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Spiel um Liebe und Zufall

WERKSCHAU Das Arsenal-Kino zeigt die unverwechselbaren Filme des jungen argentinischen Regisseurs Matias Piñeiro

Melancholie als andere Seite der Freiheit: Camila (Maria Villar) in „Hermia & Helena“ Foto: Arsenal

von Dominik Kamalzadeh

Die eine Frau kommt, die andere geht. Ablösungen wie diese sind im Kino des Argentiniers Matias Piñeiro gang und gäbe. Manchmal werden sie deutlich als solche ausgewiesen, manchmal treten sie so unvermittelt auf, dass man den Wechsel erst gar nicht durchschaut.

In „Hermia & Helena“, seinem jüngsten Film, den er erstmals in New York gedreht hat, folgt Camila (Agustina Muñoz) Carmen (Maria Villar) als Stipendiatin nach. In welches Verhältnis sie zu ihrer Vorgängerin tritt, bestimmt die Ausrichtung der Handlung mit. Am Columbus Circle dreht auch die Kamera einen Kreis. Camila wird mit dem Institutsmitarbeiter Lukas (Keith Poulson), für den schon Carmen schwärmte, eine Liaison beginnen; auch die Ansichtskarten, die ihr Carmens Freundin Danielle (Mati Diop) aus anderen US-Bundesstaaten schickt, nimmt nun sie in Empfang und bastelt daraus eine Collage. Das, was Carmen zurückgelassen hat, könnte man sagen, baut Camila nun weiter aus.

Das Spiel mit wechselnden Identitäten und Objekten, die ihre eigentliche Bestimmung verfehlen, ist für das kleine, aber unverwechselbare Œuvre Piñeiros charakteristisch. Wo sich klassisch erzählte Filme auf ein Ziel ausrichten, orientieren sich seine am weiten Horizont der Möglichkeiten. Nicht umsonst sind es Intrigen und Täuschungsmanöver, auf die der 34-Jährige dabei immer wieder zurückkommt. Die Figuren tasten sich durch die Szenarien wie Besucher eines Spiegelkabinetts, wobei sie auf der Hut sein müssen, nicht plötzlich ersetzt (oder neu besetzt) zu werden. In „Viola“, mit dem Piñeiro erstmals auf sich aufmerksam machte, finden sich gleich mehrere Figuren desselben Namens: Eine ist Schauspielerin, die andere träumt davon, eine zu werden. In engen Raum eines Autos tritt der Film mit wunderbar bescheidener Magie von der Welt der einen in die der anderen ein.

Piñeiros Vorliebe für Wiederholungen und ein offenes Erzählen hat ihm bereits öfters den Vergleich mit Jacques Rivette, dem Rätselkönig der Nouvelle Vague, eingebracht. Mit diesem teilt er auch die Vorliebe fürs Theater, das allerdings nicht bühnenhaft starr, sondern in fließenden Kamerafahrten in Szene gesetzt wird. Seit seinem Kurzfilm Rosalinda bedient sich Piñeiro auch der Komödien William Shakespeares, um seinen Spiel mit Rollen und wechselnden Identitäten zu akzentuieren. Geht es schon beim Barden um die Transparenz des Rollenspiels, so vermischen die Filme Rolle und richtiges Leben nun so stark, bis sie völlig ununterscheidbar werden. In „Rosalinda“, der sich lose an „Wie es euch gefällt“ orientiert, sind es Schauspieler, die Shakespeares Stück in einer bukolischen Gegend, zwischen Wald und Bächlein, proben. Weil es dabei auch um vorgetäuschte Gefühle geht, wird das Verwirrspiel um gespielte und empfundene Liebe schnell unüberschaubar.

Die Figuren tasten sich durch die Szenarien wie Besucher eines Spiegelkabinetts

Piñeiros Kino ist der selten gewordene Fall eines wahrlich unabhängigen Kinos, finanziert mit kleinen Budgets, oft unter Umgehung gängiger Förderstrukturen. Da der Regisseur immer wieder mit denselben befreundeten Schauspielerinnen zusammenarbeitet – Agustina Muñoz und Maria Villar seien hier hervorgehoben –, erhält man den Eindruck, dass die Filme sich auch wechselweise kommentieren. „La Princesa de Francia“ orientiert sich an der Idee der selbst auferlegten Enthaltsamkeit aus Shakespeares „Verlorene Liebesmüh“, die in der Gegenwart von Buenos Aires wie bei der Vorlage scheitert.

In einer Szene entspinnt sich im Museum, rund um „Nymphen und Satyr“, das liebesschwülstige Gemälde von William-Adolphe Bouguereau, ein Versteckspiel um verbotene Küsse. Auch im Film wird ein Mann (und Regisseur) von mehreren Frauen (und Schauspielerinnen) umworben. Piñeiro macht daraus jedoch keine Komödie. Das wechselseitige Verführen hat seinen Preis, was in alternativ verlaufenden Szenen, ähnlich wie in den Filmen von Hong Sang-soo, auch anschaulich wird.

Es gibt eben auch „weniger günstige Momente“, wie eine Figur einmal schreibt, den Schmerz über verpasste Gelegenheiten. In Hermia & Helena verdeutlicht Piñeiro noch mehr als in den Filmen davor, dass bei ihm die Melancholie die andere Seite der Freiheit ist. Anders ausgedrückt: Es gibt auch im Spiel immer etwas zu verlieren.

Die Filme von Matías Piñeiro laufen vom 4. bis 12. Mai im Kino Arsenal, heute um 19.30 Uhr zum Auftakt „Hermia & Helena“

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