Henckel von Donnersmarcks "The Tourist": Lieber makellos als hintersinnig
Der Plot steht still, sobald Angelina Jolie ins Bild kommt: "The Tourist", der neue Film von Florian Henckel von Donnersmarck, sehnt sich nach Grandezza, schwelgt aber nur im Pomp.
![](https://taz.de/picture/286813/14/tourist.20101215-15.jpg)
Dieser Film hat Augen fast nur für Angelina Jolie. Die Kamera löst sich selten von ihren vollen Lippen, ihren hohen Wangenknochen und ihren großen Augen. Gerne wird ihr Kopf aus leichter Untersicht gefilmt, was die Ehrfurcht der Kamera ihr gegenüber noch unterstreicht. Manchmal, in einer der ersten Szenen zum Beispiel, ist der Blick kecker, dann gestattet er es sich, auf Schenkeln und Pobacken zu verweilen, die im Takt der Schritte unter dem engen, wollweißen Kleid auf und ab hüpfen, während die Männer im Überwachungswagen der Frage nachhängen, ob die Überwachte einen Slip trägt oder nicht.
Wenn "The Tourist" überhaupt etwas anderes als Angela Jolie anschaut, dann ist das Venedig. Das Verhältnis der Inszenierung zu ihrem Gegenstand ist dabei ganz ähnlich. So wie sich die Bilder der makellosen Schauspielerin umstandslos in eine Werbung für hochwertige Kosmetika verwandeln ließen, so könnte man sich die Kameraflüge über die Inseln und die Innenansichten aus den Palazzi in einem Tourismuswerbespot vorstellen. Florian Henckel von Donnersmarck, der Regisseur, mag sich in seiner mise en scène nach Grandezza sehnen, aber das, worin er schwelgt, ist vor allem teuer und pompös.
Jenseits von Angelina Jolie und Venedig gibt es in "The Tourist" nicht viel zu sehen. Was ein Agententhriller im zeitlos-klassischen Gewand sein will, nimmt niemals Fahrt auf; es ist, als hätte Henckel von Donnersmarck noch einmal illustrieren wollen, was die verdiente feministische Filmtheoretikerin Laura Mulvey 1975 in ihrem Essay "Visuelle Lust und narratives Kino" beschrieb. Im klassischen Hollywood-Kino, argumentierte Mulvey, setzt die Handlung aus, sobald eine weibliche Figur im Close-Up erscheint. Der Plot macht in diesem Augenblick Pause; der Preis dafür sind ein eingeschränkter Handlungsraum für die weiblichen Figuren, ihre Festlegung aufs Angeschautwerden und die Codierung des Blicks als männlich. Henckel von Donnersmarck möchte sich in der Art, wie er Jolie in Szene setzt, fraglos auf dieses klassische Hollywood-Kino beziehen, und je weniger er dabei Maß hält, umso stiller steht der ohnehin schon dürftige Plot.
Johnny Depp als Frank Tupelo, der scheinbar ohne Wissen und Zutun in die Affäre gerutschte Mathematiklehrer aus Wisconsin, ist kein Gegengewicht, denn er darf seine sympathischen Spleens nur in winzigen Dosen ausleben. Und die Selbstreflexivität des Films, die etwa darin liegt, dass Jolies Figur Elise Ward sich als die "geheimnisvolle Frau im Zug" vorstellt, wie es sie im Thriller der 50er Jahre gab, beschränkt sich darauf, das Selbst zu verdoppeln. Eine neue Ebene, eine Hintersinnigkeit, einen doppelten Boden zieht man auf andere Weise ein.
Henckel von Donnersmarck hat nach seinem Erfolg mit "Das Leben der Anderen" (2006) eine Weile pausiert, hat sich in Hollywood umgetan, Drehbücher studiert und verworfen, hat selbst an einem Drehbuch gearbeitet und schließlich "The Tourist" übernommen, eine millionenschwere Auftragsarbeit. Er hat das Buch, an dem schon mehrere Autoren vor ihm geschrieben hatten, überarbeitet. Man mag die Uninspiriertheit des Films also darauf zurückführen, dass der Regisseur sich in eine arbeitsteilige Studioproduktion einfügen musste. Genauso gut kann man sich daran erinnern, dass schon an "Das Leben der Anderen" einiges Kolportage und grob zuspitzend war. Hier kehrt die Grobheit als protzige Preziose wieder.
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