Omar Habibzada, Vorsitzender Islamisches Kulturzentrum Bremen: "Ich weiß Deutschland zu schätzen"
Omar Habibzada spricht über sein Leben und sein Selbstverständnis als praktizierender Muslim in Deutschland. Am Dienstag sind die Räume seiner Moschee in Bremen durchsucht worden. Das Interview wurde vor zwei Wochen geführt.
taz: Herr Habibzada, darf ein Muslim Ungläubige belügen?
Omar Habibzada: Nein. Der Koran verpflichtet die Muslime auch zur Wahrheit gegenüber den Nicht-Muslimen. Praktische Beispiele aus dem Leben des Gesandten Gottes (Frieden und Segen Allahs auf ihm!) und seiner Gefährten (Möge Allah mit ihnen alle zufrieden sein!) gibt es viele, die auch ihr Verhältnis gegenüber Nicht-Muslimen aufzeigen.
Seit dem Jahr 2004 suchen Sie einen Imam für Ihre Moschee-Gemeinde. Warum ist das so schwierig?
Wir suchen eine geeignete Person, die mit der westlichen Lebensweise vertraut ist und neben der arabischen auch die deutsche Sprache beherrscht. Wir halten diese Kenntnisse für eine wichtige Voraussetzung für unser Gemeindeleben.
Vor neun Jahren geriet Ihre Moschee unter der damaligen Bezeichnung ,Abu Bakr' in die Schlagzeilen, als der Bremer Türke Murat Kurnaz in Pakistan festgenommen wurde.
Zu der Zeit war ich noch nicht Mitglied der Gemeinde. Über Erzählungen weiß ich aber, dass er 2001 für einige Zeit unsere Moschee besucht hat. Später machte er sich zu einer Koranschule in Pakistan auf. Dort wurde er gegen ein Kopfgeld der Amerikaner aus dem Bus gezogen und vorbeugend über vier Jahre rechtlos inhaftiert - nach deutschen Gesetzen ein undenkbarer Vorgang. In der Zwischenzeit wurde er rehabilitiert und lebt auch wieder in Bremen.
Zu Ihrer Gemeinde gehörte auch der in der Presse als "Hassprediger" titulierte Ali M., der aufgrund aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen 2007 des Landes verwiesen wurde, obwohl ein Verfahren gegen ihn mangels Tatverdachtes 2002 eingestellt worden war.
Unser früheres Gemeindemitglied ist ein sehr religiöser Mensch. Wir lehnen aber für ihn die Bezeichnung "Hassprediger" ab, da diese und ähnliche Ausdrücke in der Zeit nach der Festnahme von Murat Kurnaz fielen und ein Teil der Inszenierung der profitorientierten Boulevardpresse waren. Wir sind sehr traurig, dass er mit seiner Familie Deutschland verlassen musste.
Seit Jahren beobachtet der Verfassungsschutz das Islamische Kulturzentrum Bremen e. V. (IKZB).
Konkrete Vorwürfe hat es nie gegeben - aber den Vorwurf, dem "Salafismus" anzuhängen und einen "islamischen Gottesstaat" in Deutschland errichten zu wollen.
Die Razzia vom Dienstag hatte laut Bundesinenministerium "keinen Zusammenhang mit der aktuellen Gefährdungslage durch den internationalen Terrorismus", sondern war länger geplant. Die Auswertung des beschlagnahmten Materials werde zeigen, ob sich der Anfangsverdacht bestätige.
Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht "erst den Jihad in Form des bewaffneten Kampfes abwarten, um gegen verfassungsfeindliche Vereinigungen einzuschreiten", hieß es weiter. (kawe)
Sie sind in Afghanistan geboren, wohnen seit vielen Jahren in Deutschland und haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie erleben Sie dieses Land?
Nachdem meine Familie und ich im Kindesalter nach Deutschland kamen, war es für mich eine Wohltat, dass hier alles so geordnet ablief. Noch heute bin ich nach manchen Reisen froh, zurück in Deutschland zu sein. Es gibt viel Chaos in der Welt, da weiß ich Deutschland immer wieder zu schätzen.
Der deutsche Politik rechtfertigt den Truppeneinsatz in Afghanistan damit, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland werde "auch am Hindukusch verteidigt".
Typisch Politiker. Das war eine Formulierung, damit die deutsche Bevölkerung einen Einsatz in Afghanistan mittragen würde. Wenn man dieses Argument ernst nehmen würde, dann müsste Deutschland in viele Länder der Erde Bundeswehrsoldaten schicken.
Der frühere Bundespräsident Horst Köhler meinte, es gehe um Wirtschaftsinteressen.
Er hat ja nur die Situation beim Namen genannt. Wenn China in Zukunft der Zugang zum deutschen Technologie-Markt verweigert würde, dann müssten nach dieser Logik chinesische Truppen nach Deutschland entsandt werden. Ich halte diese Einstellung für gefährlich.
Seit den Anschlägen auf das World-Trade-Center fühlt sich die Welt von Al-Qaida bedroht.
Die Menschen sollten aufeinander zugehen, um eine Kultur von Vertrauen und Dialog zu schaffen. In Bremen versuchen wir mit unserer Gemeinde-Arbeit auch auf einen respektvollen und friedlichen Umgang unter den verschiedenen Religionen und Kulturen hinzuarbeiten. Mein Wunsch ist es, dass dieses akzeptierende Miteinander irgendwann zur Selbstverständlichkeit wird. Vielleicht werde ich das nicht mehr erleben, aber für meine Kinder habe ich diese Hoffnung.
"Jihad" steht für den muslimischen Kampf gegen die "Ungläubigen".
Jihad wird fälschlicherweise in westlichen Medien mit dem Begriff "Heiliger Krieg" interpretiert. Es gibt im Koran keinen Hinweis, dass ein Krieg heilig sein kann. Hier findet ein Missbrauch des Wortes und des Islam statt. Das Wort wird in zwei Kategorien aufgeteilt. Einmal großer Jihad, der von einem fordert, an sich selbst zu arbeiten und einmal kleiner Jihad. Der kleine Jihad ist im militärischen Sinne zu verstehen. Es bedeutet, sich für die Verteidigung von Glauben, Familie, Land und Vermögen einzusetzen und ist Teil der institutionellen Gewalt in einem Staat.
Laut Bremer Verfassungsschutzbericht von 2009 gehören Sie zur Glaubensrichtung des Salafismus. Dieser bezieht sich für Lebensweise und Glaubensgrundsätze auf den Ur-Islam von vor 1.400 Jahren.
Diesen Kategorisierungsversuch durch den Verfassungsschutz lehne ich ab. Aus meiner Sicht dient dies hauptsächlich der Stigmatisierung der praktizierenden Muslime. Das arabische Wort "Salaf" bedeutet für sich genommen "Vorfahr". Unsere Grundeinstellung zum Islam beziehen wir aus den Erkenntnissen unserer rechtschaffenen Vorfahren, die zu damaliger Zeit in Verbindung mit dem Propheten Mohammad waren, salalahu alhi wasalam (Friede und Segen Allahs auf ihm!). Dazu gehört auch die Demut gegenüber Gott. Und dies sehen alle Muslime so. Die äußere Ausdrucksform ist dagegen kein festgelegter Zwang, sondern hängt von der inneren Einstellung zum Islam ab und dessen konsequenter Befolgung in Form von Pflichten und Geboten.
Der Verfassungsschutz sagt, Ihre Gemeinde strebe einen islamischen Staat an.
Wir streben nicht mit unserer Gemeinde die Errichtung eines islamischen Staates an, auch nicht in Deutschland. In der Bundesrepublik gilt das Grundgesetz und das für alle Menschen gleich. Vom Verfassungsschutz habe ich manchmal den Eindruck, dass bei ihm mittlerweile die Bekämpfung der islamischen Identität im Vordergrund steht. Auch durch diese Wortschöpfungen, bei denen am Ende gleich "ismus" angehängt wird, vermittelt sich dem Leser schnell ein negatives Bild.
Wäre es nicht einfacher für Sie, in einem muslimischen Staat zu leben?
Es gibt kaum Staaten weltweit, in denen unsere Glaubensfreiheit besser garantiert wäre als hier vom deutschen Grundgesetz - auch nicht in vielen muslimisch geprägten Staaten. Warum sollten wir also unsere eigenen Freiheiten abschaffen? Das heißt für uns aber natürlich auch, dass wir die gültigen Gesetze in Deutschland einzuhalten haben. Auch die früheren Muslime haben zum Teil Schutz unter christlicher Herrschaft gefunden, als sie in ihren Ländern verfolgt wurden.
Erleben Sie als praktizierender Muslim die Deutschen als offen und liberal?
Kürzlich war ich mit meiner Familie in einem Einkaufszentrum. Meine Frau empfand manche Reaktionen des Umfeldes als sehr unangenehm. Es kommt immer wieder vor, dass Gemeindemitglieder auf offener Straße beschimpft oder bespuckt werden, das passiert leider …
Woran mag das liegen?
Sicher an unserem islamischen Erscheinungsbild. Ich kann es gut verstehen, dass es da Verunsicherungen gibt. In den Medien wird ja auch oft ein bestimmtes Bild von den Muslimen transportiert. Man kann aber erwarten, dass aufgeklärte Menschen sich da nicht einspannen lassen. Mit unseren nicht-muslimischen Nachbarn verstehen wir uns übrigens gut und reden auch oft miteinander.
Welche Mitbestimmungsrechte haben die Frauen in der Ausrichtung Ihrer Gemeinde?
Sie haben ihre eigenen Aufgaben in der Gemeinde, die von denen der Männer abweichen. Sie können diese Treffen unabhängig von den Männern organisieren.
Kann Integration funktionieren, wenn sich in einzelnen Stadtteilen eine islamische Infrastruktur mit islamischen Kindergärten, Schulen und Jugendklubs entwickelt?
Wir haben auch in solchen Einrichtungen den Auftrag, die heranwachsende Generation auf ein Leben in diesem Land vorzubereiten. Schließlich stehen Schulen und Kindergärten unter staatlicher Aufsicht. Bemerkenswert ist, dass vor einer Gründung viele staatliche Auflagen und Vorschriften erfüllt werden müssen, bei denen selbst manche staatliche Einrichtungen durchfallen würden. Außerdem würde und sollte die deutsche Sprache in solchen Einrichtungen im Vordergrund stehen. Hinzu kommt, dass wir in manchen Situationen den besseren Zugang zu den muslimischen Kindern und Jugendlichen haben. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass dies eine Weimarer Errungenschaft war, die im Grundgesetz verankert ist.
In der Kriminalitätsstatistik haben Jugendliche mit arabischem und türkischem Hintergrund prozentual einen hohen Anteil.
Wir sind über diese Entwicklung nicht glücklich, sie verzerrt den Blick auf uns und weckt auch Vorurteile gegenüber Muslimen. Wir merken aber auch, dass wir jungen Gemeindemitgliedern eine starke Orientierung bieten können. Wir leisten da unseren Beitrag für ein respektvolles Miteinander. Wir würden uns aber eine stärkere Einbindung unserer Gemeinde in die Bremer Jugendarbeit wünschen, da wir oft, wie gesagt, einen besseren Zugang zu den muslimischen Jugendlichen haben. Hinzu kommt, dass wir durch unsere vielen Gemeindemitglieder aus unterschiedlichen Ländern auch über Cross-Culture-Kompetenzen verfügen. Dies erleichtert uns ein Miteinander.
Gibt es nicht bundesweit muslimische Clan-Strukturen mit einem hohen Anteil an Intensivtätern?
Viele dieser Menschen praktizieren den Islam nicht, sind lediglich in einer islamisch geprägten Familie aufgewachsen. Sie sehen schnelle Autos und viel Geld als Sinn des Lebens. Wir hoffen, dass sie auf den rechten Weg zurück finden. Es gibt immer wieder Beispiele für diese Umkehr.
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