Schweden reduziert Bargeld: Kaum jemand regt sich auf
Das skandinavische Land entledigt sich nach und nach seiner Geldscheine und Münzen. Die meisten Bürger zahlen einfach per App.
Und sie wollen das auch nicht: Schweden ist auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft. „Vielleicht wird Schweden im Jahr 2030 noch nicht ganz ohne Bargeld sein, aber fast.“
80 Milliarden Kronen sind noch im Umlauf, vor sechs Jahren waren es noch 106 Milliarden. „Der Bargeldgebrauch sinkt rapide“, sagt Arvidsson. Nur jeder fünfte Einkauf wird hier noch bar gezahlt. Zum Vergleich: In Deutschland ist es jeder zweite. „Für die schwedische Volkswirtschaft spielt Bargeld kaum noch eine Rolle.“
Und auch im Alltag nicht. „Das ist hier kein Aufregerthema“, sagt Arvidsson. „Da sind die Schweden ganz anders als die Deutschen, hier finden die meisten das einfach nur praktisch.“
Wenig Sorgen um Datensicherheit
Vor allem dank Swish, einer 2012 von schwedischen und dänischen Banken entwickelten Handy-App: Der Zahlende schickt per Handy den Betrag an die Mobilnummer des Empfängers, Swish schreibt es sofort gut. „So bezahlen Menschen ihren Freunden einen Kaffee, ziehen Bustickets oder kaufen im Supermarkt ein“, sagt Arvidsson. Mehr als vier Millionen der 9,5 Millionen Schweden haben sich nach Firmenangaben bei Swish registriert. Tendenz: stark steigend. „Quasi jeder Smartphone-Nutzer zahlt hier so.“
Sorgen um die Datensicherheit gebe es in der Bevölkerung „nicht ansatzweise so wie in Deutschland“, sagt Arvidsson. In ländlichen Regionen gebe es manchmal Schwierigkeiten mit dem Mobilnetz. Aber sonst? „Für einige Gruppen ist die bargeldlose Gesellschaft schon problematisch“, sagt Arvidsson. „Einige Ältere kommen mit Swish nicht zurecht, und Menschen ohne Konto können gar nicht daran teilhaben.“ Das gelte auch für Flüchtlinge, die ja erst mal kein Konto in Schweden hätten. „Es ist hier inzwischen schwierig, überhaupt an Bargeld zu kommen.“
Denn: Die Hälfte der Bankfilialen führt gar kein Bargeld mehr. In den anderen wird auch schon mal Polizei eingeschaltet, wenn Menschen mit Bargeld kommen. „Bargeld steht für Kriminalität“, sagt Arvidsson.
Verdächtiges Bargeld
Mit dem Kampf gegen Kriminelle begründet auch die Bundesregierung die von ihr vorgeschlagenen Obergrenzen von 5.000 Euro für Bargeld. Bis zu 100 Millionen Euro Schwarzgeld würden jährlich in Deutschland gewaschen, schreibt Rechtswissenschaftler Kai-D. Bussmann von der Uni Halle-Wittenberg in einem Gutachten für das Bundesfinanzministerium – das ein solches Limit empfiehlt. Die Möglichkeit, unbegrenzt bar zu zahlen, sei ein „Einfallstor für Kriminelle“, die ihr illegales Bargeld zum Beispiel in ein neu gegründetes Unternehmen einspeisen und dann beim Finanzamt als Umsatz verbuchen, heißt es in dem Gutachten. Oder in teure Kunst und Autos investieren – kaum verfolgbar für Ermittler.
An der Wirkung gegen Kriminalität zweifeln Experten allerdings. „Bargeldgrenzen wirken kaum gegen Schwarzgeld“, sagt der Linzer Ökonom Friedrich Schneider, der seit Jahren über kriminelle Geldflüsse forscht. „Organisierte Kriminalität findet immer einen Weg.“
Auch Niklas Arvidsson sieht die schwedische Bargeldlosigkeit nicht als Wunderwaffe gegen Kriminalität. Zwar gebe es kaum noch Banküberfälle – dafür aber mehr Identitätsdiebstähle, bei denen Konten mit gestohlen Zugangsdaten leergeräumt würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau