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Klaustrophobes Klein-Klein

GRUSEL Das Fantasy Filmfest zeigt mit Nikias Chryssos’ „Der Bunker“ ein bizarres Meisterstück des sonderbaren Kinos

von ThOMAS GROH

Was könnte die „Lindenstraße”, der Deutschen liebste Seifenoper, und das Fantasy Filmfest, der Deutschen liebster Rabauke unter den hiesigen Filmfestivals, miteinander zu tun haben? Wenig bis nichts auf den ersten Blick. Doch treffen sich beide Sphären aufs Schönste in der Person Hans W. Geißendörfers, dem geistigen Vater der beschaulichen „Lindenstraße”, der in diesem Festivaljahrgang zugleich als Koproduzent von Nikias Chryssos’ wunderbar verstörendem Langfilmdebüt „Der Bunker” für einen der derzeit aufregendsten deutschen Filme mitverantwortlich zeichnet. Hatte die Berlinale den Film im Februar noch in der Nebensektion „Perspektive Deutsches Kino” versenkt, darf dieses vorbildlich bizarre Meisterstück des sonderbaren Kinos nun darauf hoffen, beim Fantasy Filmfest von Freunden ästhetisch und humoristisch außergewöhnlicher Filme entdeckt und liebgewonnen zu werden.

Verdient hätte es diese kafkaesk brütende Geschichte um einen jungen Studenten (Pit Bukowski), der sich bei einer entlegen im Wald unter Tage lebenden Kleinfamilie in ein Zimmer einmietet, um in Ruhe seine Diplomarbeit zu verfassen.

Freilich liegt hier schon frühzeitig erkennbar einiges im Argen – ans ungestörte Abfassen der Arbeit ist bald nicht mehr zu denken: Der versprochene Seeblick fällt flach, weil das Zimmer eine fensterlose Gerümpelkammer im Keller darstellt. Der Charme des Vaters (David Scheller) ist verdächtig schmierig aufgetragen, ohne den Hang zur Impertinenz dabei je zu kaschieren. Die Einrichtung ist einem miesen, in den 50ern durchlittenen Stechapfeltee-Albtraum entsprungen. Der Umgang der Familienangehörigen unterein­ander ist, gelinde gesagt, von schweren Verkarstungen im Neurosenhaushalt geprägt.

Wichtigste Figur im Ensemble: der kleine zum allgemeinen Befremden vom sichtlich erwachsenen Daniel Fripan gespielte Sohn Klaus, ein unweit der geistigen Umnachtung vor sich hin trübendes Tristkind. Und als solches ist er wohl das Irritierendste des deutschen Kinos seit in Roland Klicks Unbehaglichkeits-Klassiker „Bübchen” (1968) der kleine Achim seine Schwester ermordet hat.

Sehr zum Erstaunen auch des Studenten halten die Eltern jedoch größte Stücke auf den Sprößling: Der soll mal Präsident im Weißen Haus werden, weshalb der Student ihm zum Ausgleich für die vielen verzehrten Klöße sämtliche Hauptstädte dieser Welt zur Not auch mit dem Rohrstock einbläuen solle. Der Beginn einer sonderbaren, vom Schicksal im Kellerbunker geschmiedeten –nun ja – wollen wir es mal Freundschaft nennen.

Der Umgang ist von schweren Verkarstungen im Neurosenhaushalt geprägt

Bis ins liebevoll ausgeschmückte Detail hinein wirklich toll und voll umfassend kaputt, dieser sanft von österreichischer Filmhärte umflirtete Spießbürger-Exzess in Klaustrophoben-Cinemascope. Wenn Chryssos und sein grandioser Cast – auch Oona von Maydell als dumpf im Wahn brodelnde Mutter verdient unbedingt Erwähnung – tief im Schutt der aus altbundesrepublikanischen Neurosen aufgehäuften Endmoränen wühlen gehen, dann ist das nicht nur zum Schreien komisch (zumal alle Beteiligten in der hohen Kunst des Timings glänzen), sondern auch auf souverän dargebotene Weise unheimlich. Ganz ohne die im deutschen Kino berüchtigte, elende Erkläritis entfaltet „Der Bunker” einen nur seiner Eigenlogik verpflichteten filmischen Kosmos, der tief durchwirkt ist von patriarchalem Wohnstuben-Klein-Klein. Gerade so als hätten Wenzel Storch, Deutschlands wichtigster Autorenfilmer, und Helge Schneider gemeinsam mit David Lynch exzessiv am Kleber geschnüffelt und sich dabei „Ekel Alfred” in Endlosschleife reingepfiffen.

Das Schöne dabei: Man kann „Der Bunker” zwar sicher und ganz besonders auch als Parabel auf kleinbürgerliche Verkniffenheiten deuten. Doch im Allegorischen erschöpft er sich noch nicht allein. Vielmehr funktioniert Nikias Chryssos’ Film auch ganz selbstverständlich als Fortsetzung einer hehren Kinotradition, die man mal „Mitternachtskino” genannt hat und Filme vereint, die lustvoll „weird” und quer zu jeder Verschubladisierung stehen. Noch schöner, dass „Der Bunker” diesbezüglich nicht im Ansatz affektiert oder nachgemacht wirkt, sondern beeindruckend selbstbewusst neben das deutsche, beschauliche Konsens-Filmeschaffen tritt: Weder in Richtung Filmförderung noch an die Formelhaftigkeit des klassischen Genrekinos gibt es Zugeständnisse.

Ein noch in der strengen Kontrolliertheit seiner genau kadrierten Bilder meisterlicher, freier Film – und wo, wenn nicht beim Fantasy Filmfest, das an der Zone zwischen Kunst, Genre und Irrsinn siedelt, wären solche kostbaren Querschläger am besten aufgehoben?

Fantasy Filmfest Berlin: Cinestar Sony Center, 5.–16. 8.; „Der Bunker“: 13. 8., 20.45 Uhr

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