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Opa hat richtig Durst

Das Figurentheater Mensch Puppe präsentiert mit „Dracula“ sein Erwachsenenstück der neuen Spielzeit. Den Gruselklassiker spielen sie mit großer Freude nah am Original –und das macht trotz kleiner Schnitzer außerordentlich viel Spaß

Von Jan-Paul Koopmann

Was ist gruseliger: Vampire, oder hinterlistig dreinblickende Puppen in altertümlichen Kleidern? Ist doch wurscht, könnte man meinen, weil das Figurentheater Mensch Puppe in seinem „Dracula“ ja nun eh beides zugleich auf die Bühne bringt. Diese Rechnung wäre aber ohne Leo Mosler gemacht. Als alleiniger (menschlicher) Darsteller vollbringt der nämlich das Kunststück, dieser Verbindung von untotem Spielgerät und untotem Blutsauger noch ein paar Gruselpotenzen extra zu entlocken. Oder anders: Die Kombination gruselt mehr als die Summe ihrer Teile.

Warum das so ist, hat dann aber weniger mit diesem schiefen Mathebild zu tun als mit Moslers solidem Schauspielhandwerk und einem Trick. Als Erzähler und Spieler liegt seine Sympathie nämlich immer etwas mehr bei den Bösen. Ob er sich nun mit der Draculapuppe auf dem Arm inbrünstig schmatzend auf die arme Mina stürzt, oder in aristokratisch-arrogantem Ton von den verzweifelten Aktionen der menschlichen Figuren berichtet: Den Helden gilt Zynismus, dem vampirischen Grafen hingegen lustvolle Verehrung.

Auf solche Details kommt es an, denn die Geschichte kennen Sie ja eh, dank buchstäblich Hunderten von Nacherzählungen, Umdichtungen, Spin-offs, Crossovern und Parodien. Philip Stemanns Inszenierung wagt es dennoch nah an Bram Stokers Roman. Und das gelingt insgesamt auch recht gut, auch wenn die Fassung mitunter etwas grob gekürzt scheint. Auf den Psychiater Doctor Seward etwa lässt sich zwar tatsächlich leicht verzichten, seine Parts hat Stemann schlüssig dem Vampirjäger van Helsing zugeschustert. Nur irritieren dann eben die im Grunde überflüssigen Hinweise auf dessen niederländische Herkunft, weil die Mischfigur nun zugleich in Amsterdam und in Draculas Londoner Nachbarschaft zu wohnen scheint. Aber Schwamm drüber. Spaß macht das neue Erwachsenenstück der Puppenbühne trotzdem – ganz großen sogar.

Die Sympathie des Erzählers gilt stets ein bisschen mehr den Bösen

Die gucken ja auch so herrlich, diesen zauberhaften Puppen aus der Werkstatt von Matthias Hänsel. Ganz besonders Holmwood mit offenem Mund, der über diverse Licht- und Kontextwechsel beweist, dass man in wirklich jeder Lebenslage Maulaffen feilhalten kann. Moslers verteilt seine Spielfreude erfreulich klar sortiert auf seine Figuren. Man erkennt sie schon an Akzent und Spleen, bevor er sie tatsächlich auf dem Arm hat. Das gelingt durchgehend selbst in Gruppenszenen, dem natürlichen Fressfeind aller Solist*innen. Dass Mosler obendrein auch noch ein paar Nebenrollen und den Erzähler gibt – es fällt schon gar nicht mehr auf in dieser Jonglage.

Insgesamt jedenfalls ist dieser „Dracula“ ein echtes Bonbon im Mensch-Puppe-Repertoire für Erwachsene und ganz allgemein ein lohnenden Abend in Sachen Grusel.

Nächste Aufführungen: 20. und 26. 10. sowie 8., 9. und 22. 11., 20 Uhr, Mensch Puppe

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