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Meine Fresse!

Sogar Lars Eidinger hat welche: Grillz, goldene Zahnaufsätze, die man aus dem US-HipHop kennt. Der Berliner Sebastian Gündel macht mit den Accessoires ein glänzendes Geschäft

Von Daniel Kastner (Text) und Wolfgang Borrs (Fotos)

Der Geschäftsführer empfängt in Weiß: weißes Real-Madrid-Trikot, weiße Laufhosen, weißes Baseball-Cap mit Mercedes-Benz-Logo. „Ich wäre auch mit meinem Benz gekommen, aber der hat schlappgemacht“, sagt Sebastian Gündel, grinst und entblößt einen Mund voller Gold. Das passt zu seinem Style, wirbt aber auch fürs Geschäft.

Denn Gündel macht in „Grillz“, goldenen Zahnaufsätzen, die man bislang eher aus der US-amerikanischen HipHop-Szene oder dem Oscar-gekrönten Film „Moonlight“ kannte, die aber auch auf Laufstegen und in Modekatalogen aus immer mehr Mündern blinken, bei Männern wie Frauen, auf einzelnen Zähnen oder als ganzes „Piece“.

Gündels Onlineshop mein-zahnschmuck.de ist im August als Untermieter in das Dentallabor im betuchten Berliner Westend eingezogen. Gündel bittet ins Sprechzimmer. Unter seinen weißen Turnschuhen knarrt das Fischgrätenparkett, am Handgelenk prangt eine dicke goldene Uhr, die Dreadlocks reichen ihm bis zum Hintern. Seine Mitarbeiterin Ulrike arbeitet am Schreibtisch Kundenanfragen per E-Mail und am Telefon ab.

„Am besten läuft aber Instagram“, sagt Gündel, der dort @goldjunge030 heißt. Auch die Werbung läuft über das Fotonetzwerk – kostenlos. Glückliche Goldkinder grinsen auf Selfies, taggen ihre Fotos mit #mein-zahnschmuck, und mit einem Klick landen InteressentInnen bei Gündel. Auch der Kontakt zu seinem heutigen „Produktionsleiter“ Adrian Bayer kam so zustande. „Der hat meine Grillz gesehen und gesagt, übelst geil, daran würde ich gern mal mitbauen“, erzählt Gündel. „Wir kannten uns vom Football, haben in Neukölln mal in derselben Mannschaft gespielt, aber ich wusste gar nicht, dass er Zahntechie ist.“

Nebenan in der Werkstatt räumt Adrian Bayer gerade seinen Arbeitsplatz auf. Er sortiert Spachtel, Schaufeln, Fräsen, Trennscheiben und Walzen in Plastikschalen, kehrt Staub und Abrieb in eine große Schublade. Bayer ist 32, zwei Jahre älter als Gündel, er trägt das Baseballcap mit dem Schirm nach hinten, kurze Hosen, Rauschebart und Sandalenschlappen. „Wenn das so weitergeht, wird die Location hier ziemlich zeitnah zu klein“, sagt er. Vierzig Bestellungen schafft er im Monat, bis jetzt macht er alles alleine. Manchmal sitzt er bis abends um elf an seiner Werkbank, manchmal wirft er Ofen und Gießanlage auch am Wochenende an.

Gündel dreht sich am Fenster eine Zigarette. Auf einem gerahmten Instagramfoto auf der Fensterbank bleckt Schauspieler Lars Eidinger zwei goldene Zahnreihen, 18 Karat. „Die haben wir für Lars gemacht“, erzählt Gündel. „Er trägt sie jetzt immer, wenn er in der Schaubühne auflegt.“ Seine Firma hat schon Grillz für die Gangsterserie „4 Blocks“ gefertigt und für Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng.

Zu den Kunden gehörten auch „Leute aus dem Milieu, Türsteher, Zuhälter, Leute von der Straße. Die können sich mehr leisten als Leute in einem normalen Arbeitsverhältnis.“ Denn Grillz sind teuer, ein goldenes Piece aus sechs Zähnen, von Eckzahn zu Eckzahn, kostet über tausend Euro. Auch „Muttis mit ihren Töchtern“ kämen, ein Drittel der Kundschaft seien inzwischen Frauen, Tendenz steigend. Heute erwartet Gündel zwei Kundinnen, die ihren Zahnschmuck abholen wollen. Wer bei ihm Grillz bestellt, muss erst einen professionellen Zahnabdruck einsenden. Den nimmt entweder Adrian Bayer direkt im Dentallabor oder der Kunde fragt seinen Zahnarzt.

Es klingelt, vor der Tür steht Steph. Gündel umarmt sie zur Begrüßung. Steph ist 24, tätowiert an Armen und Beinen, im Nacken und im Gesicht. Sie arbeitet im Einzelhandel, modelt nebenbei und hofft auf den Durchbruch. Bestellt hat sie einen günstigen Eckzahn-Aufsatz aus verchromtem Edelstahl für 150 Euro. Auch so etwas macht mein-zahnschmuck.de, für den Laien sieht es aus wie Gold.

Sebastian Gündel über seine Kunden

„Das sieht man jetzt überall“, sagt Steph. „Jeder, der ein bisschen mit Mode zu tun hat und Schmuck mag, hat jetzt’nen Grill.“ Sie schiebt den Aufsatz über den Zahn, leckt einmal mit der Zunge drüber. „Nice“, sagt sie. „Nicht zu eng?“, fragt Adrian Bayer und packt die Einmalhandschuhe wieder weg. Steph will ein Selfie machen, sucht den richtigen Hintergrund, das passende Licht, lässt den Zahn blitzen. Dann entscheidet sie sich dagegen. „Ich muss mir erst die Haare schneiden lassen“.

Ein „sehr, sehr emotionales Produkt“ seien Grillz, sagt Gündel. „Die Leute kommen her, wir machen ein Fitting – und die haben Tränen in den Augen! Dann muss ich denen sagen, ey hör auf, sonst muss ich auch gleich heulen, dann liegen sich hier gleich zwei erwachsene Männer in den Armen.“

Auch Gündel hat einen persönlichen Bezug zu den Schmuckstücken. Sein Vater brachte ihm Miles Davis und den Blues nahe, seine Mutter Sade und den Soul, seine Mitschüler und sein Basketball-Team an der Bröndby-Oberschule in Berlin-Lankwitz den HipHop. „HipHop ist meine Kultur“, sagt er. „Ich bin sehr multikulti aufgewachsen, da waren Afrikaner dabei und Amis, Türken, Araber.“ Bei MTV sah er, wie sich Public Enemy, Flavor Flav, Trick Daddy und später Nelly den Mund „komplett mit Gold vollmachten“.

Seine ersten eigenen Grillz ließ er sich mit 16 in Kentucky machen, „von einem Pakistani mit einem Bauchladen“. Sie waren aus Silber, „für Gold hatte ich kein Geld damals“. Gedrückt und wehgetan hätten sie, erzählt er, sie schmeckten metallisch und liefen schon bei der ersten Zigarette dunkel an. Damals schwor er sich, dass er mal richtig gute haben wolle. Er sprach seinen Zahnarzt darauf an. „Der hat mich hart ausgelacht“, gab ihm aber die Telefonnummer eines Zahntechnikers.

Nach der Schule arbeitete Gündel auf dem Bau, vermietete Autos, verkaufte Skaterklamotten, lernte Fremdsprachenkorrespondent, importierte Olivenöl aus Griechenland und verkaufte es ans KaDeWe. Und er veranstaltete HipHop-Partys und legte dort auf. Am DJ-Pult sprachen ihn immer wieder Leute auf seine Grillz an – und Gündel, dem Geschäftsmann, kam eine Geschäftsidee. Für die allerersten Kundenaufträge ließ er sogar ein eigenes Grillz-Piece einschmelzen. Interessenten beriet er in seiner Neuköllner Wohnung. Am Telefon benutzte er verschiedene Namen, um zu suggerieren: Dahinter steht ein Team. „Fake it til you make it.“ Auf lange Sicht will Gündel mit den Grillz „weg von dem Straßen- und Gangster­image“, sagt er. „Ich möchte nicht in die Juice, sondern in die Vogue.“

Ein weißer Junge wird reich mit einem teuren Accessoire, das ursprünglich in einer schwarzen US-Subkultur signalisierte: Ich habe es zu etwas gebracht, ich bin der Armut entkommen – ist das nicht ein Fall von kultureller Aneignung? Entwertet hier jemand ein Symbol, das eigentlich nur Menschen zusteht, die ethnische Diskriminierung und Rassismus erfahren haben?

Anruf bei Tahir Della, Vorstandsmitglied der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Della hält Grillz in den Mündern weißer Menschen für eine „vergleichsweise harmlose Modeerscheinung“, weniger problematisch jedenfalls als Dreadlocks oder „Black Panther“-Shirts – „auch wenn ich mir vorstellen kann, dass andere mir da widersprechen mögen“, sagt er. Seinen Söhnen hat er Grillz verboten, er findet sie hässlich.

„Ich kann verstehen, dass manche es schwierig finden, wenn Dinge weitergetragen werden, die in einer bestimmten Kultur entstanden sind“, sagt Gündel. „Aber das passiert überall. Und ich habe schon immer gemacht, was ich gefeiert habe“, egal ob Dreadlocks, Grillz oder Cornrows, geflochtene Haare. „Die Leute merken schnell, dass das bei mir nicht aufgesetzt ist“, sagt er. „Ich will kein Image bezwecken. Ich kopiere nicht, ich orientiere mich.“

Im Dentallabor klingelt die nächste Kundin. Melis ist 24 wie Steph und macht eine Ausbildung zur Produktdesignerin.

Sie hat zwei kleinere Grillz bestellt: zwei Zähne links oben, drei rechts unten. „Für’ne Frau ein verhältnismäßig großes Piece“, sagt Adrian Bayer. Mit einem leisen Klicken rasten die Grillz in Melis’ Mund ein. „Nice“, sagt sie und betrachtet ihr Gesicht in einem Handspiegel. „Heftig.“ Die Grillz drücken noch, Adrian nimmt sie wieder heraus und fräst nach, bis sie richtig sitzen.

Inzwischen gibt Gündel Pflegetipps. Ans Sprechen müsse man sich gewöhnen, sagt er, „ein bisschen wie bei einer Zahnspange. Es kann sein, dass du am Anfang erst mal lispelst.“ Er klappt eine Plastikschatulle auf. Darin ruht auf einer transparenten Plastikmembran ein shiny Eckzahn. „Am besten immer darin aufbewahren“, mahnt er. „Die meisten verlieren ihre Grillz, wenn sie sie zum Essen rausnehmen und in die Serviette packen.“

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