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HiroshimaHideto Sotobayashi und die Bombe

Mit 16 Jahren erlebte Hideto Sotobayashi den Abwurf der Atombombe in Hiroshima. Heute erzählt der Chemiker, der seit 50 Jahren in Berlin lebt, zum ersten Mal von jenem Tag - damit die Katastrophe nicht in Vergessenheit gerät.

Nach der Bombe: Hiroshima Bild: AP

An einem Tisch vor der langen Bücherfront im Büro der Deutsch-Japanischen Gesellschaft sitzt Hideto Sotobayashi. Der 78-jährige Japaner sucht mit zittriger Hand Unterlagen in einem Hefter. Konzentriert schaut er durch seine Lesebrille. Am heutigen Donnerstag wird er zum ersten Mal vom schlimmsten Tag in seinem Leben erzählen. Sotobayashi überlebte den Abwurf der Atombombe über Hiroshima. "Ich möchte, dass die Menschen nicht vergessen, wie tragisch und verheerend eine Atombombe ist", sagt der emeritierte Professor für physikalische Chemie mit leicht gebrochenem Deutsch. Mit 28 Jahren kam er als Stipendiat nach Berlin. Seitdem lebt er hier.

Mit ruhiger Stimme erzählt er von jenem Tag, dem 6. August 1945: "Hunderte Flugzeuge kreisten seit sechs Uhr morgens über der Stadt. Die Menschen waren in Alarmbereitschaft." Später wird die Warnung aufgehoben, die Menschen strömen in die Stadt, zur Zwangsarbeit. Auch Sotobayashis Mutter und er selbst, der als Eliteschüler während des Zweiten Weltkrieges weiter lernen durfte, machen sich auf den Weg in die Innenstadt. 15 Minuten später fällt die Bombe.

"Es fällt mir nach so vielen Jahren noch immer schwer, darüber zu sprechen." Für einen Augenblick hält Sotobayashi inne. Seine Augen füllen sich leicht mit Tränen. "Ich war 16 und saß mit 23 anderen Schülern im Chemieunterricht, als auf einmal dieser grelle Blitz kam und dann der ungeheuerlich laute Donner folgte. Danach fiel das Schulgebäude in sich zusammen." Sotobayashi ist nur 1,5 Kilometer von der Detonation entfernt. Erst einige Zeit später kommt er wieder zu sich, begraben von Schutt und Asche, aber unverletzt. Er blickt sich um, doch nichts von dem, was ihm vertraut ist, ist erhalten. Kleine Feuerherde breiten sich aus. "Ich wusste, ich muss fliehen. Sonst wäre ich verbrannt." Sotobayashi blickt nachdenklich zur Seite. Für einen Moment ist er ganz bei seinen Erinnerungen. Dann spricht er weiter: "Als ich zuhause ankam, empfing mich mein Vater, der seinen Dienst an diesem Tag später anfangen wollte. Wäre die Bombe nur eine halbe Stunde später gefallen, wäre mein Vater auch im Zentrum gewesen." Von seiner Mutter fehlt jede Spur. Vater und Sohn begeben sich auf die Suche nach ihr. Die Bilder auf dem Weg ins Zentrum von Hiroshima brennen sich in Sotobayashis Gedächtnis. "Ich sah eine Frau, die ihr totes Kind in ihren Armen hielt, Menschen, deren Haut vom Körper herunterhing, Tote überall. Und Verletzte, die nach meinen Füßen griffen." Mit plastischen Gesten untermalt Sotobayashi seine Erzählung.

Vater und Sohn hoffen, die Mutter im Rotkreuz-Krankenhaus zu finden. Das ist überfüllt, hunderte Verletzte liegen in den Gängen und Zimmern. "Im letzten Zimmer haben wir sie gefunden. Das Feuer griff gerade auf diesen Raum über", erzählt Sotobayashi. Mit seinem Fahrradanhänger bringen sie die Mutter nach Hause. Drei Tage später stirbt sie. "Aber es war gut, sie zu finden. Wir waren glücklich, sie bis zu ihrem Tode pflegen zu können. Wir bauten ihr einen Sarg, betteten sie und äscherten sie auf einem Acker ein." Viele Freunde kommen in den nächsten Tagen zu ihnen, scheinbar unversehrt. Doch bald zeigen sich Haarausfall, Zahnfleischbluten und andere Symptome der Strahlenkrankheit. Viele sterben noch im August. "Danach sind wir sind weggezogen. Wir wussten nicht, ob wir hier noch leben können." Wieder sucht er nach Worten. "Die Leute, die nicht in Hiroshima waren, sahen uns als Aussätzige an. Wir waren geächtet." Doch die Situation entspannt sich und seine Familie kehrt zurück. Nach einer Weile besucht er eine Schule in der nächsten Stadt, später studiert er physikalische Chemie in Kioto.

Die Wahl seines Studienfachs hat jedoch nichts mit seiner Erfahrung zu tun, sagt er. Im Gegenteil: Nie wollte er etwas mit radioaktiven Stoffen zu tun haben, aber "am Ende ist mir es mir doch passiert". Denn während seiner Zeit an der Freien Universität Berlin beschäftigte er sich vor allem mit Polymeren und kam dabei auch mit dem Thema Radioaktivität in Kontakt. Zudem veröffentlichte er in Japan ein Buch über die Geschichte der Atomenergie in Deutschland.

Nach Hiroshima fährt er auch heute noch einmal jährlich. Nicht, um sich zu erinnern, sondern um die kostenlose Krankenversorgung zu nutzen, die Japan für die Opfer von Hiroshima eingerichtet hat. Er selbst hat außer seinem Diabetes nie gesundheitliche Folgen davongetragen. "Ich bin mir meines Glücks bewusst."

Sotobayashi ist ein zufriedener Mensch. Ein Mensch, der etwas hinterlassen möchte. Deshalb wünscht sich ein Denkmal am Hiroshimaplatz in Potsdam - unweit jener Villa, wo im Sommer 1945 die Viermächte-Konferenz tagte und der damalige US-Präsident Harry S. Truman vermutlich den Befehl zum Bombenabwurf gab. Ein Denkmal zur Erinnerung, zur Warnung.

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