Arm, aber Iglu: Der Obdachlose mit Starappeal
Im Kiez ist Horst Holtfreter bekannt wie ein bunter Hund, seit er vorigen Winter am Nollendorfplatz ein Iglu gebaut hat. Jetzt gräbt er eine Höhle.
Bekleidet mit einer quietschrosafarbenen Mütze und einer blauen Regenjacke steht Horst Holtfreter trotz eisiger Temperaturen an seinem Stammplatz am Nollendorfplatz. Freundlich lächelt er den Passanten zu und lauscht der Musik, die aus seinem Radio ertönt. Das Angebot, unser Gespräch bei einer heißen Tasse Kaffee im Café zu führen, schlägt er bescheiden ab.
Holtfreter ist der wohl berühmteste Obdachlose in Berlin. Unzählige Interviwes hat er im vorigen Winter wegen seines Iglus gegeben. Auch in diesem Jahr kommen ständig Journalisten, die sich nach seinem neuesten Bauwerk erkundigen. Holtfreter erklärt, dass er es am Freitag beginnen will. Anders als im Vorjahr soll das Bauwerk nicht gegenüber vom Eingang des U-Bahnhofes entstehen, sondern zwischen dem Schwulen-Denkmal und dem Baum links davon.
Für den Bau hat sich Holtfreter eine Schaufel und einen Einkaufswagen besorgt, der die Funktion eines Schubkarren erfüllt. Die architektonische Idee seiner "Höhle" ist gewagt: Einen Meter hoch hat er den Schnee schon angehäuft. "Wenn das Ding hier die richtige Höhe hat, schlage ich ein Loch hinein und höhle das aus." Anschließend will er die Höhle mit Pappe auslegen, damit es nicht so kalt ist, erzählt er. Auf die Frage, ob er denn auch darin übernachten würde, schüttelt er heftig den Kopf: "Nee, ich bin doch nicht Lebensmüde. Zum Schlafen gehe ich in die Notübernachtung."
Für gewöhnlich übernachtet Holtfreter in der Lehrter Straße, aber das Weihnachtswochenende hat er in der Notübernachtung in der Franklinstraße verbracht, wo er fünf Tage am Stück bleiben durfte. Auch an dem Weihnachtsessen von Frank Zander hat er teilgenommen und findet richtig gut, was "der Zander mit seinen Freunden für die bedürftigen Menschen organisiert". Prompt zieht er seine Mundharmonika aus der Tasche und demonstriert, wie er auf der Zander-Party mitgemacht hat, als Nina Hagen auf der Bühne stand. Das habe "richtig gerockt", beteuert Holtfreter.
Mit seiner Mundharmonika hat sich der Obdachlose in Schweden schon vor langer Zeit einen Namen gemacht. Als er vor über acht Jahren Berlin verließ, landete er in Stockholm und bekam an Heiligabend von zwei jungen Frauen das Instrument geschenkt. "Ich wusste gar nicht, was ich mit dem Ding anfangen soll", sagt der Mann mit norddeutschen Akzent. Über sechs Jahre hat er in der schwedischen Hauptstadt gelebt, bis er vor zwei Jahren wegen einer Prügelei von der Polizei nach Deutschland ausgewiesen wurde.
Doch ab Januar darf er wieder zurück und das hat er sich auch fest vorgenommen. "Meine Fans warten doch auf mich", sagt der Obdachlose - mit Blick auf seine schwedischen Fans, die auf Facebook eine Gruppe für ihn gegründet haben. Inzwischen sind es 21.000 Mitglieder, die Holtfreter den "Munspelsmannen" nennen, was so viel wie "Mundharmonika Mann" heißt.
Der weiß allerdings noch nicht so recht, wo er die 70 Euro für die Busfahrt nach Stockholm hernehmen soll. Das meiste Geld gehe nämlich weg für Schnaps und Tabak, erklärt er. Seit acht Jahren lebt der 53-Jährige auf der Straße, er hat offene Wunden an den Händen und fast keine Zähne mehr. Dennoch gibt er sich mit seiner Situation zufrieden. Er lebe ganz gut mit den Spenden und beantrage deshalb auch kein Hartz IV. Seinen Beruf als Tiefbaumaurer will er nicht ausüben, weil er sich inzwischen als Musiker sieht.
Am liebsten würde Holtfreter eine Platte produzieren. Der Iglu-Mann vom Nollendorfplatz träumt von seiner eigenen Band, mit der er durch Europa zieht. Und mit seiner Mundharmonika.
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