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heute in hamburg„Pränatale Diagnostik muss sich ändern“

Urszula Wolek

Kirsten Achtelik, 40, ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin. Sie promoviert an der HU Berlin und arbeitet für das „Gen-ethische Netzwerk“.

Interview Philipp Effenberger

taz: Frau Achtelik, gibt es unter Feministinnen verschiedene Auffassungen zum Thema Abtreibung?

Kirsten Achtelik: Nicht zum Thema Abtreibung, aber bei Abtreibungen nach pränataler Diagnostik. Der „Pro-Choice-Fraktion“ ist es am wichtigsten, den Frauen zu vertrauen und die persönlichen Gründe nicht in Frage zu stellen. Eine andere Fraktion, vor allem von Feministinnen mit Behinderungen, findet die gezielte Suche nach Abweichungen beim Fötus bedenklich.

Ist pränatale Diagnostik denn generell ein Fortschritt?

Nein, weil die Tests technisch nicht so ausgereift sind, wie die Leute glauben. Bei den neuen Bluttests wird vielen jüngeren Schwangeren ein Verdacht auf Chromosomenabweichung mitgeteilt, der sich als falsch herausstellt. Die Firmen, die diese Tests anbieten, sprechen aber von 99-prozentiger Sicherheit. Diese Zahl ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Außerdem ist die Struktur von pränataler Diagnostik fragwürdig. Warum muss man alle Abweichungen, beispielsweise bei den Geschlechtschromosomen oder Trisomie 21, so frühzeitig finden? Diese „Defekte“ kann man sowieso nicht behandeln. Die Frauen können sich nur entscheiden, das Kind nicht zu wollen oder „trotzdem“ zu bekommen. Das halte ich für keinen Fortschritt.

Sind pränatale Untersuchungen behindertenfeindlich?

Vortrag: „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldia­gnostik, Abtreibung“, 19 Uhr, Universität Hamburg, Von-Melle-Park 5, Raum 0079

Nicht alle, aber bestimmte schon. Große medizinische Fortschritte der letzten Jahre haben die Kinder- und Frauensterblichkeit deutlich gesenkt. Was sich aber total ausgeweitet hat, ist die gezielte Suche nach Abweichungen. Im Kern ist das behindertenfeindlich. Vor allem im Kontext einer behindertenfeindlichen Gesellschaft, die Behinderung nur als Problem sieht.

Was genau muss sich ändern?

Ganz viel. Das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen muss weg. Auch dass Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch steht, macht keinen Sinn. Frauen, die abtreiben wollen und müssen, sollten ausreichend ÄrztInnen dafür finden. Auch die Struktur von pränataler Diagnostik muss sich ändern. GynäkologInnen müssten Frauen vor der Untersuchung fragen, was genau sie wissen wollen und wovor sie sich fürchten. Außerdem brauchen wir wirkliche Inklusion, damit die Gesellschaft die Angst vor Menschen mit Behinderung verliert.

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