: Guter Stoff fürs Heimkino
Streamingangebot Die Berliner Büchereien sind die ersten in Deutschland mit einem gut sortierten Filmportal
Ganz Deutschland liegt auf dem Sofa und guckt Netflix. Ganz Deutschland? Nein. Eine kleine, radikale Minderheit von Filmliebhabern liegt auf dem Sofa und guckt Filmfriend, das neue Streaming-Angebot des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken Berlin.
Für die 10 Euro, die die Mitgliedschaft bei der Stadtbücherei kostet, hat man seit einigen Tagen auch Zugriff auf ein Filmportal mit bisher 500 Filmen, die meisten von ihnen deutsche Produktionen und internationales Arthouse-Kino. Die Nachfrage nach DVDs und BluRays sei in den Filialen der Berliner Büchereien zwar ungebrochen, sagt Pressesprecherin Anne Jacobi. Filmfreunde wissen, dass die Videosammlung der AGB das cineastische Gegenstück zur Feinschmeckerabteilung des KaDeWe ist: Jeder noch so spezielle Geschmack wird hier befriedigt. Von aktuellen Blockbustern bis zu europäischen Autorenfilm, von japanischen Trickfilmen aus den 50er Jahren bis zur aktuellen Videokunst ist hier alles vorhanden.
Aber gleichzeitig können sich auch die öffentlichen Büchereien dem medialen Megatrend der letzten Jahre nicht länger verschließen: Das Aufkommen von Streaming-Angeboten wie Netflix oder Amazon, die schon die meisten Videotheken in Berlin die Existenz gekostet haben.
Digitaloffensive
Darum starten die Berliner Büchereien jetzt das erste Filmstreaming-Portal einer städtischen Bibliothek in Deutschland. Zum Start sind hier gut 500 Spielfilme, Dokumentationen und Fernsehserien zu finden, bis Ende des Jahres sollen es 1.200 Filme sein.
Das Portal Filmfriend wurde gemeinsam mit der filmwerte GmbH aus Babelsberg entwickelt. Andreas Vogel, Geschäftsführer von filmwerte, verhandelt zurzeit mit anderen öffentlichen Büchereien in Deutschland, die sich auch an Filmfriend beteiligen wollen.
Aktuelle Kino-Blockbuster wie „Star Wars“ oder „Willkommen bei den Hartmanns“ sucht man bei Filmfriend freilich ebenso vergeblich wie aktuelle Serienhits à la „Tote Mädchen lügen nicht“. Die Rechte für solche weltweiten Hits sind jenseits der finanziellen Mittel, die für Filmfriend zu Verfügung stehen. 2,25 Millionen lässt man sich bei der Berliner Stadtbücherei die gegenwärtige Digitaloffensive kosten, zu der auch Hörbücher zum Herunterladen, ein Musik-Streaming-Angebot und Zugang zur Genios-Pressedatenbank gehören.
„Bei uns soll es Filme geben, die man sonst nicht bekommt“, sagt Moritz Mutter, der beim Bibliotheksverbund für das digitale Angebot zuständig ist. Dazu gehören Filmen wie das Headhunter-Drama „Houston“, das deutsche Roadmovie „Puppe, Icke & der Dicke“ oder der Spielfilm „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“. Auch Klassiker wie „Rote Sonne“ (von Rudolf Thome) oder „Die Spielregel“ (von Jean Renoir) sind hier zu finden. „Gerade viele deutsche Filme landen nach der Kinoauswertung nie bei Streamingdiensten“, sagt Andreas Vogel – was für seine Firma unter anderem bedeutete, dass sie Hunderte von Filmen ins richtige digitale Format „enkodieren“ mussten – oder auch gleich in mehrere, die mit verschiedenen Browsern auf PCs, Tablets und Smartphone funktionieren.
Auch wenn man die Auswahl im Augenblick noch etwas mager finden mag, gibt es bei Filmfriend tatsächlich viele Filme, die bei Anbietern wie Amazon und Netflix nicht zu haben sind. Und gegenüber diesen Angeboten hat Filmfriend zwei entscheidende Vorteile: Weil die Stadtbücherei von jedem Nutzer das Geburtsdatum überprüft hat, kann sie sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche nur Filme zu sehen bekommen, die ihrem Alter entsprechen. Bei Amazon und Netflix ist der Jugendschutz nicht gewährleistet. Dafür sammeln diese Dienste fleißig die Daten ihrer User. Bei Filmfriend ist dagegen die Anmeldung anonymisiert, und das Portal erhebt keine Nutzerdaten zur weiteren kommerziellen Auswertung. Tilman Baumgärtel
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