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Die Akte Bruno Lüdke

Das Buch „Fabrikation eines Verbrechers – Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte“ zeigt auf, wie während der NS-Zeit aus einem Gelegenheitsdieb ein minderwertiger Serienkiller gemacht wurde – und wie der Fall später ein Stück Mediengeschichte abbildet

Mario Adorf in der Rolle des Bruno Lüdke Foto: Akademie der Künste Berlin

Von Claudia Lenssen

„Kommen Sie mal mit zum Polizeipräsidium.“ Kommissar Franz will Bruno Lüdke verhaften, den er für einen gesuchten Frauenmörder und bald den schlimmsten Serienkiller des deutschen Reiches hält. Lüdke wird in Robert Siodmaks Film noir „Nachts wenn der Teufel kam“ von Mario Adorf verkörpert. Der Typ mit kräftiger Statur, Schiebermütze und Berliner Zungenschlag ist ein Gelegenheitsdieb, aber kein Verbrecher. In der Szene weiß er sich zur Wehr zu setzen, bis ihn der Kommissar niederboxt und einsperrt.

Lüdke gerät in Siodmaks Film noir zwischen die Räder der NS-Diktatur. „Nachts wenn der Teufel kam“ setzte sich 1957 nach einem authentischen Fall aus den Kriegsjahren mit der rassistischen Biopolitik der Nazis auseinander. Der Kommissar erklärt seine suggestiven Verhörfragen fleißig zu Wahrheitsbeweisen und verteidigt sein Konstrukt, mit Brunos konfusen Geständnissen 84 Mordfälle im deutschen Reich ermittelt zu haben. Die SS in Gestalt eines zynischen Gruppenführers will mit dem „geistig minderbemittelten“ Täter ihre Politik des Massenmords an all jenen legitimieren, die ihrer wahnhaften Idee der Züchtung einer elitären Herrenrasse im Weg stehen. Am Ende wird der wahre Mörder liquidiert und Lüdke zum Verschwinden gebracht: Die öffentliche Verhandlung der Morde wäre ein propagandistisches Debakel geworden, denn im faschistischen Ordnungsstaat hätten solche Verbrechen nicht geschehen dürfen – Siodmaks böse, makabre Anspielung auf die ungeheuerliche Dimension der tatsächlichen Massenmorde, die das deutsche Kinopublikum gern verdrängte.

Rassistischer Wortschatz

Lüdkes Geschichte traf auf perverse Weise den Nerv der Zeit. Das Drehbuch zu Siodmaks Film griff auf Klischees zurück, in denen rassistische Muster wiederauflebten. „Nachts wenn der Teufel kam“ fußte auf populären Kolportagen, die den Fall in den 1950er Jahren prominent bekannt machten. Einerseits ging es da um ein unschuldiges Opfer der Nazis, als das sich die Deutschen nur zu gern selbst sahen, andererseits wurde der Verdächtigte in den mit tendenziösen Polizeifotos gespickten Schauergeschichten in einer Schreibe dargestellt, die an den rassistischen Wortschatz der Nazis anschloss, wann immer Lüdkes Monstrosität als Gorilla, dumpfer Unhold und Tiermensch in Szene gesetzt wurde.

Mit ihrem stattlichen Kompendium „Fabrikation eines Verbrechers“ untersuchen Susanne Regener und Axel Doßmann die Darstellungen des Falls Bruno Lüdke und damit die Geschichte rassistischer Bildproduktion. Die beiden Kulturwissenschaftler gehen in diesem Buch voller Fundstücke der Frage nach, wie die Rassenpolitik der Nazis seinerzeit die Kriminalistik durchdrang und die Alltagsstrategien aller bestimmte, die in Bruno Lüdkes Fall involviert waren.

In den angenehm knappen, gut lesbaren Studien untersuchen sie Bilder und Dokumente zu dem authentischen Justizverbrechen an Bruno Lüdke und schließen auf dieser Basis eine detailreiche Materialsammlung zu Boulevard- und Magazinberichten, Büchern, Plakaten und Filmen an, in denen das Faszinosum des angeblichen Serienkillers bis in die Gegenwart mit rassistischen Subtexten weiterwirkt.

Lüdke, 1908 in Berlin-Köpenick geboren, war ein ehemaliger Sonderschüler, Analphabet und Tagelöhner, der bei der Mutter und zwei Schwestern lebte und wegen kleiner Diebstähle polizeibekannt war. Das reichte, um ihn als „minderwertig“ in die Fänge des rassenpolitisch gelenkten Gesundheitsamts zu treiben. Lüdke wurde für unmündig erklärt und 1940 zwangssterilisiert. So bereits stigmatisiert, nahm ihn die Polizei ins Visier, als man 1943 eine ermordete Frau im Köpenicker Wald fand.

Kriminalkommissar Franz, ein SS-Mitglied, machte sich mitten im Krieg und auf dem Höhepunkt der Massendeportationen verbissen daran, seinen Häftling als monströsen Einzeltäter darzustellen. Eingeschüchtert, gutwillig und desorientiert gestand er alles, was man ihm vorlegte, nach aufwändigen Reisen zu Tatorten schließlich eine komplette Mordserie, die zwischen 1925 und 1943 unaufgeklärt geblieben war. Unmöglich, dass der geistig behinderte Mann, dessen Familie solide Alibis vorlegte, als Mörder unterwegs gewesen sein sollte.

Wohliges Gruseln

Die Akte Bruno Lüdke ist längst ein Paradigma, an dem sich 80 Jahre deutscher Kultur- und Mediengeschichte aus unterschiedlichsten Perspektiven aufblättern lässt. Das Buch legt faksimilierte Verhörprotokolle, amtsärztliche Bescheide, interne Polizeiberichte und Abbildungen von Fundstücken aus der polizeihistorischen Sammlung Berlins vor, darunter Lüdkes Büste, die als Anschauungsmaterial für das Aussehen eines „Minderwertigen“ dienen sollte.

Kaum waren Nazizeit, rassistischer Massenmord und Krieg aus dem Gedächtnis der Deutschen ausgesperrt, brachte die Presse ihren Lesern mit retuschierten Tatsachen wieder wohliges Gruseln bei. In der Münchener Illustrierten erschien die schaurig aufgepeppte Geschichte Lüdkes, deren vielsagenden Titel „Nachts wenn der Teufel kam“ Robert Siodmaks Produzentin für den Film entlieh.

Schon 1950 griff Rudolf Augstein die spektakuläre Story im Spiegel auf und stützte sich dafür auf Material ehemaliger Kriminalisten. Diese Lobby hatte ein Interesse daran, die Behörde hinter Kommissar Franz als politisch neutrales Spitzenpersonal darzustellen, das unabhängig von nazistischer Biopolitik und Euthanasie ermittelte, entlastet genug, in den Beamtenstatus der Kriminalpolizei übernommen zu werden.

Dass Bruno Lüdke nie der Prozess gemacht worden war und er 1944 in Wien in einem Sondergefängnis der obersten Nazi-Kriminalbehörde bei medizinischen Experimenten auf ewig verschwand, machte niemanden stutzig.

Axel Doßmann, Susanne Regener: „Fabrikation eines Verbrechers – Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte“. Spector Books, Leipzig 2018, 332 Seiten, 38 Euro

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