Fall "Verena Becker": "Die Sola war es, die geballert hat"
Das Hamburger Institut für Sozialforschung präsentiert einen neuen Zeugen zum Buback-Mord. Es ist der ehemalige Chefreporter der "Bild"-Zeitung, Nils von der Heyde.
HAMBURG taz | Zu erwarten war ein Paukenschlag, entsprechend gespannt folgte man der Einladung des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu einem Pressegespräch über neuste Erkenntnisse im Fall des früheren RAF-Mitglieds Verena Becker. Die 58-Jährige muss sich derzeit in Stammheim einem Verfahren stellen, in dem ihr Mittäterschaft an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback am 7. April 1977 vorgeworfen wird.
Wolfgang Kraushaar, einer der führenden Institutsmitarbeiter, hatte schon in seinem Buch "Verena Becker und der Verfassungsschutz" dargelegt, dass diese nicht erst während ihrer Haftzeit Anfang der 1980er Jahre, sondern bereits vor dem Buback-Attentat für den Geheimdienst tätig gewesen sein soll. Einen hieb- und stichfesten Beweis blieb er, ebenso wie Bubacks Sohn Michael, der im Verfahren als Nebenkläger auftritt, bisher schuldig. Beide gehen anders als die Bundesanwaltschaft zudem davon aus, dass Becker vom Soziussitz des Motorrads die tödlichen Schüsse auf Buback und zwei Begleiter abgab.
Doch am Montagnachmittag ziehen die beiden ein Ass aus dem Ärmel. Es handelt sich dabei um den ehemaligen Journalisten Nils von der Heyde, 1977 Chefreporter bei Bild und enger Freund des inzwischen verstorbenen Christian Lochte, damals Abteilungsleiter, später Präsident des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz. Da einem Antrag auf Zulassung als Zeuge im derzeit laufenden Verfahren bisher nicht stattgegeben worden sei, hat von der Heyde beschlossen, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden.
Durch Verfassungsschutzmann Lochte will er am Tag nach dem Attentat per Telefon erfahren haben, dass "es die Sola war, die geballert hat" - "Sola" war Verena Beckers Tarnname aus ihrer Zeit bei der Bewegung 2. Juni zu Beginn der 1970er-Jahre.
Zur Erinnerung, und weil dies nicht nur für Kraushaar und Buback den Verdacht nährt, etwas sei faul an den Ermittlungen zum Fall: Nach Verena Becker wurde wegen des Buback-Attentats nicht gefahndet, und als man sie einen Monat danach zusammen mit Günter Sonnenberg festnehmen konnte, wurde, obwohl sie die Tatwaffe bei sich trug, nicht etwa Anklage in dieser Sache gegen sie erhoben. Verurteilt wurde sie Ende 1977, weil sie bei der Festnahme wild um sich geschossen und zwei Polizisten schwer verletzt hatte.
Kurze Zeit nach dem Telefonat fanden die Herren Lochte und von der Heyde, die auch über ein gemeinsames Buch zu dem sie faszinierenden Thema "RAF-Tanten" nachdachten, im privaten Rahmen Gelegenheit, ihr Gespräch fortzusetzen.
Und dann zitiert er den Wortlaut seiner nach über 30 Jahren niedergeschriebenen Erinnerungen: "Lochte zu mir: "Ich war erschüttert, als ich das Ganze hörte. (…) Erschüttert, weil ich fest glaubte, der Meier (Richard Meier, damals Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, die Red.) würde sie kontrollieren, er hätte sie im Griff." / Ich, noch etwas ungläubig: "Was, sie hat für euch gearbeitet?" / Lochte, beinahe lakonisch: "So ist es." / Ich hakte nach: "Wie lange schon?" / Lochte: "Mindestens seit einem Jahr."
Gefragt, warum er denn erst jetzt mit seinem brisanten Wissen herausrücke, beruft sich von der Heyde auf seine Verschwiegenheitspflicht dem Freund gegenüber. Im Dunkeln bleiben indes weiterhin Lochtes Quellen.
Auf Nachfrage sagt von der Heyde, er wisse von keinen schriftlichen Aufzeichnungen des obersten Hamburger Verfassungsschützers. Damit dürfte es ein Leichtes sein, sein "Erinnerungsprotokoll" ins Reich der Legenden zu verbannen - sei es in Stammheim oder vorm Gericht der bürgerlichen Printmedien, wo es schon Kraushaars Buch nicht leicht hatte.
Ob oder ob nicht staatliche Organe eine "schützende Hand" (Michael Buback) über Verena Becker hielten und wie sehr der Verfassungsschutz in die Attentate des heißen Jahrs 1977 verstrickt war, ob es sich mithin um eine "verschleppte Staatsaffäre" (Wolfgang Kraushaar) handelt, kann nach allem, was derzeit bekannt ist, immer noch nicht entschieden werden.
Schaden kann die Hartnäckigkeit, mit der Buback und Kraushaar wieder und wieder ihre Thesen ins Gespräch bringen, angesichts von vernichteten Akten zum Fall Buback in erheblicher Menge aber sicher nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland