piwik no script img

Als alles aus ist, beginnt es von vorn

Ein Familiendrama von Yael Ronen und ein zaubermärchenhafter Daniil-Charms-Abend des Exil-Ensemble im Gorki Theater

Von Katrin Bettina Müller

Wo Schmerz ist, da wird viel gelacht. Das ist zumindest bei der Regisseurin Yael Ronen gern so, die dem Maxim Gorki Theater damit schon viele gute und dazu einige hervorragende Abende beschert hat. Manchmal ist die Rettung in die Komödie zwar womöglich ein naheliegender Weg, zumal wenn man dafür so virtuose Schauspieler hat wie Orit Nahmias und Dimitrij Schad, aber auch ein zu leicht gegangener.

Da scheint etwas greifbar nahe in ihrem neuen Stück „A Walk on the Dark Side“ und wird dann doch dem schnellen Spiel und einem Plot geopfert, der am Ende um die Frage kreist, wer hat hier eigentlich wen gefickt. Ein Eifersuchtsdrama also unter den drei Brüdern Matthias, Immanuel und David und den beiden Schwägerinnen Magda und Mania.

Was zunehmend weggequatscht wird, ist das Dunkle, das dem Stück seinen Titel gab. Am Anfang treten Immanuel (Dimitrij Schaad) und Matthias (Jonas Dassler) als zwei konkurrierende Brüder an, der erste hat für seine Forschung über dunkle Materie gerade den Nobelpreis bekommen, der zweite brilliert in TED-Talks, die Wissenschaft ins Allgemeinverständliche übersetzen. Doch sosehr Matthias sich dort als guter Kommunikator erweist, scheitert er daran, seine dem Selbstmord stets nahe Freundin Magda (Lea Draeger) zu verstehen. Die sich wiederum beim dritten Bruder David (Jeff Walbusch) gut aufgehoben fühlt, der ebenfalls eine imponierende Akte von Klinik­aufenthalten und Selbstzerstörungsversuchen aufzuweisen hat.

Einmal sitzen David und Magda zusammen, zeigen sich ihre Narben von Selbstverletzungen und sind beide erleichtert, endlich mit jemand zu reden, dem man sich nicht erklären muss, der den Sog der tiefen Dunkelheit im eigenen Inneren kennt. Kurz denkt man da an die verzweiflungsvollen Texte von Sarah Kane und wie sie einen umhauen und mit dem Unzugänglichen der Depression konfrontieren. Aber das passiert hier nicht.

Die dunkle Materie des Universums, die alles zusammenhält, die dunkle Energie, die alles auseinandertreibt, von der die Brüder reden, sie bleibt Dekor in diesem Stück, sie verbindet sich nicht mit den Erfahrungen der Gequälten. Deren Nöte letztlich auch über den Plot fein soziologisch und psychologisch aufgedröselt werden.

Also kein tiefer Blick in die Depression, eher ein unverbindliches Händeschütteln. Das guckt sich gut weg. Ein pantomimisches Tennismatch ist der Höhepunkt an Slapstick bei diesem Familiendrama, das bei einer Feier ausbricht. Super gespielt und ein bisschen abgegriffen.

„A Walk on the Dark Side“ war die zweite Premiere an einem insgesamt lustigen Abend im Gorki. Die erste im Studio R des Gorki galt „Elizaveta Bam“, einem Klassiker von Daniil Charms, 1928 von ihm selbst in Leningrad uraufgeführt. Es ist eine dadaistische und surreale Textcollage, in der sich vieles reimt wie im Kindertheater, die Agenten der Staatsmacht groteske Marionetten sind und die verfolgte und des Mordes beschuldigte „Elizaveta Bam“ mit ihrem langem grünen Zopf wie dem Kindermärchen entsprungen wirkt. Natürlich vermutet man hinter den zwischen Verhören und Verwandlungen hin- und herspringenden Szenen Anspielungen an stalinistischen Terror und Säuberungen. Zumal in einem Prolog der Dichter selbst verhört wird und neben antisowjetischer Literatur auch seinem Hungertod 1942 gesteht.

Also kein tiefer Blick in die Depression, eher ein unverbindliches Händeschütteln

Geschosse aus Dada und Nonsens werden hier gegen einen Feind abgefeuert, der selbst stets nur mit absurden Argumenten auftritt. Das wirkt selbst wie ein Märchen, dass man so spielerisch und mit übertrieben zur Schau gestellter Naivität gegen den Terror zu kämpfen versuchte – tatsächlich wurden viele Texte von Charms erst viel später, während der Perestroika, bekannt. Die märchenhafte Kulisse passt zu diesem imaginären Kampf gegen Riesen. Tatsächlich lässt das halb gemalte, halb gebaute Zimmer die Schauspieler der Verfolger immer wieder wie Riesen in der Tür erscheinen, während der schräge Boden sie ständig wegrutschen lässt.

Es spielt das Exil-Ensemble des Gorki, die Schauspieler kommen aus Syrien, Palästina, Saudi-Arabien, sprechen meistens auf Deutsch mit genau jener Spur von Akzent, die den Worten wie vorsichtig im Mund nach vorne geschoben einen ungewohnten Klangkörper gibt, der sich bestens mit Charms’ Wortspielen verbindet. Ob die Spieler des Exil-Ensembles ­möglicherweise selbst Diktaturen erfahren haben, man weiß es nicht, denkt es sich aber hinzu.

Die Kostüme sind bunt, die Bärte lang, das Spiel ist artistisch, das Timing genau, und die begleitende Musik von Jens Dohle unterzieht die Inszenierung von Christian Weise mit einem Takt, als ob man sich in einer riesigen Jahrmarktsmaschine befände. Und als alles aus ist, beginnt es unerbittlich wieder von vorn.

„Elizaveta Bam“ wieder am 28. April, 5. + 6. Mai im Studio R, „A Walk on the Dark Side“, wieder 1./4. + 15. Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen