Tour durch die sozialen Unterschiede: Mit dem Fahrrad rund um Madrid
Die spanische Hauptstadt gilt nicht gerade als fahrradfreundlich: zu viel Verkehr, zu heiß. Aber auf dem grünen Hauptstadtring kann man sie aus ganz ungewohnter Perspektive erkunden
Mit dem Fahrrad rund um Madrid
Der Anillo Verde Ciclista ist gut ausgeschildert. Eine Karte ist erhältlich bei der Touristeninformation auf der Plaza Mayor oder
Unweit der Touristeninformation in der Calle Mayor 78 befindet sich ein Fahrradverleih: urbanmovil.com
Wer will und sich traut, kann von dort in den Stadtwald Casa de Campo strampeln oder - allerdings nur am Wochenende - das Fahrrad mit in die U-Bahn nehmen. Von Opera geht es nach Príncipe Pío und von dort nach Lago. Der Anillo Verde Ciclista verläuft direkt an der U-Bahn-Station vorbei.
VON REINER WANDLER
Treffpunkt, 9 Uhr morgens, Zoo, Madrid. Heute geht es nicht in die Berge. Statt wie sonst üblich bei langen Wanderungen dem hektischen Stadtleben zu entweichen, wollen wir heute genau das Gegenteil machen. Wir werden die spanische Hauptstadt neu entdecken, indem wir sie mit dem Fahrrad auf dem Anillo Verde Ciclista - dem Grünen Fahrradring - umfahren. Den gibt es erst seit Mai letzten Jahres, denn das Rad ist in der stark befahrenen, engen Madrider Innenstadt noch recht selten und auch politisch noch kaum angekommen. Jetzt im Frühling bietet sich eine Radtour an, denn im Sommer, wenn brütende Hitze über der Stadt liegt,wäre das geradezu mörderisch. Vor uns liegen 64 Kilometer Radweg.
Die Route führt durch die äußeren Stadtteile Madrids, ihre Parks und Sportanlagen. Es ist eine Reise durch die sozialen Unterschiede der Hauptstadt. Überall gehen die Einwohner ihren Samstagsbeschäftigungen nach. Hier wird ein Auto gewaschen, dort schleppt jemand Einkaufstüten nach Hause. Die Parks füllen sich. Nach einigen Tagen Regen genießen viele den warmen Morgen. Auf den Fußballfeldern spielen irgendwelche Jugendvereine der Regionalliga. Die Szenen gleichen sich und sind bei genauerem Hinschauen doch verschieden. Im Süden verbergen rote Backsteinfassaden kleine, enge Wohnungen. Einfamilienhäuser gibt es keine. Spanische Rentner und Immigranten bestimmen das Straßenbild. Im Norden sind die Wohnungen groß und hell. Zwischen den Wohnblocks wurden Schwimmbäder und Spielplätze angelegt. Hier lebt das betuchtere Madrid. Wenn es überhaupt Ausländer gibt, kommen sie aus der EU. Wer noch mehr Geld hat, lebt in einer Siedlung mit Einfamilienhäusern. Im Süden hat das geliebte Auto schon ein paar Jahre hinter sich. Im Norden sind Pkws neuesten Datums. Viele tragen stolz einen Stern oder vier Ringe auf der Haube.
Wir fahren zunächst Richtung Süden, um dann im Osten der Stadt Richtung Norden zu strampeln. Danach geht es auf der Westseite zum Ausgangspunkt zurück. Quer durch die Casa de Campo, Madrids Stadtwald, erreichen wir die südlichen Stadtteile. Das leichte Gefälle ist genau das Richtige, um sich warm zu strampeln. Wir durchqueren mehrere Parks und genießen den Ausblick. Gegen Norden erhebt sich die Stadt. Die höchsten Gebäude im Zentrum und die Bürotürme im Norden bilden die Skyline Madrids. Dahinter liegt die Sierra de Guadarrama.
Bald schon ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Die Madrider Geografie zeigt ihr wahres Gesicht. Wir sind mit 535 Meter über dem Meer am tiefsten Punkt der Tour angelangt. Die spanische Hauptstadt liegt am Rio Manzanares, den wir hier kreuzen. Der Fluss führt seit Millionen Jahren das Schmelzwasser aus der Sierra Richtung Tajo, der dann bei Lissabon in den Atlantik mündet. Nach und nach hat er sich tief in die kastilische Hochebene eingegraben. Kleiner Zuflüsse taten das ihre. Das Ergebnis ist eine zerfurchte, hügelige Landschaft. Was vom Auto aus oft eben erscheint, geht in Wirklichkeit auf und ab. Lange Anstiege zehren an der Kondition. Dann geht es wieder bergab. Alles war umsonst. Ein ewiges beinermüdendes Spiel.
Dennoch holen jedes Wochenende ganze Familien ihre Fahrräder hervor und begeben sich auf den Anillo Verde Ciclista. Lange haben die Madrilenen auf einen guten Radweg gewartet. Obwohl der Plan für einen Rundweg schon Anfang der 80er-Jahre geboren wurde, verschwand er in der Schublade, als der Bürgermeister wechselte. Der neue Stadtvater setzte ganz aufs Auto. "Fahrräder sind ein Sportgerät und kein Fortbewegungsmittel", gab er gerne zum Besten. Erst nach einem erneuten Wechsel im Bürgermeisteramt wurde der Plan wieder hervorgekramt und in nur vier Jahren fertiggestellt. Weitere 450 Kilometer Radwege sollen in den nächsten Jahren folgen. Sie sollen ein breites Netz über die ganze Stadt spannen.
Der Anillo Verde Ciclista ist gut ausgebaut und vom Autoverkehr getrennt. Wo immer es geht, vermeidet er die Nähe zu den Straßen. Eigens errichtete Brücken überqueren die Autobahnen aus allen Teilen Spaniens, die in Madrid sternförmig zusammenlaufen. Alle vier bis fünf Kilometer lädt ein Rastplatz - meist mit einem Trinkbrunnen versehen - zum Ausruhen.
Langsam geht es gegen Norden. Vorbei am neuen Madrider Stadion La Peineta, das - so die Pläne der Stadtverwaltung - olympisch werden soll, gelangen wir zum höchsten Punkt unserer Rundfahrt. Kurz nach dem Kilometer 0 des Radweges direkt an der A 1, die Madrid via Burgos und Baskenland mit Frankreich verbindet, erreichen wir 720 Meter über dem Meer. Es ist geschafft. Lange Abfahrten bringen uns zurück zum Manzanares. An seinem Ufer fahren wir durch den Schatten spendenden Stadtwald und gelangen bald wieder zu unserem Ausgangspunkt.
Wir fahren mit der U-Bahn nach Hause. Selbst wenn es innerstädtische Radwege gäbe, hätte keiner mehr die Kraft in den Beinen, um weitere fünf Kilometer in die Innenstadt hinaufzustrampeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!