Cap-Anamur-Prozess: Exempel auf Sizilien
Nach einem Jahr hat Stefan Schmidt, Kapitän der "Cap Anamur", endlich das Wort im Schleuserprozes. Er ist als Schlepper angeklagt, weil er 37 Afrikaner vor der Küste Italiens rettete.
"Gelassen?" Stefan Schmidt zuckt mit den Schultern. "Ich finde es positiv, dass ich endlich aussagen kann, nach über einem Jahr Prozessdauer. Aber gelassen kann ich einfach nicht sein, schließlich ist das kein juristischer, sondern ein politischer Prozess."
Kapitän Schmidt wirkt genau so, wie jede Landratte sich einen Kapitän zur See vorstellen würde - mit seinem weißen, kurz geschorenen Vollbart, seinem dunkelblauen Pullover, der wortkargen Art. Große Worte kommen ihm nicht so leicht über die Lippen. Doch er hat einfach keinen anderen Begriff als "politischer Prozess" für das Verfahren gegen sich im sizilianischen Agrigent. Dort wird er an diesem Montag zum ersten Mal nach über einem Jahr Prozessdauer seine Version der Ereignisse schildern.
Schmidts Mund verzieht sich zu einem Grinsen. "Wir sind als Schlepper angeklagt, in einem besonders schweren Fall. Weil wir viele Leute geschleppt haben, weil wir als Bande gehandelt haben und weil wir einen Haufen Geld verdient haben, natürlich, klar."
Cap Anamur war der Name jener Schlepperbande, die im Sommer 2004 europaweit Aufsehen erregt hat: Das unter Schmidts Kommando stehende Schiff der deutschen Hilfsorganisation hatte zwischen Lampedusa und Malta 37 Afrikaner, deren Schlauchboot zu kentern drohte, an Bord genommen und dann versucht, sie in Sizilien an Land zu bringen. Italien verweigerte zuerst die Einfahrt in den Hafen, gab dann aber nach tagelangem Tauziehen nach - scheinbar. Denn kaum hatte die "Cap Anamur" in Porto Empedocle angelegt, kamen Schmidt, der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch und Elias Bierdel, Chef der Organisation Cap Anamur, in Haft. Die 37 Afrikaner wurden in ein Abschiebegefängnis gesperrt und binnen wenigen Tagen zurückverfrachtet, das Schiff wurde als "Tatwerkzeug" beschlagnahmt.
Von den fünf Tagen Untersuchungshaft, die sie damals abgesessen haben, will Elias Bierdel heute nicht weiterreden. Angesichts der kurzen Dauer könne man das fast als "interessante Erfahrung" verbuchen, meint er. Schmidt erzählt sogar von Polizisten, die ihm gleich nach der Festnahme erst mal ein Eis spendiert haben. Das aber ist auch schon die einzige positive Erfahrung mit dem italienischen Staat, von der die beiden berichten können. Denn Italien ließ keineswegs locker.
Seit November 2006 läuft gegen die Cap-Anamur-Leute der Prozess wegen "Begünstigung illegaler Einwanderung", sprich wegen gewerbsmäßiger Schlepperei. Bierdel weiß auch, warum. "Die wollten uns stoppen, das war der politische Grund, und da konnten sie ja nicht einfach sagen: 'Hört auf damit!'. Also haben sie sich entschlossen, Leute zu kriminalisieren, die es wagen, die Falschen zu retten." Als Beleg für seine These führt Bierdel eine gemeinsame Pressekonferenz von Deutschlands damaligem SPD-Innenminister Otto Schily und dessen italienischem Amtskollegen Beppe Pisanu an; sie hatten, noch vor Einlaufen der "Cap Anamur", erklärt, es gelte, "einen gefährlichen Präzedenzfall zu verhindern".
Die Staatsanwaltschaft in Agrigent ließ sich nicht lange bitten - auch wenn die Anklage auf schwachen Füßen steht. Schließlich sind Bierdel, Schmidt und Daschkewitsch keine Schleuser, die im Mittelmeer unterwegs waren, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Doch mit etwas Fantasie ließ sich auch dieses anklagetechnische Problem lösen. "Davon, dass Cap Anamur eine humanitäre Organisation ist, war im Eröffnungsplädoyer des Staatsanwalts nicht die Rede", erzählt Bierdel, "wohl aber davon, dass wir Geld verdienen wollten".
Und zwar so: Mittels der Aussage des deutschen Journalisten Stephan Stuchlik, damals Redakteur der ARD-Sendung "Panorama", der die Cap-Anamur-Aktion nach Kräften schlechtgemacht hatte, glaubt die Staatsanwaltschaft beweisen zu können, dass es der Crew um den Verkauf von Fernsehbildern gegangen sei. Bei angeblich 80 Stunden Bildmaterial zu einem Minutenpreis von 500 Dollar hatte der Staatsanwalt Millionengewinne errechnet.
"Absurd, schwachsinnig, hirnrissig" sind die Worte, die Bierdel und Schmidt zu diesem Konstrukt einfallen. Sie haben ihre Zweifel, ob Stuchlik je in Agrigent aussagen wird. Doch die Anklage, die bei einer Verurteilung immerhin zwölf Jahre Haft bringen kann, nehmen sie trotzdem ernst. Schließlich sind die Folgen schon jetzt unüberschaubar. "Das beginnt damit, dass unsere Energien jahrelang durch diesen Prozess gebunden werden und dass die Organisation für das Verfahren Spendengelder ausgeben muss, die eigentlich für Hilfsleistungen zum Beispiel in Afrika gedacht waren."
Und es geht weiter mit dem politischen Signal, das von diesem Prozess ausgeht. Wenn schon das Schiff einer humanitären Organisation so behandelt werde, wisse jeder gewöhnliche Frachtkapitän, "dass er in Zukunft besser vorbeifährt und wegschaut, wenn er schiffbrüchige Bootsflüchtlinge sieht". Bierdel meint, die Schikane habe System. "Vor derselben Kammer, vor der wir stehen, wird ja jetzt auch gegen sieben tunesische Fischer verhandelt."
Die Tunesier hatten im August 2007 Menschen aus Seenot geholfen und sie dann nach Lampedusa gebracht - gegen die Anweisungen der italienischen Behörden, die verlangt hatten, ihre zwei Boote sollten Libyen ansteuern. Alle sieben kamen in Haft, der Kapitän und sein Vize saßen einen ganzen Monat ein. Nun sind auch sie als Schlepper angeklagt. Am Mittwoch ist der nächste Verhandlungstag gegen sie anberaumt. Kein tunesischer Fischer werde auf absehbare Zeit mehr einem Afrikaner in Seenot die Hand reichen, glaubt Bierdel. Einfach zynisch sei dieses Vorgehen Italiens und Europas angesichts der tausendfachen Tragödie, die sich auf dem Mittelmeer abspielt.
Doch von den politischen Hintergründen wird Schmidt in seiner Aussage nicht groß sprechen können. "Unsere Anwälte wollen, dass wir uns rein technisch verteidigen." Die Flüchtlinge aber lassen ihn nicht los. Als Bierdel in diesem Jahr die Organisation Borderline Europe gegründet hat, war Schmidt sofort dabei, der Verein dokumentiert die zahlreichen Flüchtlingsdramen entlang der EU-Außengrenze.
Ein Rettungsschiff fährt Stefan nicht mehr, er unterrichtet jetzt an der Seemannsschule Lübeck. Da kommen manchmal Mitarbeiter der DGZRS, der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, in seine Kurse. Sie lassen sich von dem angeblichen Schleuser Schmidt erzählen, wie man Menschen aus Seenot rettet.
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