: „Verzicht ist keine Systemalternative“
Degrowth Die erstarkende Rechte drängt Teile der Linken in ein renationalisiertes Wachstumsmodell, sagt die Soziologin Silke van Dyk. Das aber löst weder die soziale Frage noch eine der anderen großen Krisen
Interview Beate Willms
taz: Frau van Dyk, ganz unideologisch: Passen Rechtspopulismus und Postwachstum zusammen?
Silke van Dyk: Die erstarkenden rechten Kräfte unterstützen – bei allen länderspezifischen Unterschieden – das Gegenteil von Postwachstum, nämlich das Wachstumsdogma des fossilen Kapitalismus, im Sinne von Trumps „Make America great again“. Öl- und kohlegetriebene Industrieproduktion: Das belebt eine untergegangene Welt wieder, verbunden mit der Leugnung des Klimawandels und der unter Rechten beliebten These, ökologische Fragen seien eine Erfindung des „Establishments“. Diese Welt wird auch als Welt des abgehängten weißen Mannes beschworen, der angeblich zulasten von Frauen, MigrantInnen oder Schwulen an den Rand gedrängt worden sei.
An wen richtet sich das?
Das ist gerade die große Debatte: Haben wir es gegenwärtig mit einer Arbeiterbewegung von rechts zu tun? Sind es die GlobalisierungsverliererInnen, die im Neoliberalismus Abgestiegenen, die sich in Ermangelung linker Alternativen nach rechts wenden? Die These ist populär, obwohl der Zusammenhang so eindeutig nicht ist. Problematisch ist auf jeden Fall die Antwort von Teilen der Linken, die aufspringen und ein renationalisiertes Wachstumsmodell in Aussicht stellen.
Aber es ist doch klar, dass sich das Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahre nicht wiederholen lässt.
Vorwärts in die Vergangenheit funktioniert aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Gründen nicht. Wachstumsraten von fünf und mehr Prozent sind in den frühindustrialisierten Ländern nachweislich illusorisch, zudem haben sie auf einem endlichen Planeten keine Zukunft und gehen zu Lasten des globalen Südens. Aber es hat sich ja noch mehr getan: Neben die Klassenfrage sind neue Forderungen nach Teilhabe und Gleichberechtigung getreten – heute sind ganz andere Lebensweisen und Biografien jenseits des engen Normalitätskorsetts der Nachkriegszeit selbstverständlich. Hinter diese emanzipatorischen Errungenschaften kann man nicht zurückfallen wollen! Aber genau das verspricht die Rechte.
Es entscheidet sich also an der sozialen Frage?
Der Termin: Am Mittwoch findet in Berlin die Konferenz „Postwachstums-Politiken in Zeiten von Rechtspopulismus“ statt.
Wer: Veranstalter ist das Projekt „Fokus Wachstumswende“ der Zivilen Enquete „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, einem Netzwerk politischer, zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kräfte.
Die Frage: Wachstumskritische Positionen haben es in der derzeit vorherrschenden Auseinandersetzung zwischen protektionistischen und globalisierungsfreundlichen Positionen schwer. Welche Rolle spielen dabei die neuen Rechten?
Wachstum bedeutet, dass der zu verteilende Kuchen größer wird und in den keynesianischen Wohlfahrtsstaaten der 1950er bis 1970er Jahre kam tatsächlich in den unteren Lagen der Klassengesellschaft mehr an. Wobei man nicht vergessen darf, dass das nicht automatisch gewährt wurde, sondern erkämpft worden ist! Ein stagnierender oder schrumpfender Kapitalismus, wie wir ihn heute in Griechenland erleben, schadet zunächst einmal denen, die am wenigsten haben. Wenn es um Postwachstum und Verteilungsfragen geht, beobachte ich eine Tendenz bei WachstumskritikerInnen, das gute Leben im Sinne eines „Weniger ist mehr“ zu beschwören. Dann wird plötzlich die subjektive Lebenszufriedenheit zum entscheidenden Indikator, mit dem dann eklatante materielle Ungleichheiten entproblematisiert werden.
Aber es gibt auch immer mehr vor allem junge Menschen, die wachstumskritische Projekte ins Leben rufen. Alles mögliche wird repariert, upgecycelt, gemeinschaftlich organisiert, geteilt. Bringt das nichts?
Keine Frage, es gibt eine Vielzahl von Experimentierfeldern – ob es um die Veränderung von Konsummustern geht oder generell um neue Ansätze des alternativen Wirtschaftens. Ob aber Tauschringe und Repair-Projekte der Weg sind, aus der Wachstumsfalle herauszukommen, ist eine ganz andere Frage.
Es zeigt, dass Menschen ein Interesse haben, sich selbst zu organisieren und Lösungen zu finden …
Problematisch wird es aber dann, wenn individueller Konsumverzicht oder gemeinschaftliches Gärtnern als Systemalternative erscheinen. Viele kleine Alltagsinitiativen lassen sich aber nicht zu einer Makroökonomie des Postwachstums addieren, sie passen sich im Gegenteil mitunter ganz gut in den neoliberalen Kapitalismus ein.
Jahrgang 1972, ist Professorin für Politische Soziologie am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Bietet die Beschwörung von Gemeinschaft, Gemeinsinn und Regionalität auch wieder Anknüpfungspunkte für rechte Ideologie?
Sie ist für vieles anschlussfähig. Die Verklärung von vormodernen Gemeingütern und Überlebensökonomien verkennt, dass diese Gemeinschaften hoch exklusiv und extrem unegalitär sein können. Sie leben oft von Selbstausbeutung und sind nicht für alle zugänglich. Man darf nicht vergessen, dass die Allmende in feudale Herrschaftsverhältnisse und patriarchale Strukturen eingebettet war. Die Überwindung persönlicher Abhängigkeiten etwa durch den Aufbau des Sozialstaats hat ja auch befreiende Aspekte gehabt.
Wie kommen wir zu einer Postwachstumsgesellschaft, die allem gerecht wird?
Zunächst einmal reicht „Postwachstum“ als Orientierungsgröße allein nicht aus, denn ein Postwachstumskapitalismus ist mit aller Wahrscheinlichkeit exklusiver und feudalistischer als der, den wir kennen. Es muss um eine solidarische Ökonomie gehen, die nicht auf kontinuierliche Steigerung angelegt ist; der Abbau sozialer Ungleichheit ist hierfür ein notwendiger Schritt. Und dann geht es darum, differenzierter zu schauen: Was darf wachsen (zum Beispiel soziale Dienstleistungen), und was soll schrumpfen (zum Beispiel Kohleenergie oder Verkehr)?
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