschuldigung von Polen. Und lässt sich wieder zum Revanchismus hinreißen. Der Ministerpräsident verlässt daraufhin die Halle.
Der Applaus folgte auf den Worten des Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka sofort: "Ich warte auf eine Geste aus Polen." Die Ungarn hätten sich offiziell für die Vertreibung der Deutschen entschuldigt, die USA bei den Indianern, die Kanadier bei den Eskimos und die Australier bei den Aborigines, sagte er bei der Eröffnung des "Deutschlandtreffens" der Landsmannschaft Schlesien am Samstag in Hannover.
In der Münchner Halle des Messegeländes waren nicht alle Plätze belegt. Über 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung rückt das Lebensende der Mitglieder immer näher. Allein in Hannover hatten sich nach 1947 bis zu 70.000 Schlesier angesiedelt. Bis zum Ende des Treffens unter dem Motto "Für Schlesiens Zukunft" wurden an die zehntausend Besucher erwartet.
Vor den Gästen versicherte Pawelka, dass sie als Schlesier Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland seien - um aber gleich von Polen weitere Anstrengungen zur Aussöhnung zu fordern sowie die Rückgabe von Beutekunst und die Förderung der deutschen Kultur. Zuvor hatte unter großem Applaus Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gesagt: "Ich weiß, dass Sie mit Revanchismus nichts zu tun haben." Die Vertriebenen hätten schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Zeichen der Versöhnung gegeben, indem sie auf "Rache und Vergeltung" verzichteten.
Schlesierschild für den Innenminister
Als Freund der Schlesier wurde Schünemann nicht bloß begrüßt, als Förderer wurde er auch geehrt. Die höchste Auszeichnung der Landsmannschaft, den Schlesierschild, erhielt der Minister für seine "freundschaftliche Verbundenheit und Unterstützung", wie Michael Pietsch, Präsident der Schlesischen Landesvertretung, ausführte. Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der Linken-Landtagsfraktion wies indes darauf hin, dass das Land diese "dubiose Veranstaltung" mit 50.000 Euro unterstütze, obwohl es dort "immer wieder zu revanchistischen Äußerungen kommt".
Ein Vorwurf, den Schünemann auch mit dem Verweis auf die Beendigung der Zusammenarbeit mit der "Schlesischen Jugend" (SJ) nicht gelten lässt. Im April hatte die Landsmannschaft sich von ihrer Bundesjugendorganisation wegen rechtsextremer Unterwanderung getrennt. "Sie haben sich als demokratische Patrioten bewährt", lobte Schünemann unter weniger Applaus den Rauswurf. Die Entscheidung schien aber vor allem dem öffentlichen Druck geschuldet zu sein.
Einer, der früher immer zum Schlesier-Treff gekommen ist, heißt Gernod Kresse - 2011 ist er hier unerwünscht. Von 2006 bis 2009 war er SJ-Bundesvorsitzender - bis ihn Rechtsextreme absetzten. Schon vor dem Putsch hatte er den Vorstand der Landsmannschaft, die Polizei und auch das Innenministerium über den Einfluss von Rechtsextremen in der SJ informiert. Bis heute hätten ihm in der Landsmannschaft das einige nicht verziehen. Sagte er doch bevor es opportun schien, dass "Nazis" die Bundesführung übernommen hatten.
Landsmannschaft reagierte spät
Kresse selbst sagt, dass er nicht gerade ein Linker sei, doch dieses "NS- und Hass-Getöse geht zu weit, wenn ich da nur an die Kinder denke, die dem ausgesetzt sind". Selbstkritisch sagt er: "Ich muss mir eingestehen, das selbst zu spät gemerkt zu haben und eben auch zu spät gehandelt zu haben." Erst als im April 2011 erste Presseberichte folgten, reagierte die Landmannschaft.
Vor der Messehalle in Hannover verteilte die SJ um ihren neuen Chef Fabian Rimbach nun am Wochenende das rechtsextreme Wochenblatt "Der Schlesier", inklusive ihres Infoblattes, in dem sie schreiben, dass die "Führung der Landsmannschaft" vor einen Medienkampagne "rückgratlos" eingekickt sei.
Drinnen kommt es am Sonntag dann doch noch zum Eklat. Als der Landsmannschaftschef über eine polnische Beteiligung am Holocaust redet, verlässt Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) den Saal. Sein Vorgänger Christian Wulff war da schlauer. Aus Sorge vor revanchistischen Tönen ging er immer schon vor Pawelkas Reden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“