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Genussvolle Rache am Konzept Hochkultur

Theater Eine vergessene Komödie von Goethe und ein Kasten Bier: „Die Mitschuldigen“ im Monbijou-Theater

Was für ein schönes Wort: „Liebhabertheater“. Ahnt man doch gleich, hier spielt man aus Begeisterung und nicht aus Profession. Ein Liebhabertheater von bürgerlichen und adligen Laien war es, an dem der mit 26 Jahren an den Weimarer Hof berufene Dichter Johann ­Wolfgang von Goethe seine Komödie „Die Mitschuldigen“ zur Uraufführung brachte, 1777. Er selbst übernahm die Rolle des Alcest, eines Liebhabers eben, der in Kriegsgeschäften unterwegs war und bei der Rückkehr seine geliebte Sophie verheiratet vorfindet. Wie er die Wirtshaustochter nun zu einer Liebesnacht zu beschwatzen versucht, bildet den ersten Teil des Dramas.

Auf der Bühne des Monbijou-Theaters tritt Alcest als hellblauer, seidig glänzender Beau in Erscheinung, kratzt sich am Sack und läuft wie ein Gockel. Ha, dass Goethe himself, abgestempelt als Hochkultur, in dieser vor Eitelkeit strotzenden Interpretation der Rolle ein wenig verspottet wird, hat etwas von genussvoller Rache der Berliner Volkstheater-Combo vom Monbijouark an der unseligen Trennung zwischen Hochkultur und Unterhaltung. Dass auch Goethe als Unterhaltungskünstler angefangen hat, ist ihre erste und bald auch des Publikums Freude. Und dass nicht der adlige Alcest, sondern der Trunkenbold und Tunichtgut Söller, Ehemann von Sophie, der eigentliche Spielmacher des Abends ist, liefert überhaupt den Grund, das Stück hier zu spielen.

Gespielt wird unter freiem Himmel

Das Monbijou-Theater ist ein kleines, tapferes Theaterunternehmen, das sich als solches auch stets selbst in Szene setzt. Man spielt unter freiem Himmel, Spatzen picken nach den Resten der mitgebrachten Pizza, Getränke sind erlaubt; ja, Söller ermutigt einen Zuschauer gar zum Wetttrinken, schließlich ist der Ort der Handlung ein Wirtshaus. Zwei Vorstellungen am Abend (Goethe und Shakespeare) gibt es von Juni bis September; geprobt wird inzwischen in mehrfacher Besetzung. Man reißt gern derbe Witze – dafür sind Shakespeare und Goethe geeignet – und kokettiert mit den Gesten der Hochkultur. Mit Regiekonzepten beispielsweise.

Wie Daniel Sellier, den ich als Söller sah, mit einem Bierkasten bewaffnet, im gelb-schwarzen Narrenkostüm eine historische Einführung gibt und behauptet, man habe doch schwer reingefunden in Goethe, also deshalb komme er erstmals raus auf die Bühne und trinke Bier, ist ein echt netter Trick. Denn schwups, schon ist man mittendrin. Die geistige Trägheit, die Sophie an diesem Mann verzweifeln lässt, ist natürlich eine Maske, hinter der der Zuschauer jederzeit den gewitzten Schelm sehen darf. Und denkt man an die Erfolge etwa der Theaterfiguren von Herbert Fritsch an der Volksbühne – besonders groß scheint da der Abstand nicht.

Goethes gereimte Sprache macht Spaß, und ihren mit Tempo sich entwickelnden Sprachbildern zu folgen ist manchmal auch herausfordernd. Zum Text fügt das Team unter der Regie von Maurici Farré ein paar kleine Denksportaufgaben für das Publikum, zum Beispiel, sich das Bühnenbild einer geschlossenen Kammer, in der alle im Dunkeln herumtappen, vorzustellen. Wie dort in der Nacht Söller, der ­Alcest bestehlen will, in das heimliche Rendezvouz seiner Frau mit ­Alcest gerät und von diesen beiden im Dunkeln unerkannt geherzt und geküsst wird, wo sie doch einander meinen, ist natürlich der Höhepunkt der Komödie.

Goethe ist neu im Repertoire des Monbijou-Theaters, Shakespeare ist ihr Stammkapital, seit sie vor 15 Jahren zu spielen begannen. Über vierhundert Plätze hat ihr Holztheater, zu Goethe ist es oft nur halb besetzt. Als ob er ungerechterweise in dem Verdacht stehe, als Volkstheater nicht zu funktionieren. Katrin Bettina Müller

Bis 3. September, Termine unter www.monbijou-theater.de

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