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Wanderzyklone

Tropenstürme in Zeiten des Klimawandels

von Jörg Schmilewski

Für die Wissenschaft war dieser Tropensturm von Beginn an außergewöhnlich, schon bei seiner Entstehung Ende Februar über der Korallensee, nordöstlich der australischen Küste. Denn Zyklon „Alfred“ hatte mit „Rae“ und „Seru“ gleich zwei Geschwister.

In seiner Arbeit als Klimaforscher habe er schon einige Zwillingszyklone beobachten können, sagt David Karoly, emeritierter Professor der Universität Melbourne, doch Drillingszyklone seien „wirklich äußerst selten“.

Während sich „Rae“ und „Seru“ bald auflösten, schrieb „Alfred“ Geschichte und traf als erster tropischer Wirbelsturm seit 51 Jahren die rund 2000 Kilometer südlich der tropischen Korallensee gelegene Metropole Brisbane.

Wie ist es möglich, dass einzelne Tropenstürme so weit in gemäßigte Klimazonen vordringen, ohne an Kraft zu verlieren? „Zyklone sind Produkte ihrer Umgebung“, sagt Nigel Tapper, Klimaforscher an der Monash-Universität Melbourne: „Ob sie stärker oder schwächer werden, hängt insbesondere von der Wassertemperatur und den vorherrschenden Winden ab.“ Tappers Fachkollegin, Professorin Liz Ritchie-Tyo, sagte kürzlich dem australischen Rundfunksender ABC: „Sehr hohe Wassertemperaturen formen und verstärken Zyklone – und machen sie langlebiger.“

Die meisten Wirbelstürme über dem Südpazifik kommen aus östlichen Richtungen und treffen die Küste des australischen Bundesstaats Queensland nach relativ kurzer Zeit und mit hoher Geschwindigkeit. „Alfred“ hingegen bewegte sich langsam – und war auch nach 18 Tagen noch ein gewaltiger Sturm. Am 20. Februar begann er sich zu drehen, rund 900 Kilometer nordöstlich der Stadt Cairns. Zunächst entfernte er sich vom australischen Kontinent, bevor er, angetrieben von Passatwinden und mit steter Distanz zur Küstenlinie, weit nach Süden vordrang.

Das sei „sehr ungewöhnlich“, sagt David Karoly, in der Regel würden Zyklone auf dem Pazifischen Ozean im Laufe ihres Lebens eher in Richtung Osten driften.

Ändern Wirbelstürme ihre Zugbahnen als Folge des Klimawandels?

„Wasser hat eine um ein Vielfaches größere Kapazität, Hitze aufzunehmen, als die Luft“, erklärt Karoly. „Rekordtemperaturen in den Ozeanen führen zu mehr Verdunstung und mehr Luftfeuchtigkeit, Niederschläge nehmen zu.“ Die Weltmeere haben bis heute rund 30 Prozent der menschengemachten klimaschädlichen CO2-Emissionen aufgenommen und speichern über 90 Prozent der zusätzlich entstehenden Wärme.[1]

Die Ozeane sind gewissermaßen die blaue Lunge des Planeten, sie mildern die dramatischen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels und stabilisieren damit das Weltklima. Die Erwärmung der Ozeane hat laut dem Weltklimarat (IPCC) in den letzten Jahrzehnten jedoch „dramatisch zugenommen“, das Tempo habe sich seit Mitte der 1990er Jahre mehr als verdoppelt.

Wann die Aufnahmekapazität der Ozeane für das Treibhausgas CO₂ erschöpft sein wird, ist noch weitgehend

unerforscht. „95 bis 97 Prozent des Kohlendioxids in den Ozeanen wird an der Meeresoberfläche, also in maximal 50 bis 100 Meter Tiefe, gespeichert“, erklärt Klimawissenschaftler Karoly. Wenn warmes Wasser aber über Meeresströmungen und -umwälzungen in die Tiefsee gelange, verändere sich das Leben dort dramatisch – mit schlimmen Folgen für die Artenvielfalt: „Viele Fischarten werden aussterben.“

Wirbelstürme, die je nach Welt­re­gion entweder Hurrikane, Taifune oder Zyklone genannt werden, können erst entstehen, wenn die Temperatur der Meeresoberfläche mindestens 26 Grad Celsius erreicht. Mit jedem Grad mehr nimmt ihre Stärke zu. In der Korallensee rund um das Great Barrier Reef haben Wissenschaftler in den letzten Jahren Meerestemperaturen von bis zu 30 Grad Celsius gemessen. Diese hohen Temperaturen sind auch dafür verantwortlich, dass die Korallen des weltberühmten australischen Riffs zunehmend ausbleichen.

2024 maßen die Forscher zudem neue Rekordwerte der atmosphärischen Lufttemperaturen in der Re­gion. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass tropische Wirbelstürme aufgrund der Erderwärmung an Intensität gewinnen – mit zunehmenden Windspitzengeschwindigkeiten und größeren Regenmengen“, heißt es im IPCC-Bericht von 2023.

Was „Alfred“ betrifft, so waren es schließlich kühlere Winde aus gemäßigten Klimazonen, die seine Zugbahn in Richtung Süden stoppten. Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, wie „Alfred“ am 4. März fast exakt auf dem Breitengrad von Brisbane haltmacht und nach einer kurzen Pause in Richtung Westen dreht – und Kurs auf den mit rund 4 Millionen Menschen dicht besiedelten Südosten von Queensland nimmt.

Im Laufe der Woche näherte sich der Zyklon dem Großraum Brisbane und traf am 9. März mit seinem Zentrum über den nördlichen Stadtteilen auf das australische Festland.

Der Wirbelsturm brachte der Region die größten Regenmengen seit 51 Jahren. An einigen Orten fielen an zwei Tagen bis zu 600 Liter pro Qua­drat­meter, die größte Menge ausgerechnet in einer Flussschleife des Brisbane River, im Zentrum der Millionenstadt. Zum Vergleich: In Berlin regnet es über das gesamte Jahr durchschnittlich 580 Liter pro Quadratmeter.

Auf einem 500 Kilometer langen Küstenabschnitt spülte „Alfred“ große Teile der Sandstrände ins Meer. Die Küstenwache beobachtete bis zu 13 Meter hohe Wellen auf der weltgrößten Sandinsel K’gari (vormals Fraser Island), rund 300 Kilometer nördlich von Brisbane, und an der Gold Coast, 70 Kilometer südlich. Es waren die höchsten Wellen seit 38 Jahren.

Als „Alfred“ auf die Küste traf, hatte er sich zwar bereits abgeschwächt, dennoch deckte er Dächer ab und entwurzelte jahrzehntealte Bäume. Besonders betroffen waren Eukalyptusbäume und Norfolk-Pinien, die in großer Zahl auch in Neukaledonien beheimatet sind. Winde verursachten schwere Schäden an der Infrastruktur der Re­gion. Zeitweise waren 450 000 Haushalte ohne Strom – ein im wohlhabenden Aus­tra­lien nie dagewesener Blackout. Tausende Menschen mussten in Notunterkünften übernachten, Supermärkte und 1800 Schulen blieben für Tage geschlossen. Auch der Zug-, Bus- und Fährverkehr im Großraum Brisbane war für einige Zeit unterbrochen. Unzählige Haushalte meldeten Wasserschäden.

Wegen des Dauerregens wurden 12 Regionen im Bundesstaat Queensland und 14 Regionen in New South Wales zu Notstandsgebieten erklärt. Große Flächen im landwirtschaftlich geprägten Lockyer Valley, westlich von Brisbane, versanken in den Fluten. Autofahrer wurden von den Wassermassen überrascht, manche in ihren Fahrzeugen mitgerissen. Ein Mann kam dabei ums Leben. Premierminister Anthony Albanese schickte das Militär, um alte und kranke Menschen mit Booten zu retten.

Die wohl unangenehmste Erkenntnis ist, dass es nicht noch einmal 51 Jahre dauern dürfte, bis wieder ein Zyklon über Brisbane auftaucht. Klimaforscher Karoly prognostiziert, dass auch andere Städte fernab der Tropen künftig häufiger den zerstörerischen Kräften von Tropenstürmen ausgesetzt sein werden. Mit Ozeantemperaturen über 26 Grad Celsius würden sie „ideale Bedingungen vorfinden“, um länger als bisher aktiv zu bleiben. Karoly rechnet mit bis zu 30 Tagen.

Auch der Zyklon „Gabrielle“, der vor zwei Jahren Neuseeland heimsuchte, ist ein Beispiel für einen solchen Sturm auf Abwegen. Im Februar 2023 traf „Gabrielle“ auf die Nordinsel, an deren Küste die Millionenstadt Auckland liegt. Einige Stadtteile, die sich nur knapp oberhalb des Meeresspiegels befinden, hatten mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen. An der Ostküste wurden viele Landwirtschaftsflächen überflutet. Kleinstädte waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten, in einigen Orten wurden ganze Farmen und das Vieh von den Fluten mitgerissen.

Neuseeland ist aufgrund häufiger Erdbeben eigentlich gut auf Notsituationen vorbereitet. Doch die ungezähmten Kräfte des Zyklons trafen den Pazifikstaat völlig überraschend, weil Wissenschaftler die genaue Zugbahn, Stärke und Zerstörungskraft nicht detailliert vorhersagen können. Zwölf Menschen starben in den Fluten. Das Militär musste mit Helikoptern Anwohner von den Dächern ihrer überschwemmten Häuser retten, viele Straßen und Brücken wurden beschädigt. Der finanzielle Gesamtschaden: umgerechnet 9 Milliarden Euro.

Weihnachten zerstörte 1974 der tropische Wirbelsturm „Tracy“ 94 Prozent aller Häuser in der Stadt Darwin an der tropischen australischen Nordküste. Daraufhin verfügte die australische Bundesregierung neue Baustandards. An ernsthafte Gefahren für den Südosten Queenslands dachte damals allerdings niemand – denn die neuen Standards galten nur für Darwin und den Norden von Queensland.

Nach Berechnungen des US-amerikanischen National Center for Atmo­sphe­ric Research (NCAR) in Boulder, Colorado, muss künftig auch tausende Kilometer südlicher als bisher mit Wirbelstürmen der Stärke 2 gerechnet werden, mit Windgeschwindigkeiten von 154 bis 177 Kilometern pro Stunde. „Alfred“ erreichte zwischenzeitlich Stärke 4, das entspricht Windgeschwindigkeiten bis 250 Stundenkilometer.

Tropenstürme könnten ihre Intensität beibehalten, während sie weit nach Süden wandern. Obwohl Zyklone infolge des Klimawandels insgesamt seltener wurden, heißt es in einem Bericht der australischen Wissenschaftsagentur Csiro, werde die Intensität der schweren Stürme vermutlich zunehmen.[2]

„Alfred“ habe der australischen Bevölkerung durch seine lange Zugbahn in Richtung Süden zwar „die Möglichkeit gegeben, sich rechtzeitig vor Einwirkungen in Sicherheit zu bringen“, betont die australische NGO Cli­mate Council. Durch seine Trägheit habe der Sturm jedoch „länger gewütet“ als zuvor berechnet und „immense Regenmengen und Sturmschäden“ verursacht.[3]

Wie also können sich Politik und Gesellschaft künftig besser auf solche Extremwetterereignisse vorbereiten? Und wie können sich Menschen besser vor den Folgen schützen? „Wir brauchen eine Städteplanung, die mehr im Einklang mit der Natur steht“, fordert Darryl Low Choy, Umweltplaner an der Griffith University in Brisbane. Er bemängelt, dass in Brisbane, wo im Jahr 2032 die Olympischen Spiele stattfinden sollen, über die letzten zehn Jahren keine Anpassungen an zu erwartende Folgen des Klimawandels vorgenommen wurden.

Ganze Stadtteile seien auf trockengelegten Sümpfen errichtet und „Bäche, die bei Hochwasser zu reißenden Strömen anschwellen, einfach überbaut“ worden. Krankenhäuser und Kindergärten müssten unbedingt auf Anhöhen errichtet werden, damit sie künftig besser vor Schäden geschützt seien.

Choy mahnt seit vielen Jahren Änderungen bei der Stadtplanung an, fühlt sich dabei aber zunehmend ohnmächtig. An der Gold Coast südlich von Brisbane sind in den letzten Jahrzehnten mehrere Hotel- und Apartmenthochhäuser direkt am Strand errichtet worden. Bei künftigen, noch heftigeren Fluten drohen diese buchstäblich auf Sand gebauten Häuser instabil zu ­werden, sagt Choy: „Diese Gebäude können dann nur noch mit dem höchsten, was Bauingenieure schaffen können, und mit viel Beton gesichert werden.“

Der größte Blackout in Australiens Geschichte

Die Stadt Lismore, 140 Kilometer südlich von Brisbane, gilt als die am häufigsten überschwemmte Gemeinde Australiens. Ein neuer Flussdeich habe die Innenstadt diesmal zwar noch vor dem Schlimmsten bewahrt, meint Choy, „tatsächlich haben die Menschen dort Glück gehabt, dass das Wasser nicht höher gestiegen ist“.

Städte wie Lismore, Brisbane und Gold Coast könnten sehr bald erneut unter Wasser stehen, dabei leiden viele Menschen noch immer unter den Folgen der letzten Überschwemmungen. In einer landesweiten Umfrage des Cli­mate Council gaben 80 Prozent der befragten Australierinnen und Australier an, seit 2019 mindestens ein Extremwetterereignis erlebt zu haben. 72 Prozent meinten, die Ereignisse hätten sie psychisch beeinträchtigt.

Versicherungen haben sich in einigen Fällen geweigert, für entstandene Schäden aufzukommen. Nun bahnt sich ein Konflikt mit der Regierung in Canberra an: Versicherungsunternehmen forderten Premierminister Albanese auf, die Regierung solle für die Geschädigten von „Alfred“ höhere Hilfszahlungen leisten. Der Premier regierte darauf, indem er die Versicherungen aufforderte, unverzüglich für versicherte Schäden aufzukommen, andernfalls würden sie Strafzahlungen riskieren.

Viele einkommensschwache Familien in Australien haben ihre Häuser auf billigen Baugrundstücken, etwa in Flussauen, errichtet. Der Geograf und Klimaforscher Nigel Tapper schätzt, dass durch „Alfred“ 200 000 Häuser von Sturm- oder Flutschäden betroffen sind.

Er sieht zwei Möglichkeiten, die durch den Tropensturm entstandene Krise zu managen: „Entweder die Regierung hilft diesen Menschen finanziell, sich auf höher gelegenem Terrain neu anzusiedeln. Oder alle Hausbesitzer in Australien müssen künftig höhere Versicherungsbeiträge bezahlen.“ Die Kosten einiger Jahrespolicen würden bereits heute bei umgerechnet 12 000 Euro liegen – Tendenz stark steigend.

Nicht zuletzt aufgrund dieser hohen Kosten haben viele Bewohner von Brisbanes Stadtteil Rocklea, etwa 10 Kilometer südlich der Innenstadt in einer Flussaue gelegen, einen anderen Weg gewählt: Zum Schutz vor künftigen Überschwemmungen stehen heute viele Häuser hier auf meterhohen Stelzen.

Als Folge der zahlreichen Überflutungen seit 2010 sind auch die Kosten für Reparaturen an der Infrastruktur massiv gestiegen, für die die Bundes- und die Staatsregierungen aufkommen müssen. Die durch Extremwetterereignisse verursachten Gesamtkosten in Australien haben sich seit den 1970er Jahren mehr als verdoppelt. Und inflationsbereinigt zahlen die Australierinnen und Australier heute umgerechnet 17,5 Milliarden Euro mehr für Versicherungen als noch vor zehn Jahren.

„Das Abdriften von tropischen Stürmen nach Süden ist nur ein Vorgeschmack auf das, worauf wir uns einstellen müssen, wenn wir die Förderung und die Verbrennung von fossilen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas unverändert beibehalten“, schreibt der australische Cli­mate Council in seiner jüngsten Publikation.[4]„Die Menschen bezahlen schon heute einen hohen Preis – sowohl in Australien als auch weltweit – für das Versagen von Regierungen, Klimagase zu reduzieren.“

1„IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate“, Genf, Weltklimarat, 24. September 2019.

2 Hamish Ramsay, „Here are seven things to know about tropical cyclones“, Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO), 4. März 2025.

3 Martin Rice und andere, „Eye of the Storm: How climate pollution fuels more intense and destructive cy­clones“, Potts Point (Climate Council of Australia) 2025.

4 Hamish Ramsay, siehe Anmerkung 2.

Jörg Schmilewski ist freier Korrespondent in Australien.

© LMd, Berlin

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