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Reissen und StossenVon Helden und starken Trotteln

Es geht um einen Eisenstemmer mit Stalin-Tattoo, der ein Depp ist. Ein anderer ist ein Trottel, ein weiterer ein Held - Romane über Gewichtheber unter der Lupe.

S ogar Stalin hat ihm gratuliert. Fikret Schotman hatte bei den Europäischen Spielen 1932 in Wien die Silbermedaille im Gewichtheben gewonnen, und der Herrscher hatte ihm die Hand gedrückt. Darauf war der Sportler sein Leben lang stolz. Auch als es im Zuge der großen Säuberung als trotzkistischer Verschwörer verurteilt wird, glaubt er weiter an das Gute in Stalin, dessen Antlitz er sich an dem Tag auf seinen Oberarm hat tätowieren lassen, als Zarizyn in Stalingrad umbenannt wurde.

Nicht gerade mildernd auf die Höhe der Strafe wirkt sich aus, dass die Narbe einer Verbrennung auf seinem Bizeps so aussah, als habe Schotman die Tätowierung regelrecht durchgestrichen. Nach wochenlanger Folter in den Kellern der Geheimpolizei bekennt sich Schotman vor Gericht schuldig und marschiert beinahe stolz in die jahrelange Lagerhaft, wo er auf den gebrochenen Dichter Ossip Mandelstam trifft, der verzweifelt, todkrank und völlig ausgehungert in seinen Armen stirbt.

Der Gewichtheber, den der amerikanische Schriftsteller und Agententhrillerausdenker Robert Littell in seinen Roman "Das Stalin-Epigramm" (Arche Literatur Verlag 2009) zu Wort kommen lässt, ist ein naiver Depp. Mit den Dichtern und Denkern, auf die er im Roman trifft, kann der brave Trottel nicht mithalten.

Bild: taz
Andreas Rüttenauer

ANDREAS RüTTENAUER ANDREAS RÜTTENAUER ist Sportredakteur der taz.

Gewichtheberliteratur - ein eher stiefmütterliches Genre

Über Gewichtheber wird gewiss selten geschrieben in der schönen Literatur. Für die Szene der Stoßer und Reißer dürfte es daher umso ärgerlicher sein, dass jener Fikret Schotman, den sich Robert Littell da vor Kurzem ausgedacht hat, so ein dämliches Kerlchen ist.

Hat es Colin McAdam besser gemacht? Der hat einen durchaus beachteten Roman geschrieben, in dem einer der zwei Protagonisten, so steht es im Klappentext, ein "Gewichtestemmer" ist. In "Fall" (Wagenbach 2010) verbringt der junge Noel viel Zeit im Kraftraum des kanadischen Nobelinternats, in dem er sich in dasselbe Mädchen verliebt hat wie sein Zimmergenosse Julius. Der Pennäler - einmal wird er im Buch tatsächlich als Gewichtheber bezeichnet - will seinen schmächtigen Körper ein wenig breiter machen, damit er mithalten kann mit Julius, dem lässigen Fußballspieler.

Das hilft dem Klemmi zunächst gar nichts. Vor allem, was den Umgang mit Mädchen betrifft, ist auch dieser literarische Gewichtheber ein Trottel. Immerhin ist er kein Volldepp. Noel kann sich gut ausdrücken, liest und schreibt gern. Dass eine Beziehung zu einer jungen Frau, die er im Kraftraum kennenlernt, hauptsächlich deshalb scheitert, weil er nicht daran gedacht hat, zum ersten Rendezvous eine Flasche Schnaps mitzubringen, kann das nachdenkliche Diplomatensöhnchen nicht verstehen.

Littells und McAdams Gewichthebern ist eines gemein. Sie sind komische, schwer zu verstehende Typen, die etwas machen, was für die Autoren offenbar auch schwer zu verstehen ist: Gewichte stemmen. Es gibt gewiss nicht wenige Menschen, die das Gewichtheben als Sportart merkwürdig finden. Die nichts anfangen können mit den Typen, die, auf dicken Elefantenbeinen stehend, ein Vielfaches ihres Körpergewichts in die Höhe stemmen.

Pfundskerl Matthias Steiner

Und doch war es ausgerechnet ein Gewichtheber, der bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking für einen der emotionalsten Momente gesorgt hat. Matthias Steiner, Diabetiker und Goldmedaillengewinner im Schwergewicht, heulte wie ein Schlosshund bei der Siegerehrung und hielt das Foto seiner bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Frau in die Kameras.

Der Roman seines Lebens, der Steiner von Österreich nach Zwickau geführt hat, wurde auf der ganzen Welt nacherzählt. Es gibt ihn schon eine Weile auch in Buchform. "Das Leben erfolgreich stemmen" (MVG 2009), heißt die Autobiografie, die das Autorenduo Gerda Melchior/Volker Schütz ("Sie wollen von Bestseller-Autoren Ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben haben?") für den 28-Jährigen geschrieben hat. Es ist eine Helden- und keine Trottelgeschichte.

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Andreas Rüttenauer
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