Interview mit Politologe Otmar Jung: "Wowereit surft auf der plebiszitären Welle"
Bei einem Vorabreferendum zu Großprojekten geht es nur um plakative Parolen, sagt der Politikwissenschaftler Otmar Jung. Klaus Wowereits Vorschlag kann er nichts abgewinnen.
taz: Herr Jung, was halten Sie vom Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, die Berliner im Vorhinein in einem Referendum über ihre Meinung zu künftigen Infrastrukturgroßprojekten zu befragen?
Otmar Jung: In meinen Augen ist das reine Agitation. Herr Wowereit surft auf der plebiszitären Welle, wie es sein Parteivorsitzender Gabriel bei Stuttgart 21 tut. Die Volksabstimmung ist keine freischwebende Ressource, nach dem Motto, jetzt teilen wir mal Stimmzettel aus. Das geht nicht aus der hohlen Hand, wie es diese Sozialdemokraten offenbar glauben.
Sind Sie kein Freund direkter Demokratie?
Ich bin ein großer Freund direkter Demokratie. Grundsätzlich halte ich Verwaltungsreferenden durchaus für sinnvoll. In der Schweiz gibt es das schon. Dass ich dem Vorschlag von Herrn Wowereit nichts abgewinnen kann, hat andere Gründe.
Die würden uns interessieren.
Herr Wowereit möchte mit Referenden die Bürger im Vorhinein fragen. Die Referenden in der Schweiz sind so konzipiert, dass sie erst hinterher fragen.
Genau das beklagt Wowereit ja gerade.
Hinterher zu fragen, ist aber richtig. Wenn man die Bürger vorher fragt, landet man dabei, dass auf dem Stimmzettel nur Parolen und plakative Überschriften stehen. Zum Beispiel: Sind Sie für eine leistungsfähige Verkehrsanbindung? Ich halte es für sinnvoller, erst dann über Projekte abstimmen zu lassen, wenn die Verwaltung die konkreten Planungsvorlagen ausgearbeitet hat. Dann, also hinterher, sollen die Bürger entscheiden, ob sie das billigen oder nicht. Aber ich sehe noch ein weiteres Problem.
Und das wäre?
Das Referendum in der Schweiz ist als Kontrollinstrument von unten konzipiert. Das heißt, die Bürger sammeln Unterschriften und stellen dann ein Verwaltungsvorhaben auf den Prüfstand. Herr Wowereit will, dass die Regierung die Möglichkeit hat, ein Referendum durchzuführen. Das heißt, er möchte es von oben initiieren. Diese Art von plebiszitärer Demokratie wirkt prohegemonial. Das bedeutet eine weitere Verstärkung der Regierungsmacht. Und wenn die Abstimmung über Parolen erfolgt, ist es für die Regierung eine Blankoermächtigung, ein Projekt durchzuziehen.
Warum macht Wowereit gerade jetzt so einen Vorschlag?
Direkte Demokratie ist eine Urforderung der Grünen. Die Überlegung liegt nahe, dass er sich wegen der Kandidatur von Renate Künast auf grünes Terrain begibt und zeigen möchte, dass er auf diesem Gebiet auch Kompetenz hat. Aber das ist nur eine Vermutung. Bislang war Herr Wowereit nicht unbedingt ein Freund direkter Demokratie. Ihm ist durchaus bewusst, dass sie das Regierungshandeln stört.
Einen Wandel Wowereits schließen Sie aus?
Es ist schwer vorstellbar, dass er sich mit dem Referendum über Infrastrukturprojekte freiwillig ein weiteres Oppositionsinstrument schaffen möchte.
Wie könnte Wowereit beweisen, dass er basisdemokratisch geläutert ist?
Er könnte das Referendum in die Berliner Verfassung einführen. Er müsste also für eine verfassungsändernde Mehrheit sorgen. Und zwar sowohl für das Referendum über Normen als auch für das Referendum über Verwaltungsakte bei Großvorhaben. Aber das müsste ausgestaltet werden als ein Referendum im Nachhinein über konkrete Projekte und nicht vorher über Parolen.
Am Bau des Großflughafens selbst ist nicht mehr zu rütteln, oder sehen Sie das anders?
Nein. Alle bestandskräftigen Entscheidungen sind gefallen. Dann noch mit Volksabstimmungen zu kommen, ist im Rechtsstaat nicht möglich.
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