Soziales Netz "Diaspora": Das freie Facebook
Studenten basteln an einer Alternative zu Faceook und Co. Das dezentrale Netzwerk "Diaspora" soll sich von der Community selbst finanzieren und setzt auf Transparenz.
Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass eines der kommerziellen sozialen Netzwerke wegen Datenschutz-Katastrophen in die Schlagzeilen gerät. Ein Infoleck hier, eine nutzerunfreundliche Veränderung beim Schutz der Privatsphäre dort – Nutzer verlieren zunehmend das Vertrauen. Kein Wunder, dass Experten schon seit längerem offene Alternativen zu Facebook und Co. fordern, die dezentral aufgebaut sind.
Ein Team aus vier Studenten zwischen 19 und 22 Jahren der New York University will diesen Traum in die Tat umzusetzen: "Diaspora" soll konzerngesteuerten Netzwerken eine vom Nutzer kontrollierte Basis gegenüberstellen. Das Projekt, von dem bereits ein erster interner Prototyp existiert, soll außerdem von der Gemeinschaft selbst finanziert werden.
Zumindest das klappt bereits erstaunlich gut: Über die "Crowd Funding"-Plattform Kickstarter, bei der Kultur- und Internet-Projekte vorgestellt und dann von Nutzern je nach Lust und Laune mit Geld versorgt werden, kamen zwischen dem 24. April und dem 13. Mai unglaubliche 116.000 Dollar zusammen. Dabei hatte das Diaspora-Team eigentlich nur um 10.000 Dollar gebeten, damit die vier Nachwuchsprogrammierer sich drei Monate lang im Sommer ganz auf das neue Netzwerk konzentrieren konnten, ohne die sonst üblichen Studentenjobs und Praktika annehmen zu müssen.
Die Idee kam dem Diaspora-Team nach einem Vortrag des Juraprofessors Eben Moglen, der die sozialen Netzwerke in ihrer aktuellen Form mit einem "freiwilligen Spionagering" verglich. Hinzu kommt eine Abneigung gegenüber dem aktuellen Trend der Anhäufung großer Datenmengen bei einzelnen Firmen wie eben Facebook. "Wenn wir miteinander reden, müssen wir unsere Kommunikation ja auch nicht an eine zentrale Stelle weitergeben", erläutern die Diaspora-Macher in einem Video.
Das Projekt ist getrieben von der Frage, wer die Herrschaft über die eigenen Informationen hat. Mitgründer Raphael Sofaer fasst das so zusammen: "Soziale Netzwerke existieren eigentlich erst seit zehn Jahren. Niemand weiß, was mit unseren Daten in absehbarer Zukunft passiert. Wir müssen deshalb selbst die Kontrolle übernehmen." Eine Anti-Haltung gegenüber der Technik lässt sich aber beim Diaspora-Team nicht erkennen - dafür sind seine Mitglieder zu sehr Teil der Generation Internet.
Sofaers Kollege Max Salzberg betont, dass das Teilen von Informationen grundsätzlich "eine ganz tolle Sache" sei, es mache vieles besser. Trotzdem, und da sind sich alle Diaspora-Gründer einig, müssten die Nutzer die Kontrolle behalten. Das sei kein Widerspruch. "Die großen Firmen sagen, Privatsphäre und Teilen würden sich gegenseitig ausschließen. Das stimmt aber nicht. Denn der Knoten gehört ab sofort Euch."
Und genau dieser Knoten soll das sein, was Facebook und Co. seit langem nicht mehr sind: Absolut sicher. So wird der gesamte Datenverkehr standardmäßig verschlüsselt. "Es gibt keinen Grund dafür, dass Kommunikation nicht geschützt sein sollte", sagt Sofaer. Bei Facebook ist selbst die simple Browser-Verschlüsselung üblicherweise ausgeschaltet. Schalter müssen bei Diaspora dazu nicht umgelegt werden. "Wir werden supertransparent sein", so Mitgründer Dan Grippi. "Die Verschlüsselung ist einfach da."
Angst, dass sie den Mund etwas zu voll nehmen, haben die Diaspora-Gründer nicht. Schließlich sei die Technik, die Facebook nutze – die Wall, die kleinen Spiele, der Chat – nichts besonders Rares. "Die Technologie dafür existiert." Auch die Idee, ein Netzwerk zu verteilen, statt mit zentralen Servern zu arbeiten, ist längst erprobt. Peer-to-Peer-Datentauschnetze arbeiten so seit langem.
Wer dann nicht mehr Teil des Netzes sein will, schaltet seinen Knoten einfach ab, während man bei Facebook quasi darum betteln muss, endlich wieder herausgelassen zu werden. In einigen Monaten dürfte mit den ersten Ergebnissen der Diaspora-Programmierarbeit zu rechnen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf