Autorin Julia Friedrichs über Elite: "Nur der Habitus zählt"
Zur Recherche besuchte Autorin Julia Friedrichs ein Jahr lang private Internate und Elite-Unis. Dort fehle jeder Kontakt mit dem Rest der Gesellschaft, kritisiert sie.
taz: Frau Friedrichs, sind Deutschlands Eliten dämlich?
Julia Friedrichs: Warum das denn?
Sie haben für ihr Buch "Gestatten: Elite" ein Jahr lang private Internate wie Schloß Salem und Elite-Unis wie die European Business School in Oestrich-Winkel besucht. Dort tauchen die Nachwuchseliten als Schnösel mit Polo-Shirts, gegelten Haaren und BMW-Cabrios auf.
Dämlich würde ich diese jungen Leute aber niemals nennen.
Der Historiker Paul Nolte hat kritisiert, dass Sie die Selbststilisierung eines bestimmten Milieus mit den wirklichen Eliten verwechselt hätten.
Ich bin dahin gegangen, wo die Leute von sich selbst sagen, dass sie die Elite sind. Und das wollte ich überprüfen. Das war meine Versuchsanordnung.
Und, haben sie echte Eliten gefunden?
Wenn man Elite mit Karriere und finanziellem Erfolg gleichsetzt: ja. Aber wenn man von den selbsternannten Eliten erwartet, dass sie nachweisbar zu den Besten gehören oder gar großartige Visionen haben, wie das Land besser werden könnte, dann trifft das sicher nicht immer zu.
"Wer zahlen kann, darf dazu gehören", schreiben Sie. Ist es wirklich so einfach?
Vielleicht war ich zu naiv, aber ich hätte nicht damit gerechnet, wie wichtig das Kriterium Geld ist, um etwa an private Internate wie Schloß Salem oder Neubeuern genommen zu werden. Von einigen Stipendien abgesehen, ist das zentrale Kriterium: Können die Eltern 30.000 Euro im Jahr zahlen oder nicht.
Leistung zählt nichts, dafür Herkunft und Habitus umso mehr?
Der Aufstieg in die Elite funktioniert hierzulande jedenfalls nicht nach nachvollziehbaren Regeln. Es gibt keine harten Kriterien, nach denen sich beurteilen lässt, was man leisten muss, um dazu zu gehören.
Aber an den Privatunis gibt es doch Aufnahmeprüfungen.
Für Aufsteiger aus unteren sozialen Schichten sind solche Verfahren eher Hindernisse. Die Abiturnote hat sicher auch ihre Schwächen. Aber sie leistet zumindest eine minimale Vergleichbarkeit. Die Auswahl der Privilegierten erfolgt in Gesprächen, die die amtierende Elite mit ihren möglichen Nachfolgern führt. Dort kommt es viel mehr darauf an, wie man sich darstellen kann. Und weniger auf nachweisbare Leistung.
Niemand wird gezwungen, sich dieser Auswahl auszusetzen. Wo ist das Problem?
Das große Problem bei der Expansion der privaten Bildung ist, dass hier Leute heranwachsen, die wenig Kontakt mit dem großen Rest der Gesellschaft haben. Man ist unter sich. Dadurch könnte ein Grundkitt, eine Grundsolidarität in unserer Gesellschaft verloren gehen.
Ein sozialromantisches Argument.
Ich finde nicht, dass es sozialromantisch ist, an einen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu appellieren.
Eltern wollen das beste für ihre Kinder. Warum sollen diejenigen, die es sich leisten können, ihren Nachwuchs nicht auf eine private Fünf-Sterne-Kita schicken, wo sie Geigenunterricht und Chinesischkurse erhalten - nur weil andere Familien das nicht können?
Ich würde nie einzelne Eltern für eine solche Entscheidung kritisieren. Die Politik sollte dafür sorgen, dass die Bedingungen im staatlichen Bildungssystem für alle so gut sind, dass solche Fluchtbewegungen hin zu privaten Einrichtungen nicht notwendig sind.
Also Elite für alle?
Die Bedingungen, die ich an den Internaten vorgefunden habe, sind unbestritten gut. Wenn das die Bedingungen sind, unter denen Kinder am besten lernen, dann sollte die jeder haben.
Also auch Tennisplätze für alle, wie sie die Schüler in Salem haben?
Wenn man sich als Gesellschaft darauf einigt, dass Tennisplätze für die Erziehung unabdingbar sind, dann meinetwegen auch Tennisplätze für alle!
Realistisch betrachtet wird es die Bedingungen, die sie an den Privat-Einrichtungen angetroffen haben, an staatlichen Unis und Schulen so schnell nicht geben. Sind sie bei Ihren Recherchen nicht manchmal neidisch geworden?
Als ich zum ersten mal an diese Privatunis ging, dachte ich natürlich auch: das ist wie im Traum. Da sitzen 20 Leute in der Vorlesung. Wenn Sie dem Professor eine E-Mail schreiben, muss er innerhalb von 24 Stunden zurück schreiben. Und in der Bibliothek gibt es für jeden einen eigenen Computerplatz.
Würden Sie trotzdem die Staats-Uni vorziehen, falls Sie noch mal vor der Wahl stünden und das nötige Geld hätten?
Ich will meine Zeit im staatlichen Bidlungssystem nicht missen. Es ist doch nicht verkehrt, ganz normal groß zu werden, mit Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft um einen herum. Die Teilung in Elite und Rest, oben und unten, in Gewinner und Verlierer, erschließt sich mir nicht.
INTERVIEW: WOLF SCHMIDT
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