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Kunst kann Aufklärung schaffen

Vollversammlung im Tipi am Kanzleramt: Johannes Kram feiert am Mittwoch sein Buch „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“

Jetzt auch mit Buch: Kabarettist und Schauspieler Johannes Kram Foto: Xamax/dpa/picture alliance

Von Jann-Luca Zinser

Voll ist es im Tipi am Kanzleramt. Vor allem vor und auf dem Männerklo. Verschiedene Duftwolken mischen sich mit dem präsommerlichen Geruch von Weinschorle, aber auch die Herbe von Bier liegt in der Luft. Vor der Tür wird viel geraucht. Es ertönt ein Gong, von Hand geschlagen, und die Massen drängen in den Saal. Johannes Kram präsentiert sein Buch „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“ in Theatermanier mit queerem Starensemble. Der dauernervöse aber souverän moderierende Kram hat eine minutiös geplante, abendfüllende Inszenierung auf die Beine gestellt, es wird gelesen, gesungen, diskutiert und gelacht – nicht nur ein bisschen politisch und noch glamouröser.

Die schauspielenden Szenegranden Pierre Sanoussi-Bliss und Matthias Freihof deklamieren ausgewählte Kapitel der jüngst erschienen Sachpolemik und fühlen sich im Scheinwerferkegel dabei ein bisschen wie Statler und Waldorf, die beiden alten Balkon-Dauerkartenbesitzer aus der Muppetshow. Es wird viel applaudiert, auch für die ausführlichen O-Töne vom Journalistenduo Jan Feddersen (taz) und Juliane Löffler (Buzzfeed) wie für die Songs aus der „Operette für zwei schwule Tenöre“, die den musikalischen Reigen, ja den ganzen Abend eröffnen.

Wie gewollt umfliegt ein dicker Käfer im Scheinwerferlicht den zweiten Sänger, auf und ab im Takt des Tenors. Die Lücken beim Entschädigungsgesetz werden diskutiert und die Rehabilitation von Volker Beck nach dem Meth-Skandal, aber erst nach dem paillettenglitzernden Discokugelauftritt der stimmmächtigen, frisch gebackenen 70(!)-jährigen Romy Haag. Dass Theater in Johannes Krams Berufserfahrung steckt, bleibt allgegenwärtig, wie oft gibt es beiBuchpräsentatione eine Pause? Die wird beendet von Jade Pearl Baker, Dragqueen mit riesenhafter, schmaler Silhouette im Nebel der Maschinen mit noch größerer Stimme, die nicht nur manchmal an Amy Winehouse erinnert.

Juliane Löffler und Stephanie Kuhnen debattieren im Lesbentalk über Tofu als schwules Fleisch und überhaupt: Ist vegan das neue schwul? Dissens kommt nur selten auf, das ist auch gut so. Zumindest im Rahmen dieser Veranstaltung, es soll ja irgendwie auch gefeiert werden. Musicalstar Felix Martin macht das auf der Bühne, das kann er, die große Show. Und singt noch eine spontan eingeübte Eigenkomposition von Johannes Kram und seinem Stammpianisten und Freund Florian Ludewig. Dann wird es nochmal komisch, bleibt es komisch – gelacht wird fast den ganzen Abend – Georg „Die Ueckerin“ Uecker hat noch seinen Auftritt, diskutiert mit Jan Feddersen die Homophobie in der deutschen TV- und Late-Night-Landschaft. Ernstes Thema, aber mit Witz ist es doch bekömmlicher. Aufhänger ist das Buchkapitel „Ist doch nur Spaß“, das mit einem Zitat zum schwulenfeindlichen Oliver Pocher als Posterboy der Community aufmacht, erschienen im Spiegel. Großes Gelächter im Zelt, auch Feddersen und Uecker lassen es sich nicht nehmen, dem unsäglichen Clown jede Fähigkeit zum Posterboytum abzusprechen.

Dissens fehlt, das ist auch gut so. Im Rahmen dieser Veranstaltung soll gefeiert werden

Unterhaltsame Show

Eine wirklich große, dauerhaft unterhaltsame Show findet ein Ende ohne die ganz große Diskussion, die es aber dringend braucht. Es bleiben mehr Fragen offen, als geklärt werden konnten, angestoßen wurde aber vieles. Wie etwa schließt man die Lücke im genannten Gesetz, die dem als Homosexuellen verfolgten Wolfgang Lauinger aus Ermangelung einer Verurteilung, aber lange Zeit in Untersuchungshaft, eine Entschädigung versagte? Wie schafft man öffentlichen Raum für eine solche Debatte in einem Deutschland, das solche Probleme oft abtut nach dem Motto „Was denn noch“? Es müssen mehr Verbindungen geschaffen werden, die Frage, wie man bei einer solchen, in jeder Hinsicht sehenswerten, Veranstaltung ein heterogeneres Publikum gewinnen kann, stellt sich als Quasi-Dilemma heraus. Die Sichtbarkeit, Kontaktpunkte, es gibt sie, aber nur und zu wenige. Kunst kann Aufklärung schaffen, wenn sie eine Bühne bekommt. Da muss früher angesetzt werden, in der Schule schon. Wieso nicht im Musikunterricht „Ein Liebeslied von Mann zu Mann“ aus der „Operette für zwei schwule Tenöre“ singen?

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