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„Der Faire Handel kann nicht die Welt retten“

Gegenwind In letzter Zeit ist einige Kritik am Fairen Handel laut geworden: Werden Standards und Prinzipien eingehalten? Ein Interview mit Manuel Blendin, Geschäftsführer des Forums Fairer Handel, das unter anderem die Faire Woche ausrichtet

Manuel Blendin

ist Geschäftsführer des Forums Fairer Handel, des Netzwerks der in Deutschland aktiven Fairtrade-Akteure.

Interview: Mirko Heinemann

taz: Herr Blendin, „Transparenz“ lautet das Motto der diesjährigen Fairen Woche. Gibt es im Fairen Handel Nachholbedarf?

Manuel Blendin: Wir haben das Motto gewählt, weil wir glauben, dass wir relativ gut dastehen: Transparenz ist eine Grundlage des Fairen Handels. Der Faire Handel ist nur dann glaubwürdig, wenn er transparent ist. Gleichzeitig wollen wir zeigen, dass es grundsätzlich im Handel – auch im Fairen Handel – noch Bedarf an Transparenz gibt.

Kritik trifft zum Beispiel das Prinzip des sogenannten Mengenausgleichs. Danach dürfen fair gehandelte Zutaten im Erzeugerland mit nicht fair gehandelten vermischt und als fair verkauft werden. Ist das im Sinne der Idee?

Hier gibt es zwei Ansätze: Die Idee des Mengenausgleichs ist, dass auch diejenigen Produzenten ihre Waren verkaufen können, die keine Verarbeitungskapazitäten haben und sie sonst gar nicht verkaufen könnten. Etwa bei Orangensaft: Es lohnt sich nicht, für kleine Mengen eine eigene Presse zu betreiben. Das ist wie beim Apfelsaft aus selbst geernteten Äpfeln: Sie geben Ihre Äpfel in die Presse, aber es sind nicht nur Ihre Äpfel in dem Saft, den Sie bekommen. Aber Sie erhalten die entsprechende Menge. So auch beim Mengenausgleich. Die Fair-Händler, setzen darauf, dass die Zutaten aller Produkte bis zum Produzenten physisch zurückverfolgt werden können. Dafür unterstützen sie die Produzenten bei der Weiterverarbeitung ihrer Produkte.

Das könnte aber auch bedeuten, dass Produkte eventuell umweltschädigende Pestizide enthalten, die laut Fairtrade-Prinzip nicht zulässig sind, oder?

Das ist bei konventionellen Produkten theoretisch möglich. Was aber sicher ist: dass die Produzenten auf keinen Fall mit Pestiziden in Berührung kommen, weil sie ja nach den Kriterien des Fairen Handels herstellen. Wer als Konsument sichergehen möchte, dass bei der Produktion keine Pestizide zum Einsatz kamen, sollte ein biozertifiziertes Produkt wählen. Das sind inzwischen drei Viertel der Produkte im Fairen Handel.

„Der Spiegel“ zitierte Beispiele, in denen Farmarbeiter in Fairtrade-zertifizierten Betrieben für Hungerlöhne arbeiteten, weil sie nicht wussten, was ihnen zusteht.

Das sind Einzelfälle, die aber eine Problematik aufzeigen: Die Produzenten profitieren von den Bedingungen des Fairen Handels, aber bei abhängig Beschäftigten und vor allem bei Zeitarbeitern ist es nicht einfach, existenzsichernde Löhne durchzusetzen. Das Thema hat hohe Priorität im Fairen Handel. So wurde zum Beispiel 2014 diese Bedingung im entsprechenden Fairtrade-Standard festgeschrieben. Aber bis zum Ziel ist es noch ein langer Weg.

Der Senegalese Ndongo Sylla, selbst ehemaliger Mitarbeiter im Fairen Handel, kritisiert in seinem Buch, er habe keine Effekte in den Ländern des Südens. Was erwidern Sie?

Auf das Leben vieler Produzenten hat der Faire Handel sehr positive Auswirkungen. Das heißt aber nicht, dass der Faire Handel die Welt retten kann. Vielerorts sind politische Veränderungen notwendig, das sehen wir genauso. Und wir als Fairer Handel legen unser politisches Gewicht in die Waagschale. Wir legen Kampagnen auf, etwa zur Unternehmensverantwortung, und wir formulieren Forderungen an die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und Europa. Aber unsere politische Schlagkraft ist begrenzt.

Laut Verbraucherzentrale Ham­burg gab es bei der Hälfte von „fair“ gehandelten Lebensmitteln Mängel bei der Kennzeichnung.

Teilweise wurde berechtigte Kritik geübt. Aber das Problem bei der Studie war, dass zu einem Teil auch Produkte bewertet wurden, die mit uns als Fairem Handel gar nichts zu tun haben. Das Problem fußt in der Vielfalt der Siegel und Bezeichnungen. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen hierzu, im Gegensatz zum Biosiegel. Jeder kann sich den Begriff „fair“ auf die Verpackung schreiben oder in seinen Firmennamen aufnehmen.

Wie unterscheidet man die Guten von den Bösen?

Das ist leider nicht leicht. Verbraucher müssen sich informieren. Als „fair“ erkennen wir vom Forum Fairer Handel vier Produktsiegel an: Fairtrade, Naturland Fair, Fair for Life und Ecocert Fair Trade. Dann das Label der World Fair Trade Organization. Auch anerkannte Fair-Handelsorganisationen wie Gepa, El Puente, dwp, BanaFair und Globo. Wer ganz sicher sein will, geht in den Weltladen.

Ausgerechnet die Discounter erwiesen sich im Test der Verbraucherzentrale als transparent. Sind Lidl & Co die besseren Fair Trader?

Wenn ein Discounter sich entscheidet, ein Produkt aufzunehmen, schnellen beim Produzenten die Absatzmengen in die Höhe. Auf der anderen Seite haben Discounter im deutschen Lebensmitteleinzelhandel eine ungeheure Preismacht. Da wünschen wir uns, dass sie der daraus erwachsenden Verantwortung in ihrer Einkaufspolitik Rechnung tragen.

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