piwik no script img

Vier Erfrorene in einem Monat

Ein weiterer Obdachloser stirbt bei Minusgraden. Hinz&Kunzt fordert einen Kältebus nach Berliner Vorbild

Die dritte Tote war „Biggi“, die auf den Stufen des Michels übernachtet hatte, und nicht wieder aufwachte

Von Gernot Knödler

Binnen einen Monats ist der vierte Obdachlose in Hamburg auf Platte gestorben. Wie das Obdachlosenmagazin Hinz&Kunzt mitteilte, hatte der Mann die Nacht bei Minusgraden im Tunnel unter der Lombardsbrücke verbracht. Wegen der vielen Toten hat Hinz&Kunzt gefordert, einen Kältebus einzusetzen, der gefährdete Menschen einsammelt und in Unterkünfte bringt.

Die Stadtreinigung hatte den leblosen Mann am Morgen des 28. November entdeckt. Nach Zählung von Hinz&Kunzt sind damit im Zeitraum vom 28. Oktober bis 28. November vier Obdachlose gestorben. Die erste war Joanna, eine Verkäuferin des Straßenmagazins, die an Unterkühlung starb. Die taz berichtete ausführlich über ihr Schicksal.

Ein Pole, der Anfang November auf einem alten Fabrikgelände starb, wurde nicht obduziert. Die dritte Tote war „Biggi“, die auf den Stufen des Michels übernachtet hatte, und nicht wieder aufwachte. Laut Hinz&Kunzt starben beide in Nächten mit Minusgraden.

„Dass vier Menschen innerhalb eines Monats auf der Straße sterben, ist ein Alarmzeichen, das die Stadt nicht weiter ignorieren darf“, sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei Hinz&Kunzt. Das bisherige Hilfesystem reiche nicht aus. Es müsse nachgesteuert werden.

Karrenbauer und Kollegen schlagen vor, einen Kältebus nach Berliner Vorbild einzurichten, der die bekannten Schlafplätze abklappert und hilflose Obdachlose in die Unterkünfte des Winternotprogramms bringt. „Das würde Leben retten“, sagt Karrenbauer. Zumal 200 Betten des Winternotprogramms bisher nicht genutzt würden.

Auch Max Bryan von der Ini­tiative „Hilfe für Hamburger Obdachlose“ hält den Kältebus für eine gute Idee. Er gibt allerdings zu bedenken, dass die Plätze in den Massenunterkünften des Notprogramms nicht ohne Grund leer blieben. Viele Obdachlose hätten Tiere, die sie nicht mitbringen dürften; viele seien Einzelgänger. Und: „Viele verlassen nicht die Platte, weil sie Angst haben, dass die von anderen okkupiert wird“, sagt Bryan.

Aus seiner Sicht wäre ein Dorf aus Einzelcontainern eine Lösung. Seine Initiative sammelt Geld für solche Container. Für den Januar kommenden Jahres plant sie eine Demonstration für die Rechte Obdachloser.

Der Hamburger Senat wies gegenüber der Linken-Abgeordneten Cansu Özdemir darauf hin, das jede Unterstützung und Hilfe letztlich nur ein Angebot sei. Zum Thema Kältebus sei „die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen