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Polizei ignoriert Justiz

PROTESTCAMPS Nach der Räumung des Protestcamps in Entenwerder fordert die Linke den Rücktritt von Innensenator Andy Grote (SPD). Übernachten bleibt zunächst verboten. Gipfel-Gegner stellen Ultimatum

Aus Hamburg Malte Kreutzfeldt, Patricia Hecht und Martin Kaul

Der Streit um die Protestcamps zum Hamburger G20-Gipfel ist eskaliert. Nachdem die Polizei den Zugang zu einem gerichtlich genehmigten Camp am Sonntag über Stunden blockiert und in der Nacht gewaltsam Übernachtungszelte geräumt hatte, forderte die Hamburger Linkspartei den Rücktritt von Innensenator Andy Grote (SPD). „Er trägt die Verantwortung dafür, dass die Polizei sich über die Gerichte erhoben hat“, sagte die Fraktionsvorsitzende Sabine Boed­dinghaus am Montag.

Der Anwalt der Camp-Anmelder, Martin Klingner, hält das Vorgehen ebenfalls für illegal. „Die Polizei hat vor Ort rechtswidrig entschieden und faktisch einen Verfassungsbruch begangen“, sagte er der taz. Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac übte scharfe Kritik. „Wir fordern die Hamburger Polizei und den Senat auf, sofort auf den Boden des Grundgesetzes zurückzukehren“, sagte Sprecherin Judith Ahmer.

Die Grünen, die in Hamburg Teil der Regierung sind, konnten sich hingegen nicht zu klaren politischen Worten durchringen. Zwar sei es „bedauerlich“, dass es zu dieser Entwicklung gekommen sei, sagte die innenpolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion, Antje Möller, der taz. „Ich kritisiere das Vorgehen der Polizei, das wie eine Verzögerungstaktik erscheint.“ Für die Zukunft wünsche sie sich aber weiter „Kooperationsgespräche“.

Das Camp auf der Elbwiese Entenwerder war vom Verwaltungsgericht Hamburg am Sonntag inklusive Übernachtungsmöglichkeiten genehmigt worden. Dennoch versperrte die Polizei zunächst den Zugang. Später gab sie ihn frei, verbot in einer neuen Verfügung aber erneut das Übernachten. Dies wurde in der Nacht von einer anderen Kammer des gleichen Gerichts für rechtmäßig erklärt (siehe unten). Bei der Räumung hat die Polizei nach Augenzeugenberichten Pfefferspray in ein Fahrzeug gesprüht, wodurch ein Mensch kollabierte. Mehrere Personen wurden verletzt, es gab eine Festnahme. Einem Journalisten wurde nach eigenen Angaben von der Polizei in den Magen geboxt und der Presseausweis aus der Hand geschlagen.

Die Hamburger Innenbehörde verteidigte ihr Vorgehen. „Alle Handlungen waren komplett rechtsstaatlich“, sagte ein Sprecher von Grote. Zudem hieß es aus der Behörde, es müsse jedem klar sein, wer hinter den Anmeldungen stehe: Aus Sicht der Sicherheitsbehörden sei es das gewaltbereite, linksex­treme Spektrum, das sich in den Camps organisieren wolle.

In der Geschichte der Gipfeltreffen ist der politische Streit um Protestcamps ein Evergreen. Sicherheitsbehörden sind die Zeltlager naturgemäß ein Dorn im Auge, umso mehr, wenn sie von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Der Grund ist einleuchtend: Die Polizei kann kaum einsehen und kontrollieren, was in den Camps geschieht.

Andererseits: Als Ort, um große Proteste überhaupt abhalten und organisieren zu können, sind Protestcamps für Gipfelgegner essenziell. Dort finden basisdemokratische Abstimmungen statt, Beratungen über Proteststrategien und über die Formulierung von Flugblättern. Und schließlich gilt: Umgekehrt wird den Teilnehmern des riesigen Regierungstreffens der Staatschefs ja auch keinerlei Infrastruktur verwehrt.

„Die Polizei hat ­faktisch einen ­Verfassungsbruch begangen“

Rechtsanwalt Martin Klingner

Dennoch waren es auch in der Vergangenheit immer wieder Gerichte, die über die Rechtmäßigkeit solcher Camps zu entscheiden hatten – meist am Ende zugunsten der Demonstranten. So hatten etwa beim G7-Gipfel von Elmau im Jahr 2015 die bayerischen Behörden nichts unversucht gelassen, ein entsprechendes Protestcamp zu untersagen. Sie argumentierten mit Hochwassergefahr, setzten Landwirte unter Druck, keine Flächen zur Verfügung zu stellen, und warnten immer wieder vor anreisenden Gewalttätern – heiße Luft.

Am Ende entschieden die Gerichte: Die Demonstranten hatten ein Recht auf ein Camp. Die Unsicherheit unter denen, die dort anreisen wollten, war jedoch bis zum Ende geblieben – ebenfalls ein Teil der Taktik der Behörden. Die Taktik der Hamburger Polizei kommt daher nicht überraschend. Massiv ist sie dennoch.

Die Linkspartei geht davon aus, das die Innenbehörde auswärtige Demonstranten von der Anreise nach Hamburg abhalten will. Ob das aufgeht, ist offen. Zum einen gehen die Camporganisatoren weiter gerichtlich gegen das Übernachtungsverbot vor. Zum anderen bereiten sie sich auf Alternativen vor. Ein Treck aus dem Wendland ist etwa auf einem privaten Hinterhof untergekommen.

Und das Bündnis „Welcome to Hell“ stellte am Montag ein Ultimatum: Sollte bis Dienstag um 10 Uhr das Camp mit Schlafplätzen nicht möglich sein, würden mit „Material, Zelten und allen vorstellbaren Aktionsformen“ Parks, Plätze, Flächen und Knotenpunkte der Stadt besetzt werden. So werde man zeigen, „dass sich öffentlicher Protest gegen den Gipfel nicht verbieten“ lässt.

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