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Strom ohne Umwege

Eine neue Plattform vermittelt in Nordfriesland zwischen Stromerzeugern und Abnehmern. Das ist gut für die Energiewende, aber die Gesetze bevorzugen weiterhin fossile Energien

Von Esther Geißlinger

Strom im Überfluss: Am Folgetag um 12 Uhr produzieren die Windräder in Damp an der Ostsee, in Dagebüll an der Nordsee und in 115 weiteren Gemeinden in Schleswig-Holstein vermutlich mehr Energie, als über die Netze abtransportiert werden kann. Ablesen lässt sich diese Prognose auf der Website „Energie intelligent koordinieren“ (Enko).

Die Internetplattform haben der Netzbetreiber Schleswig-Holstein Netz AG und die Arge Netz, die Interessenvertretung von rund 340 mittelständischen Erzeugern von Energie aus Wind, Biogas oder Photovoltaik in Schleswig-Holstein, entwickelt. Enko soll Stromabnahme und -produktion besser aufeinander abstimmen. Doch die Verantwortlichen beklagen, dass die Gesetzeslage Strom aus fossilen Energien bevorzugt.

Zurzeit werden Windräder abgeschaltet, wenn die Netze die Energie nicht aufnehmen können. 3.000 Gigawatt-Stunden nachhaltiger Strom, genug, um Kiel und Umgebung auf Jahre hinaus zu versorgen, kommen „gar nicht erst auf die Energieautobahn“, sagt Matthias Boxberger, Aufsichtsratsvorsitzender der Netz AG. Ist die Autobahn voll, soll es nun die Landstraße richten: Die Energie soll also vom Windrad möglichst ohne Umweg in den privaten Haushalt, die E-Tankstelle oder das Wärmekraftwerk – und zwar dann, wenn sie erzeugt wird.

Über die neue Plattform können Firmen oder Haushalte nachschauen, ob es in ihrer Region überschüssige Energie gibt, und Bedarf anmelden. Einen Testlauf mit zwölf Kunden hat das Projekt hinter sich, allerdings bisher nur virtuell – Strom floss noch nicht. Das soll ab Januar anders werden, wenn die Plattform „scharf gestellt“ wird, so Boxberger. Zu den TeilnehmerInnen des Probelaufs gehören die Stadtwerke Flensburg und der Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog.

Viele Haushalte der Modellgemeinde für „Wind und Wärme“ haben Hybridheizungen, die an das lokale „Erneuerbare-Energien-Kraftwerk“ angeschlossen sind. Öl verbrennen die Heizungen nur, wenn es keinen Windstrom aus dem örtlichen Windpark gibt. „Wir müssen mehr Strom vor Ort verbrauchen“, sagt Martin Grundmann. Für den Geschäftsführer der Arge Netz ist „Strom fürs Netz produzieren wie Kartoffeln auf dem Feld lassen und hoffen, dass die Kunden sie abholen“.

Wind abschalten

Über die Stromkabel in Deutschland fließt nicht nur die Energie, die hier erzeugt und verbraucht wird, sondern auch Strom, der durchgeleitet wird, etwa von Skandinavien nach Südeuropa.

Durch den Ausbau von Windparks und Photovoltaik erzeugt der Norden mehr Energie als vor Ort verbraucht wird. Die Netze sind darauf noch nicht ausgelegt. Es kommt fast täglich zu Engpässen.

Abgeregelt, vom Netz genommen, werden kleinere Anlagen, also Windparks oder Photovoltaikanlagen. Die Betreiber erhalten eine Entschädigung, so wird der nicht genutzte Strom dennoch bezahlt.

Lob für das Projekt gibt es auch von der Landesregierung. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) appellierte an Firmen im Norden, sich an dem Projekt zu beteiligen. „Ich sehe darin einen sehr guten Ansatz, den Energiemarkt schlanker und schlagkräftiger zu machen, um Energieengpässe zu beseitigen“, sagte er. Ein „wichtiger Baustein“ und ein Modell für die ganze Republik sei die Enko-Plattform, so eine Sprecherin des Umwelt- ministeriums zur taz.

Blöd nur, dass bei der Gesetzeslage die KundInnen kaum anders können, als das Angebot des Einspeisemanagements auszuschlagen. Wer mit Windstrom heizen will, zahlt drauf: Rund fünf Cent kostet Heizöl für eine Kilowattstunde. Für eine solche Menge Windenergie müsste ein Haushalt rund 30 Cent ausgeben. Zwar zahlen die Haushalte und Firmen, die zurzeit den Probelauf der Enko-Plattform mitmachen, nur rund die Hälfte – dank einer Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums. Wer nicht zu diesem Kreis zählt, bekommt keine Vergünstigung.

„Wir haben die Energie, wir haben die Technik – aber wir haben nicht die notwendigen Gesetze“, sagt Grundmann. „Wir haben die dritte Bundesregierung in Folge, die bei der Energiewende zu langsam ist.“ Er hofft, dass die Regelungen den Realitäten angepasst werden: „Wir zeigen durch die neue Plattform, dass Nachfrage und Bedarf da sind.“

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