Interview zu Klimapolitik: "Streicht die Ölsubventionen!"
Der Kampf gegen den Klimawandel kommt nicht voran. Für Adnan Amin, Chef der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, liegen die Gründe im politischen System.
taz: Herr Amin, wie ernst ist der Klimawandel?
Adnan Amin: Auch wenn es in Mitteleuropa derzeit kalt ist, wird 2010 das wärmste Jahr, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Laut Weltmeteorologieorganisation liegt die globale Temperatur um 0,55 Grad Celsius über dem Schnitt der Jahre 1961 bis 1990. Und im nächsten Jahr werden die Treibhausgasemissionen, die den Klimawandel hervorrufen, voraussichtlich Rekordgröße erreichen. Die extremen Wetterlagen - jüngst die Flut in Pakistan oder Dürren in Afrika - zeigen: Die Zukunft wird bedrohlich anders sein als heute.
Die Bundesregierung sagt, man brauche Atomkraft als Brücke hin zu 100 Prozent Ökoenergien - richtig oder falsch?
Das ist ihre Entscheidung. Jede Regierung muss mit ihrer Bevölkerung sehen, ob es gerechtfertigt ist, die Risiken der Atomkraft einzugehen.
Adnan Amin, 1957 geboren, leitet seit November 2010 die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, Irena, in Abu Dhabi. Sie ist ein Gegengewicht zur Internationalen Energieagentur IEA.
Aber Atomkraft verstopft die Leitung und verhindert Investitionen in Ökoenergien …
Das sehe ich anders: Die nötigen Investitionen für neue Reaktoren sind schon heute gigantisch. Und der Bau wird jedes Jahr 15 Prozent teurer, haben Forscher am Massachusetts Institute of Technology berechnet. Selbst Großbanken warnen vor finanziellen Risiken. Bis ein Atomkraftwerk gebaut ist, vergeht zudem viel Zeit. Derweil werden erneuerbare Energien immer wettbewerbsfähiger. Die meisten Investitionen werden künftig in Wind- und Solarenergie sowie in Stromnetze fließen.
Wie sieht die Energieversorgung in zwanzig Jahren aus?
60 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen stammen derzeit aus dem Energiesektor. Dabei haben 1,5 Milliarden Menschen noch gar keine Elektrizität. Das System ist unzulänglich. Wir brauchen Lösungen. Technisch sind 50 Prozent Ökostrom bis 2030 möglich. Es ist eine Frage des politischen Willens.
Stört die Finanzkrise den Ausbau der grünen Wirtschaft?
Die Menschen haben in der Krise realisiert, dass sich die globale Wirtschaft ändern muss, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Sie reden über Energien, über grüne Jobs, über Energieeffizienz, man sieht in vielen Staaten einen Grünungsprozess, sogar in den USA.
Viele Republikaner im US-Senat leugnen den Klimawandel.
Es gibt Leute, die nicht an wissenschaftliche Erkenntnisse glauben, aber die Mehrheit tut es. In den USA tut sich regional einiges.
Warum gibt es immer noch Politiker, die nicht aktiv werden?
Die meisten sind sich bewusst, dass die Erderwärmung kommt und ein Problem ist. Aber sie wollen in vier Jahren wiedergewählt werden und der Klimawandel ist ein 100-Jahre-Phänomen. Da wollen sie keine unpopulären Entscheidungen treffen. Das politische System schreckt vom Kampf gegen Treibhausgase ab.
Auch wenn der Klimawandel längst sichtbar ist?
Es reicht noch nicht. Das Bewusstsein in der Bevölkerung ist noch nicht da. Es ist noch einfach zu sagen: Ja, wir haben ein Problem, vielleicht sollte mal jemand anderes etwas dagegen tun. Nehmen Sie nur die Subventionen für fossile Energien, die gestrichen werden müssten.
Um wie viel Geld geht es?
Die Internationale Energieagentur schätzt die weltweiten Subventionen für Verbraucher auf 312 Milliarden US-Dollar allein im Jahr 2009. Dazu kommen laut der Globalen Subventionsinitiative 100 Milliarden US-Dollar, die an die Energieproduzenten fließen. Erdölreiche Staaten halten die Benzinpreise niedrig, damit Autofahren billig bleibt. Andere Regierungen helfen ihrer Gas- und Ölindustrie bei der weltweiten Erkundung und Gewinnung von Ressourcen. Sie wollen so Jobs sichern. Alternative Energien können dann aber nicht konkurrieren.
Welche Rolle spielen Sie da?
Wir werden keine Leute losschicken, die Windräder aufstellen. Wir werden aber mit der Weltmeteorologieorganisation Karten erarbeiten, die geeignete Standorte für Windräder und Sonnenkollektoren zeigen. Vor allem wollen wir aber globale Strategien entwickeln, um die Politik für den Übergang zu 100 Prozent Ökoenergien zu gewinnen.
Wann werden Sie mit US-Präsident Barack Obama reden?
Er ist Kenianer, wir sind Brüder. Ich rede jederzeit mit ihm.
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