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Die Kunst des Kopierens

URHEBERRECHT Bertolt Brecht war in Fragen geistigen Eigentums lax, seine Erben sind streng. Bei den Brecht-Tagen haben Carl Hegemann, der Rechtswissenschaftler Rupprecht Podszun und der Anwalt Albrecht Götz von Olenhusen das Dilemma diskutiert

Obige, etwas eckige Paraphrase eines Brecht-Zitats aus dem „Kaukasischen Kreidekreis“ tauchte 2008 an der Fassade am Haus des Aufbau Verlags auf. Was die Erben wohl gedacht haben? Foto: Santiago Engelhardt

von Stefan Mahlke

Vor einem Jahr schlossen der Suhrkamp Verlag und das Münchner Residenztheater vor Gericht einen Vergleich. Der Verlag als Vertreter der Brecht-­Erben hatte moniert, dass Frank Castorfs „Baal“-Inszenierung eine Vertragsverletzung darstelle und deshalb abgesetzt werden müsse. Castorf hatte ohne Genehmigung zu viele Fremdtexte in Brechts Vorlage gemischt, unter anderem von Ernst Jünger und Carl Schmitt.

In diesem Rechtsstreit hatten die Erben die besseren Karten. Ihr Zugeständnis war, dass Castorfs „Baal“ noch zweimal gespielt werden durfte, einmal in München und einmal auf dem Berliner Theatertreffen 2015. Der Aufschrei war groß, wieder einmal hatte die böse Erbe-Hüterin Barbara Brecht-Schall die Freiheit der Kunst beschnitten. Schuld daran sei aber auch ein veraltetes Urheberrecht, das dem modernen Theater nicht mehr gerecht werde.

Warum dies nicht mal genauer unter die Lupe nehmen, dachte sich das Literaturforum im Brecht-Haus und machte „Brecht und das Urheberrecht“ zum Thema der diesjährigen Brecht-Tage. Carl Hegemann, Chefdramaturg an der Volksbühne, stellte gleich zu Beginn klar, dass die Gerichtsentscheidung eine rein formaljuristische gewesen sei, weil die Erben eben nicht informiert, nicht vorher gefragt wurden. Die Qualität der Castorf’schen Arbeit wurde auch von ihnen nicht infrage gestellt; Johanna Brecht-Schall, inzwischen Mitrechteinhaberin, da ihre Mutter voriges Jahr verstarb, fand die Inszenierung sogar großartig.

Seine Erfahrungen mit den Erben seien sehr verschieden gewesen, so Hegemann. Für den „Guten Menschen von Sezuan“ 1994 an der Volksbühne etwa hatte Regisseur Andreas Kriegenburg eine Musik beim Liedermacher Tom Liwa bestellt. Als die fertig war, dämmerte den Beteiligten, dass Paul Dessau schon eine Musik zum Stück geschrieben hatte und die auch dazugehörte. Ruth Berghaus, Dessaus Witwe und somit Rechte­inhaberin, schlug pragmatisch vor, in den Programmzettel zu drucken: Musik von Tom Liwa nach Motiven von Paul Dessau. In Liwas Musik war kein Dessau, aber das Rechteproblem war gelöst, und Berghaus kassierte sogar noch Tantiemen.

Feld mit Konfliktpotenzial

So ähnlich hätte es auch bei Castorf laufen können – wenn das Residenztheater den Vertrag genau gelesen hätte. Grundsätzlich aber bleibt es ein Feld mit großem Konfliktpotenzial: auf der einen Seite ein Erbe, der sein Recht durchsetzen kann, wenn er will; auf der anderen Seite das moderne Theater, das den Text als Material betrachtet, mit dem es frei umgehen will. Diese Möglichkeit der Willkür des Rechteinhabers ist dem Recht eingeschrieben, stellte der Rechtswissenschaftler Rupprecht Podszun fest, dessen ausgezeichneten Prozessbericht man auf nachtkritik.de nachlesen kann, klar. Das Urheberrecht sei von 1965, nur da und dort ein wenig modifiziert. Wie etwa fasse man ein modernes Werkverständnis unter dem Schöpfungsbegriff, wo doch alle Großen auf den Schultern von Großen stehen – Brecht hatte sich übrigens Shakespeare ausgesucht – und der einsame genialische Schöpfer eine Chimäre ist? Auch der freie Einbau fremder Texte und anderer Medien kollidiere mit dem konservativen Verständnis von Theater als Apparat zur Darbietung sakrosankter Vorlagen, wie Hegemann anmerkte.

Dass auch der Plagiatsbegriff nur greift, wenn man annimmt, es gebe ein Original, wurde am zweiten Abend der Brecht-Tage verhandelt. Brecht selbst fühlte sich vom Vorwurf, er plagiiere, nicht getroffen. Kopieren hielt er für eine große Kunst, „eine der Künste, die der Meister beherrschen muß. Er muß es schon deshalb, weil er sonst selbst nicht Kopierbares herstellen kann.“ Daher auch seine „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“.

Urheberrecht hinkt seit jeher der Gegenwart hinterher

Recht, so der Anwalt Albrecht Götz von Olenhusen, der zum Beispiel Andrea Maria Schenkel und ihren Roman „Tannöd“ gegen Plagiatsvorwürfe vor Gericht verteidigte, gehe eher schneidermeisterlich vor: Was hat A von B übernommen? Es sei ein Prokrustesbett, ein juristisches Folterwerkzeug, das eine Monopolstruktur postuliere, damit der Urheber/Besitzer des Monopols ein ordentliches Auskommen hätte. Diese Rentenfunktion erfülle das Urheberrecht aber gar nicht, denn nur die wenigsten, die Happy Few, könnten von ihrer Kunst leben.

Wie mithilfe des Urheberrechts Koautorschaft verdunkelt werden kann, legte der Medienrechtler Jürgen Marten am dritten Abend dar. Brecht sei auch in Fragen des Rechts etwas lax gewesen. Obwohl bei einigen Stücken die Mitautorschaft von Elisabeth Hauptmann unbestreitbar vorliege, sei sie anfangs in den ­Publikationen unter „Mitarbeit“ aufgeführt worden – eine Kategorie, die das Urheberrecht gar nicht kenne. Später in den ­großen Editionen nach Brechts Tod seien selbst diese Angaben nach und nach verschwunden.

Ende der zwanziger Jahre hinkte das Urheberrecht seiner Zeit hinterher. Das ist in unseren Zeiten der grenzenlosen ­Verbreitung von Content nicht anders. Wie ein zeitge­mäßes ­Urheberrecht auszusehen hätte, darüber wird heute ab 14 Uhr in der Chausseestraße 125 diskutiert. Nicht zuletzt dank der Rechtsexperten waren die Brecht-Tage 2016 eine äußerst anregende Veranstaltung.

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