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„Der Blick der Betroffenen muss der zentrale werden“

Die Bundestags-Grünen haben ein klares Konzept für den Umgang mit dem kolonialen Erbe. Federführend betreut das Thema die Bremer Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther

InterviewBenno Schirrmeister

taz: Frau Kappert-Gonther, lässt sich Demut politisch gestalten?

Kirsten Kappert-Gonther: Wie jede Haltung lässt sie sich natürlich nicht politisch verordnen. Aber wir können Rahmenbedingungen schaffen, die den Diskurs in einer entsprechenden Art und Weise ermöglicht.

Sie fordern Diskurs und Demut im Umgang mit den kolonialen Hinterlassenschaften …

Ja. Und was wir Grüne deshalb für nötig halten, ist ein zentraler Lern- und Gedenkort, der die Suche danach ermöglicht, wie wir verantwortungsvoll mit unserem postkolonialen Erbe umgehen können. Wie wir diesen Ort gestalten, hat großen Einfluss darauf, wie sich der Diskurs in der Gesellschaft entwickelt. Den Versuch einer Verordnung hielte ich für falsch. Ich will Räume und Möglichkeiten schaffen, sich auf die Suche zu begeben, anstatt von vornherein zu wissen, wo die Reise hingeht. Das ist ein Aspekt von Demut.

Und der zweite?

Ein anderer ist, selbstverständlich gemeinsam mit den Nachfahren der Kolonisierten und zivilgesellschaftlichen Initiativen einen solchen Lern- und Gedenkort zu entwickeln.

Ist eine zentrale Stätte die richtige Gedenkform für ein gesamteuropäisches Verbrechen, das sich oft wie hier in Norddeutschland seit dem 17. Jahrhundert regional organisiert hat?

Nicht allein. Das Erinnern muss auf verschiedenen Ebenen stärker ermöglicht werden. Vor 100 Jahren ist, mit dem Versailler Vertrag, die deutsche Kolonialherrschaft beendet worden. Noch immer wird vielfach vergessen, dass Deutschland Kolonialmacht war, dass im Namen Deutschlands viele koloniale Verbrechen – darunter der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts – begangen wurden. Glücklicherweise gibt es in vielen Orten und besonders in Bremen seit Jahrzehnten Initiativen, die sich genau mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Aber warum brauchen wir dann einen zentralen Ort?

Wenn wir die Verdrängung beenden wollen, ist ein zentraler Lern- und Gedenkort notwendig, und zwar in Berlin, dem politischen Zentrum Deutschlands und der Stadt der Afrika-Konferenz, bei der 1884 ein ganzer Kontinent unter den Mächtigen der Welt aufgeteilt wurde. Ein solcher zentraler Ort wäre in der Lage, sich mit den regionalen Initiativen zu vernetzen. Es wird darum gehen, diese Fäden zusammen zu bringen, den Diskurs in allen Bereichen der Gesellschaft weiterzuführen, den die Initiativen und der französische Präsident durch seine Rede in Burkina Faso angestoßen haben.

… nicht auch der Koalitionsvertrag?

Es ist gut, dass das Thema erstmals in einem Koalitionsvertrag steht. Bloß seither ist seitens der Bundesregierung nichts Substanzielles passiert. Es braucht jetzt richtig Schwung, das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu holen, in Schulen, Hochschulen, Theater und vor allem natürlich in die Museen – denn dort befindet sich ein großer Teil kolonialer Beutekunst.

Welche Rolle kann Bremen dabei spielen?

Kirsten Kap-pert-Gonther, 52, Ärztin, ist seit 2017 Bremer Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen.

Bremen spielt bereits eine relevante Rolle, durch seine Initiativen, auch durch die Arbeit von Wiebke Ahrndt, der Direktorin des Überseemuseums, am Leitfaden für die Museen zum Umgang mit kolonialen Objekten …

Gerade Professorin Ahrndt warnt aber doch, die Sammlungen pauschal als Beutekunst zu labeln, weil sowohl der Erwerb als auch die Sammlungen vielschichtiger seien. Lässt sich der reduktive Blick vermeiden, ohne das Raubgeschehen zu verharmlosen?

Tatsächlich ist die Kenntnis über die Exponate der verschiedensten Sammlungen, die wir bundesweit haben, noch längst nicht ausreichend. Wir kennen häufig die tatsächliche Herkunft eines Objekts und eines Kunstwerks nicht. Oft genug ist auch die Einordnung strittig: Handelt es sich um einen religiösen Gegenstand, ist es Kunsthandwerk? Da macht sich das Fehlen der Mittel für Provenienzforschung schmerzlich bemerkbar. Aber unabhängig davon geht es aus meiner Sicht um eine grundsätzliche Haltung. Ich fordere anzuerkennen, dass Exponate aus kolonialen Kontexten in der Regel einem Unrechtskontext entstammen. In dem Zusammenhang sind die genauen Umstände der Inbesitznahme zu klären.

Also eine Beweislastumkehr?

… nach dem Vorschlag, der momentan auch in Frankreich diskutiert wird. Momentan müssen die Herkunftsgesellschaften noch beweisen, dass die Exponate aus ihren Ländern zu Unrecht entfernt wurden. Wir wollen, dass öffentliche Museen oder ihre Träger nachweisen, dass sie ihre Objekte rechtmäßig erworben haben.

Aber die wissen ja oft nicht mal, was in ihren Depots liegt – oder sogar fehlt, wie das Schwert des Königs von Dahomey, bei dem das Überseemuseum gerade festgestellt hat, dass es seit den 1950ern Teil der Sammlung sein müsste, wo es aber nicht aufgefunden werden kann. Was bedeutet diese kuratorische Missachtung des vergangenen Jahrhunderts?

Daraus spricht möglicherweise die tradierte Behauptung von Ungleichwertigkeit der Kulturen, die in rassistische Denkstrukturen mündet, ohne die kolonialistische Herrschaftsstrukturen gar nicht denkbar wären.

Bloß wie die Folgen dieser Ignoranz aufholen?

Wir werden erhebliche zusätzliche Mittel für die Erforschung dieser Bestände aufwenden müssen, das ist klar.

„Momentan müssen die Herkunftsgesellschaften beweisen, dass die Exponate zu Unrecht entfernt wurden. Wir wollen, dass Museen nachweisen, dass sie ihre Objekte rechtmäßig erworben haben“

Gibt’s da überhaupt schon öffentliche Mittel?

Es gibt Bundes- und Landesmittel für Provenienzforschung, aber die reichen hinten und vorne nicht aus. Das zeigt, dass wir da wirklich bislang einen blinden Fleck hatten. Wir wissen, dass viele Kunstwerke, religiöse Objekte und menschliche Gebeine in unseren Sammlungen liegen. Keiner weiß, wie viele das sind, noch woher die stammen. Ich finde es zentral, dass die menschlichen Gebeine als erstes identifiziert und restituiert werden.

Die Forschung erledigt der weiße Mann mit Hornbrille?

Das wäre natürlich genau nicht das, was angemessen wäre. Das muss in intensiver Zusammenarbeit passieren mit den Expert*innen und Institutionen der Herkunftsländer. Die Ethnologin Larissa Förster spricht von ethnologisch informierter Provenienzforschung – das ist, was uns Grünen vorschwebt. Der Blick der Betroffenen muss der zentrale werden, nicht die Sicht der Museen. Es geht darum, anzuerkennen, dass wir nicht das Maß der Dinge sind.

Was bedeutet das?

Unser Job ist, Möglichkeiten zur Erforschung und Restitution zu schaffen. Das ist unsere Verantwortung. Die dürfen wir nicht wegdelegieren, und zwar nicht nur um der Vergangenheit willen, sondern für die Zukunft. Denn die Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird darüber entscheiden, wie wir heute mit dem globalen Süden, wie wir mit dem Kontinent Afrika umgehen: Wir gründen noch immer unseren Reichtum auf dessen Ausbeutung. Das gehört beendet.

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