Sozialdezernent wackelt: Es wird eng für Klaus Rosche
Vor dem Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Sozialbetrug hat eine AWO-Mitarbeiterin den Sozialdezernenten Klaus Rosche (SPD) schwer belastet
Bremerhavens Sozialdezernent Klaus Rosche (SPD) hat offenbar aktiv die Aufklärung des organisierten Sozialbetrugsverdachts behindert. Das geht aus einer Zeugenbefragung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in Bremerhaven hervor, der am Mittwoch Margaret Brugmann, Fachbereichsleiterin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Migration, befragte. Sie leitet in Bremerhaven im Auftrag der Sozialbehörde eine Beratungsstelle für BulgarInnen und RumänInnen und habe, sagte sie aus, dem Sozialdezernenten zwischen April 2013 und April 2016 neunmal konkret über die Vorgänge berichtet. Unternommen habe die Sozialbehörde lange nichts.
Als sie 2014 aus Enttäuschung darüber schließlich öffentlich in einem Netzwerk von verschiedenen Trägern von dem Problem berichtet habe, habe ihr Sozialdezernent Rosche einen Maulkorb verpasst: In der nächsten einjährigen Ausschreibung für die Beratungstätigkeit sei explizit vorgeschrieben worden, dass nur noch direkt an die Sozialbehörde berichtet werden durfte.
Der Vorsitzende des Ausschusses, Nelson Janßen (Die Linke), sagte: „Wenn sich die Aussage bewahrheitet, grenzt das an aktive Behinderung. Nach zwei Jahren konkreter Hinweise einen Maulkorb zu verteilen, ist mehr als nur Versagen.“ Das sei die Verhinderung einer öffentlichen Diskussion des Problems.
In einer vergangegangenen Befragung hatte der PUA bereits eine Amtsärztin befragt, die EU-BürgerInnen ohne Krankenversicherung behandelte. Sie hatte ebenfalls ausgesagt, dass Rosche sie in einem Gespräch 2015 zu Stillschweigen ermahnt habe. Zuvor habe sie konkret auf fingierte Arbeitsverträge hingewiesen, ausgestellt durch die einschlägig bekannten Bremerhavener Vereine. Mittlerweile ermittelt zu den Vorgängen die Bremer Staatsanwaltschaft. Es geht um organisierten Sozialbetrug mit einer Schadenssumme in Höhe von sechs Millionen Euro. Unter den beschuldigten Vereinsmitgliedern und Vorsitzenden ist der Bürgerschaftsabgeordnete und Ex-SPDler Patrick Öztürk sowie dessen Vater und Bruder. Sie haben mutmaßlich durch Ausbeutung von nach Bremerhaven gelotsten EU-EinwanderInnen Sozialleistungen kassiert.
Die Berichte der AWO-Beratungsstelle seien laut Brugmann an Rosche und Sozialamtsleiterin Astrid Henriksen gegangen. Darin habe als Verdacht vieles gestanden, was später bekannt werden sollte: Scheinarbeitsverträge und unseriöse Beratung für Geld durch Selim Öztürks Verein „Agentur für Beschäftigung und Integration“, elende Verhältnisse der Betroffenen. Die Reaktion der Sozialbehörde sei laut Brugmann eher unsozial gewesen: „Taube Ohren.“
„Ich war und bin sehr enttäuscht. Ich habe mich gewundert, dass nie eine Reaktion kam“, sagte sie vorm Untersuchungsausschuss. Sehr früh habe man konstruktive Ansätze zum Handeln aufgezeigt. Auch der Name Öztürk sei in kleinen Sitzungen mit der Sozialbehörde gefallen. Man habe das einfach ignoriert. „Jobcenter und Magistrat waren immer abwesend. Wir sind auf taube Ohren gestoßen.“
Ihre Enttäuschung, so Brugmann, habe sie dazu veranlasst, die Probleme in einem größeren Kreis zu thematisieren: bei einem Treffen des „Netzwerks für Zuwanderer und Zuwanderinnen Bremerhaven“, bestehend aus Wohlfahrtsverbänden und Vereinen. Auch ein Vertreter des Magistrats sei zugegen gewesen, als sie 2014 auf die problematische Situation aufmerksam gemacht habe. Danach sei ihr dann offiziell verboten worden, öffentlich zu berichten.
Nelson Janßen (Die Linke)
Die AWO habe 2013 auch mit dem Hauptbeschuldigten Selim Öztürk gesprochen, weil der sich während seiner Vereinstätigkeit fälschlicherweise als AWO-Berater ausgegeben habe. Unter anderem habe Brugmann selbst damals Öztürk zum klärenden Gespräch gebeten: „Ich kann mich genau erinnern“, sagt sie. „Es war ein kalter Tag und ich habe mich gewundert, warum Öztürk so geschwitzt hat.“ Er habe nicht wie ein „bad guy“, sondern nervös gewirkt, und er habe damals versprochen, keine Beratungen im Namen der AWO mehr zu durchzuführen – womit er indirekt zugegeben habe, zuvor genau das getan zu haben.
Schwitzen dürfte nun der Sozialdezernent Klaus Rosche, dessen Nichthandeln immer eigenartiger erscheint. Er gab sich während seiner ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss unwissend und zugeknöpft und beantwortete Fragen teils widersprüchlich – und sogar mutmaßlich falsch. Wie der Untersuchungsuasschus damit umgeht, ist noch unklar. Fest steht vorerst nur, dass Rosche dort noch einmal aussagen muss.
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