Montagsinterview mit dem Ökowerk-Chef Hartwig Berger: "Man kann Leute nicht durch Moral auf einen anderen Weg bringen"
Hartwig Berger sitzt in der Bibliothek des Ökowerks. Das Naturschutzzentrum residiert mitten im Grunewald in einem alten Wasserwerk am Teufelssee. Berger leitet seit 2002 den Vorstand der Einrichtung, die dieses Jahr 25 Jahre alt geworden ist.
taz: Herr Berger, es regnet in Strömen und die nächste Bushaltestelle ist 20 Minuten zu Fuß entfernt. Wie sind Sie heute hierhergekommen?
Hartwig Berger: Mit dem Fahrrad, wie immer. Ich bin in Berlin fast nur mit dem Rad unterwegs. Nur wenn ich ganz weit muss, nach Köpenick oder Marzahn, dann nehme ich auch schon mal die BVG.
Der Öko: Hartwig Berger wird am 1. Februar 1943 in Uelzen geboren. Gleich um die Ecke liegt das Wendland, dessen Widerstandskultur ihn nicht wieder loslassen wird. Auf Demos gegen Atomkraft in Berlin wie rund um Gorleben geht er heute noch regelmäßig. Seit 2002 sitzt er im Vorstand des Ökowerks - ehrenamtlich.
Der Wissenschaftler: Zum Studium der Philosophie und schließlich zur Promotion zieht es ihn nach Tübingen und Heidelberg. Anschließend geht er nach Berlin - als Assistent des Philosophen Jacob Taubes an der Freien Universität, wo er sich habilitiert.
Der Politiker: Von 1989 bis 2001 sitzt Berger mit einer kurzen Unterbrechung für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Dabei war er eigentlich eingetreten, weil die Grünen einst als Antiparteienpartei galten. "Ich bin mit den Grünen bürgerlich geworden", sagt er.
Das Ökowerk: Das 1985 gegründete Ökowerk liegt im Grunewald. Die Einrichtung konzentriert sich auf Umweltbildung für Kinder und Jugendliche. Mit Freizeitaktivitäten von Kartoffeldruck bis Wildnis-Survival sollen sie ein Bewusstsein für Natur entwickeln.
Sie sind also ein ökologisches Vorbild?
Ich gebe mir zumindest Mühe. Zum Beispiel bin ich seit Jahren nicht geflogen. Sicher werde ich es irgendwann nicht vermeiden können. Aber ich habe mein Leben so umorganisiert, dass ich, wenn ich verreise, mit der Bahn durch Landschaften komme und das genieße. Und das Haus, in dem ich lebe, ist zumindest gut gedämmt - auch wenn ich als Mieter eine Solaranlage auf dem Dach nicht bei den Eigentümern durchsetzen konnte. Aber ich bleibe dran.
Wie sind Sie zur Umweltbewegung gekommen?
Ich habe in den 60ern studiert, da hat mich natürlich die Studentenbewegung geprägt.
Zu welcher Gruppe gehörten Sie?
Ich hätte mich zum antiautoritären Teil der Studentenbewegung gezählt. Gelitten habe ich, als ich 1970 vom damals noch spontaneistischen Heidelberg nach Westberlin kam. Hier war vieles schon richtig durchstrukturiert, und die K-Gruppen gingen mir auf den Keks.
Aber Umwelt war doch eher ein Randthema.
Ja, in die Ökobewegung bin ich erst durch den Atomkonflikt in den 80er Jahren gekommen. Gorleben und Wackersdorf. Und ein weiterer zentraler Punkt war die Debatte um das Waldsterben.
Vorher hatten Sie mit Umwelt nichts am Hut?
Doch, die Grundlage gab es schon vorher. Meine Mutter ist mit ihren drei Kindern, wann es ging, in die Landschaft gefahren, hat uns Pflanzen und Vögel gezeigt. Später in Berlin war es die Umweltverschmutzung, die sehr präsent war. Die Berliner Luft war damals sehr stark belastet. Durch den Verkehr, es gab ja keine Katalysatoren, durch die noch nicht entstickten und entschwefelten Kraftwerke der Bewag und durch die völlig ungefilterten Rauchgasmengen, die aus der Lausitz hierherkamen. Und natürlich durch den Hausbrand. Ich selbst habe bis in die 90er mit Briketts geheizt.
Obwohl Sie sich für eine sauberere Luft eingesetzt haben.
Genau, ich habe mit anderen eine sehr aktive Bürgerinitiative in Charlottenburg gegründet. Die nannte sich "Atemberaubendes Charlottenburg". Wir waren vor allem für unkonventionelle Aktionen bekannt.
Inwiefern unkonventionell?
Zum Beispiel haben wir einen großen Sarg mit einem Berliner Bären drin durch die Straßen und auch in eine laufende Sitzung der BVV Charlottenburg getragen. Wir haben auch Straßen blockiert. Unsere schönste Aktion war aber, dass wir Smogalarm ausgerufen haben. Wir haben Zettel an die Autos gesteckt, dass wegen der schlechten Luft am nächsten Tag Fahrverbote gelten würden.
Und das hat geklappt?
Das hat vor allem Aufmerksamkeit gebracht. Leider wurden drei Leute von der Polizei in flagranti erwischt.
War die Umweltbewegung damals stärker als heute?
Sie war aktiver, entschlossener, ich sag mal, gewaltfrei militanter. Diese Entschlossenheit, ein Risiko einzugehen, hat mich sehr beeindruckt. Vereinzelt gibt es sie ja auch weiterhin, zum Beispiel bei den Protesten in Gorleben. Dort bin ich fast immer dabei gewesen. Auch, weil ich direkt neben dem Wendland aufgewachsen bin.
Die Bewegung ruft in diesem Herbst zum Schottern auf, dazu, dass jeder einen Stein aus dem Gleisbett entfernt, damit der Castor nicht mehr rollen darf. Werden Sie mitmachen?
Diese Frage beantworte ich klugerweise nicht. Ich weiß mich auch zurückzunehmen, ich bin ja nicht mehr der Jüngste.
Inwiefern sehen Sie bei der Bewegung in den 80ern mehr Entschlossenheit?
Es gab nach der Wende ein Loch. Das hat nichts mit der Wende zu tun, es war einfach zu dem Zeitpunkt so. Da haben die NGOs der Umweltbewegung ihren Schwerpunkt weniger auf die Straße und auf unkonventionelle Aktionen gelegt, sondern stärker auf Verhandlungen. Das ändert sich erfreulicherweise durch die junge Generation gerade wieder. Daher fühle ich mich mit der jetzigen Umweltbewegung stärker verbunden als mit der in den 90er Jahren.
War es denn falsch zu verhandeln?
Grundsätzlich nicht. Aber wir sind zu moralisch gewesen in den 90ern. Das sage ich durchaus selbstkritisch.
Inwiefern?
Na ja, was so alles schlimm und böse ist, diese Kassandra-Rolle. Wir haben den Leuten gepredigt, wie sie sich anders und besser verhalten können. Heute würde ich das nicht mehr tun. Man kann Leute nicht durch Moral auf einen anderen Weg bringen.
Wie dann?
Durch exemplarische Aktionen. Durch überzeugtes Verhalten. Durch positive Lebensbotschaften. Zum Beispiel die Sache mit dem Fahrrad. Ich bin als Abgeordneter in den 90er Jahren einer der Wenigen gewesen, die stets mit dem Fahrrad gekommen sind. Andere Abgeordnete lobten mich, wie konsequent ich doch sei. Ich konnte das überhaupt nicht verstehen, ich bin mein ganzes Leben lang Fahrrad gefahren.
Früher war Angst ein Motor, sich im Umweltbereich zu engagieren. Ist das heute anders?
Ich selbst bin auch stark durch Angst geprägt gewesen, zum Beispiel nach Tschernobyl. Ich habe dabei aber gelernt, dass Angst zugelassen werden muss, um produktiv sein, um sich zu engagieren. Gerade bei jungen Menschen erlebe ich sehr viel Angst vor der ökologischen Entwicklung. Und ich glaube, auch daher kommt der aktuelle Aufschwung der Umweltbewegung.
In den 80er-Jahren wurde auch das Ökowerk im Grunewald gegründet, in dessen Vorstand Sie heute sitzen.
Das Ökowerk war eine ganz friedliche, fast schon konforme Gründung. Das meine ich gar nicht abwertend. Das ist gut, das muss es auch geben. Allein schon, weil man sich nicht nur um die großen Fragen der Umweltpolitik, sondern auch um die kleinen Fragen des Naturschutzes kümmern muss.
Wie zum Beispiel?
Dass Moore trockenfallen, weil zu viel Grundwasser entnommen wird. Dass der Mauersegler immer weniger Nistplätze findet. Dafür habe ich mich im Abgeordnetenhaus engagiert. Anderen Politikern galt das als popelig: Manche haben von Birkenstock-Aktiven gesprochen.
Was für Leute kommen ins Ökowerk?
Vor allem junge Menschen, die hier gerade nicht moralisch, sondern spielerisch lernen, welche Bedeutung Umwelt hat. Über sie werden natürlich auch die Eltern erreicht.
Gibt es Erfolge?
Das ist schwer zu sagen. Messbar ist, dass wir viele ehrenamtliche Mitarbeiter haben und zahlreiche Anfragen von Jugendlichen, die ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr bei uns verbringen möchten. Darüber hinaus haben wir steigende Besucherzahlen.
Es müsste also ein zweites Ökowerk geben.
Das vielleicht nicht. Aber der Senat müsste seine Verpflichtung, Umweltbildung zu fördern, wahrnehmen.
Es geht um Geld.
Ja. Wir könnten sofort eine zweite Person für Umweltbildung einstellen. Dann könnten wir mehr junge Leute betreuen. Die Nachfrage ist entsprechend hoch, denn unmittelbare Naturerfahrung gibt es heute kaum noch.
Wie sieht es denn sonst mit der umweltpolitischen Aktivität des Senats aus?
Eigentlich will ich nicht so viel meckern, ich war jahrelang in der Opposition und hatte dazu genug Gelegenheit. Aber gerade bei Klima und Energie gibt der Senat kein gutes Bild ab. Etwa beim Klimaschutzgesetz, wo er sich in Kleinigkeiten verhakt und von weiter reichenden Vorschlägen aus der Umwelt-, Wirtschafts- und Mieterszene längst überholt worden ist.
Sie saßen für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Sind Sie sicher, dass die es besser machen würden?
Ja, weil in der Politik viel an den Diskussionsprozessen hängt. Daran, dass man gewillt ist, voneinander zu lernen und sich auch zu fetzen. Ökologische Fragen müssen lebendig diskutiert werden, und das ist bei den Grünen der Fall.
In Hamburg werden die Grünen kritisiert, weil sie ein Kraftwerk nicht verhindert haben.
Das war doch absehbar. Deshalb wäre ich an deren Stelle in die Opposition gegangen. Eine Partei darf nur dann die Regierungsverantwortung übernehmen, wenn sie wesentliche Ziele, für die sie eingetreten ist, auch verwirklichen kann. Sonst verkauft man sich für die politische Macht.
Können Sie sich in Berlin Grün-Schwarz vorstellen?
Derzeit nicht. Die unsägliche Position der Bundes-CDU in der Atomfrage steht dagegen. Es geht nicht, dass ich nach Gorleben fahre und mich da am Rande der Legalität verhalte und meine Partei gleichzeitig hier mit einer Partei zusammenarbeitet, die einen derartigen Kotau vor der Atomlobby gemacht hat.
AKWs haben wir hier nicht, aber viel Kritik an Vattenfall, das Kraftwerke mit Holz aus Afrika betreiben will. Ist das nicht besser, als die Lausitz leer zu baggern?
Selbstverständlich ist Holz besser als Kohle, und zwar dann, wenn es aus regionalen Zusammenhängen kommt. Holz in der Dritten Welt einzukaufen halte ich für gänzlich falsch. Die Nutzung ausgedienter Kautschukbäume ist nur der Einstieg, später geht es an die Holzbestände des Regenwalds oder der Savannen. Katastrophal aber auch, weil die einheimische Bevölkerung vieler Drittweltländer einen riesigen Holzbedarf hat, der zum Schwund der Wälder führt.
Aber was wäre denn für Berlin die beste Lösung?
Berlin ist kein Ort für Stromproduktion. In Berlin sollten die Kraftwerke nur so viel laufen, wie es für die Deckung des Wärmebedarfs erforderlich ist. Bei Strom haben Wind und Sonne Vorrang, die in absehbarer Zeit fossile Energien ersetzen.
Studiert haben Sie ja etwas ganz anderes: Philosophie. Wie passt das mit Umweltschutz zusammen? Da geht es schließlich darum, zu handeln statt zu reden.
Man muss ja über sein Handeln nachdenken und sollte überlegt agieren. Ich habe in der praktischen Politik die Erfahrung gemacht, dass ich aufgrund tagesaktueller Zwänge oft zu wenig nachgedacht habe. Wenn man Positionen einnimmt, sollte man sie argumentativ vertreten können. Und man muss lernbereit gegenüber Irrtümern sein.
Aber mit rationalen Argumenten lassen sich Menschen gerade im Umweltbereich wenig überzeugen. Man kann ihnen dreimal erklären, dass die Quecksilberbilanz der Energiesparlampe in Wirklichkeit günstig ausfällt - am Ende sagen sie: Das Licht gefällt mir nicht.
In der mündlichen Kommunikation ist das Argumentieren und Aufeinanderhören zugegebenermaßen nicht leicht, in der schriftlichen Kommunikation spielt es eine größere Rolle. Ein Thema, das mich sehr interessiert, ist die Klimagerechtigkeit. Mich erstaunt immer wieder, wie wenig in unserem Bewusstsein verankert ist, dass wir mit unserem Wirtschaftssystem dafür Mitverantwortung tragen, dass die Monsunregen stärker werden oder im Sahel die Wüsten schneller wachsen.
Intakte Natur im Sinne von ursprünglicher Natur gibt es in Berlin auch nicht mehr.
Ja, unsere Landschaften sind Kulturlandschaften. Aber auch die können mehr oder weniger artenreich und vielfältig sein. Dem Ursprungsgedanken kann ich wenig abgewinnen. Ich bin auch als Großstadtmensch gar nicht so sehr auf entlegene Naturräume orientiert, sondern darauf, die Natur in die Stadt hineinzuholen. Das steigert die Qualität der Wohngebiete und die Identifikation der Menschen mit lebendigen Zusammenhängen. Es ist mir sehr wichtig, dass Fassaden begrünt werden, damit da etwas kreuchen und fleuchen kann. Es ist gut und wichtig, dass in der Stadt Imkerei betrieben wird, dass es wild wachsendes Grün gibt und Freiflächen nicht veröden, sondern wild und bunt und dadurch attraktiv sind. Das ist für mich auch eine Frage der Kultur.
Ist die Stadt da auf dem richtigen Weg?
Ich würde sagen: ja. Ich habe jetzt ein bisschen über den Senat gemeckert, aber mit der grünen Stadtentwicklung läuft das in Berlin relativ gut. Es gibt dort etwa Interesse, Stadtbrachen zu erhalten, anstatt sie einfach abzurasieren. Es geht also voran.
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