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Prinzipiell einfach mal teilen

Dinge Andreas Arnold und Nikolai Wolfert wollen, dass Menschen ihr Gut nicht mehr kaufen, sondern teilen. Ihre Wege zu diesem Ziel, ein Start-up und ein Verein, könnten allerdings unterschiedlicher kaum sein

von Nikola Endlich

Andreas Arnold schließt die Tür hinter sich und atmet auf. Bis eben hat er draußen auf dem Gang gestanden, mitten im Getümmel. Hat Hände geschüttelt, Visitenkarten ausgetauscht, von Effizienz, Kunden und Produkten gesprochen, die blonden Haare sind ihm dabei immer wieder ins Gesicht gefallen. Arnold trägt Stoffhosen und T-Shirt, die anderen tragen Anzug und Hemd.

Im Gegensatz zu den eingeübten Umgangsformen und der kühlen Geschäftigkeit, die auf dem Flur herrschten, ist die Atmosphäre in dem kleinen Raum locker und freundschaftlich. „Der häufige Besuch lenkt oft von der eigentlichen Arbeit ab“, sagt Andreas Arnold und klappt den Bildschirm seines schwarzen Laptops zu. Er wirkt müde.

Der Besuch kam von Siemens, der Flur gehört zum Gründungszentrum der Technischen Universität, und Arnolds Start-up „leihbar“ hat hier seinen Sitz. Gerade hat er den UnternehmerInnen die Idee seines Projekts in wenigen Minuten präsentiert. „Pitchen“ nennt man das in der Szene. Ideen wie die zu „leihbar“ sind derzeit gefragt. Es zählt neben anderen Start-ups wie „Clean Agent“ oder größeren Unternehmen wie „Mila“ oder „erento“ zu Berlins wachsender Sharing-Economy-Szene.

Seit rund zwei Jahren arbeiten Arnold und sein elfköpfiges „leihbar“-Team an der Umsetzung des Onlinedienstanbieters, bei dem Gebrauchsgegenstände nicht zum Verkauf bereitstehen, sondern gegen eine Gebühr ausgeliehen werden können. Auf der Internetseite tauchen unter dem Button „Jetzt mieten“ Bilder von Bohrmaschinen, Fahrradtaschen, Kindersitzen, Beamern oder Eismaschinen auf. Für eine Tagesgebühr, die je nach Artikel zwischen 4 und 19 Euro liegt, können die Gegenstände bestellt und 24 Stunden später im Spätkaufladen in Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln oder Prenzlauer Berg abgeholt werden.

Andreas Arnold ist überzeugt von diesem Modell. Hinter ihm an der Wand hängt ein großes Plakat, auf dem orangefarbene Säulen abgebildet sind. Sie stellen die Stufen der erfolgreichen Entwicklung eines Start-ups dar. Wenn Andreas Arnold von „leihbar“ erzählt, ist viel davon die Rede, was die Menschen wollen. Er spricht von Nutzern, von Angebot und Nachfrage. Vieles klingt nach klassischem Wirtschaftsjargon: „Wir haben ganz klar eine Business-to-Customer-Beziehung, und wir wollen auch niemandem die Illusion geben, dass das anders ist.“ Oder: „Alle Menschen sind KonsumentInnen und haben Bedürfnisse.“

Wie viele andere, die in der Sharing Economy aktiv sind, will Andreas Arnold dominierende Formen des Wirtschaftens in Richtung einer Kreislaufwirtschaft verändern. Waren sollen nicht einmalig gekauft und nach einer gewissen Zeit entsorgt werden, sondern durch Sharing- oder Recyclingprozesse immer wieder in den Produktionskreislauf zurückgelangen. In einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft soll nach dem Prinzip „Teilen statt kaufen“ eine nachhaltige und partizipative Ökonomie entstehen.

Eine ziemlich ähnliche Idee

2012 lernte der Geschäftsführer von „leihbar“ auf einem öffentlichen Vortrag zu Sharingprozessen Nikolai Wolfert kennen. Arnold, Wirtschaftsingenieur, und Wolfert, Soziologe, schienen auf den ersten Blick eine ziemliche ähnliche Idee zu haben. Und beide wollten darüber nicht nur sprechen, sondern ein eigenes Projekt auf die Beine stellen.

In einem Altbausouterrain in der Fehrbelliner Straße in Prenzlauer Berg sitzt Nikolai Wolfert heute in einer kakigrünen Kapuzenjacke auf einem Holzstuhl, den Blick auf seinen Rechner gerichtet. Wie jeden Mittwoch, Donnerstag und Freitag um diese Zeit brennt Licht in seinem Leihladen „Leila“. Bis zur Decke reichen die einfachen Ikea-Holzregale an den Wänden. Darauf: Zelte, Gesellschaftsspiele, Geschirr, Kaffeemaschinen, Werkzeug, Gartengeräte.

Von der Idee, mit Andreas Arnold und „leihbar“ zusammenzuarbeiten, ist heute nur noch wenig übrig. Von „losen Zusammentreffen“ spricht Wolfert vage, von einem Ideenaustausch. Er will lieber über seinen Leihladen reden. Auch Andreas Arnold sagt im Rückblick, dass nach den ersten sechs Monaten klar war, dass beide einen unterschiedlichen Ansatz verfolgen.

Wie viele der Umsonstläden, Give-Boxes, Kleidertausch- und Repaircafés, die meist schon lange vor dem Aufkommen der Sharing-Economy-Szene in Friedrichshain, Kreuzberg und im Prenzlauer Berg ansässig waren, will Wolfert mit seinem Verein „Leila“ einen nachhaltigen Lebensstil fördern. Aber eben mit anderen Mitteln, als es die meisten JungunternehmerInnen der Szene tun. In selbst organisierten Projekten wie „Kunst-Stoffe“, „Ula“, dem „Verbund offener Werkstätten“ oder eben dem „Leila“-Laden ist das Prinzip „Leihen und teilen“ keine Dienstleistung. Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitsdienste sollen gestärkt, nicht durch das ökonomische Prinzip ersetzt werden.

„Wir haben ganz klar eine Business-to-Customer-Beziehung, und wir wollen auch niemandem die Illusion geben, dass das anders ist“

Andreas Arnold vom Onlineanbieter „leihbar“

Nikolai Wolfert lacht viel beim Sprechen. Die Idee, die er im Hinterkopf hat, ist eine Gesellschaft, in der alles für jeden verfügbar ist. Er schmunzelt, als er diesen Gedanken laut formuliert. Freilich sei das eine große, idealistische Idee. Eine erste Umsetzung in kleinem Rahmen ist für ihn der Leihladen: Für alle Mitglieder ist alles verfügbar.

Dreimal in der Woche geht der 33-Jährige nach Feierabend in die Fehrbelliner Straße. Er und alle zehn HelferInnen arbeiten hier ehrenamtlich. Das Prinzip ist einfach: Jedes der mittlerweile rund 900 Vereinsmitglieder, die den Laden seit seiner Öffnung vor vier Jahren nutzen, hat einmalig einen Gebrauchsgegenstand mitgebracht, der von diesem Moment an verliehen werden kann. Der Mitgliedsbeitrag, der für Instandhaltung und Ladenmiete verwendet wird, liegt bei 1 Euro pro Monat.

Teilen ohne die Economy

Wolfert betrachtet den Leihladen auch nicht als Teil der Sharing Economy. Mit dem Wort „Sharing“ kann er sein Konzept verbinden. Aber „Economy“ passt für ihn nicht zum Prinzip des Teilens. Die wachsende Sharing Economy könne seinem Leihladen nichts anhaben, davon ist Nikolai Wolfert überzeugt, und seine Stimme klingt fest und bestimmt, wenn er das sagt. „Leila“ habe schließlich keine Preise, die von der Konkurrenz kaputtgemacht werden können.

Versteckt in einer Ecke hängt ein Bild. Auf der einen Seite ist eine Szene mit Strichmännchen abgebildet. Eines schaut sich in einem Laden um, der offenbar den „Leila“-Laden darstellen soll, das andere hält eine Bohrmaschine in der Hand. Während die Zeichnung das Prinzip von Leihräumen in der Nachbarschaft verbildlicht, zeigt die andere Abbildung das Logo von „leihbar“ und erklärt spielerisch die Idee des Onlinedienstes. Obendrüber steht in fetten Lettern: „Teilen verbindet“. Das Plakat stammt noch aus der Zeit, als Andreas Arnold und Nikolai Wolfert einen gemeinsamen Weg einschlagen wollten.

www.leihbar.net

www.leila-berlin.de

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