Wedding: Das afrikanische Viertel
Togostraße, Kameruner Straße, Ghanastraße: Seit über 100 Jahren ist Afrika auf Straßenschildern im Wedding präsent. Seit einigen Jahren zieht es auffällig viele Afrikaner her. Sie schätzen die Nähe zu ihresgleichen und die Infrastruktur mit speziellen Läden, Restaurants und Beratungsstellen im Kiez.
Nur die weiße Decke stört. Ansonsten sind die Farben des schwarzen Kontinents im Weddinger "Afrika Medien Zentrum" im Überfluss vorhanden. Ein dunkelgrüner Teppichboden schluckt jeden noch so schweren Schritt, die Wände leuchten im grellen Gelb. "Eine rote Decke, Symbol für blutige Unabhängigkeitskriege, wäre dann doch zu viel gewesen", sagt Hervé Tcheumeleu und wirft einen stolzen Blick in seine Redaktionsräume, wo Monat für Monat ein afrikanisches Magazin entsteht. LoNam, Sonnenaufgang, taufte er das Heft in deutscher Sprache, welches das Licht der Welt ursprünglich in Alt-Mitte erblickte. Vor einem Jahr packte der Verleger jedoch die Umzugskartons. Tcheumeleu lächelt und erklärt: "Wir wollten dort sein, wo Afrikaner sich wohl fühlen."
Der Wedding wird schwarz. Der Arbeiterbezirk legt seine rote Farbe ab und wird bunt, international, afrikanisch. Bei "Bendaa International" in der Reinickendorfer Straße gibt es Kochbananen, süße Kartoffel und Cocoabutter. Letzteres ist kein Lebensmittel, sondern eins der vielen speziellen Haarpflegeprodukte, die John Tamba im Angebot hat. "Die Atmosphäre ist friedlich im Wedding", sagt der Händler. Hier störe sich niemand an etwas.
Über 1.000 Afrikaner zogen in den letzten zehn Jahren hierher. Rund 2.500 leben laut Statistischem Landesamt heute zwischen Reinickendorfer und Seestraße. Dabei zählt das Amt nur Menschen mit afrikanischem Pass. Deutsche mit afrikanischen Wurzeln prägen nur das Straßenland, nicht die Statistik.
Afrika und Wedding - eine Verbindung weit älter als 100 Jahre. Seit 1899 gibt es die Kameruner- und die Togostraße, benannt nach den damaligen deutsche Kolonien. In der Folge machten Namen mit afrikanischen Hintergrund in Wedding Karriere. Selbst als die Kolonien längst der Vergangenheit angehörten, wurde die Benennungspraxis fortgeführt - der Konsequenz wegen. Ein wirklicher Grund ließ sich erst 1958 wieder finden. Da besuchte der erste ghanaische Staatschef nach der Unabhängigkeit Berlin. Und die Ghanastraße bekam ihren heutigen Namen.
Doch die Straßennamen allein taugen nicht als Erklärungsmuster für die zunehmende Beliebtheit des Viertels. Die Redaktion von LoNam zog aus ganz profanen Gründen in den Wedding. "Jeder Afrikaner", berichtet der Verleger, "kommt mindestens einmal hier vorbei." Berlins Ausländerbehörde residiert nur einen Steinwurf entfernt. Ein guter Ort, um eine Auflage von 10.000 Exemplaren zu verkaufen. Zudem machen billige Mieten Projekte wie LoNam rentabel.
Eine, die sich in den Wedding aufgemacht hat, ist Assibi Wartenberg. Fast 40 Minuten nach der verabredeten Zeit betritt die Togoerin ihr Restaurant, das "Relais de Savanne" in der Prinzenallee. Ein Europäer mag da ungeduldig werden. Unter Afrikanern gilt das jedoch noch als pünktlich. Bunte Bilder hängen an weiß getünchten Wänden, eine Deutschlandkarte gleich daneben. Berlin ist mit einer Stecknadel markiert. Ein prüfender Blick offenbart: Die Nadel steckt im Wedding.
"Ich fühle mich hier einfach wohl", sagt die Restaurantbesitzerin mit dem weitem Gewand und gefärbten Haaren. Die Erklärung, ein Lokal gerade im Wedding zu eröffnen, ist so diffus wie weit verbreitet. Und doch trifft der Satz den Kern der afrikanische Mentalität. "Afrikaner suchen immer andere Afrikaner", erklärt Wartenberg mit einer Selbstverständlichkeit, die entwaffnend ist. Die Tür geht auf und ein afrikanischer Freund betritt das Lokal. Wartenberg springt auf. Gastfreundschaft ist hier im "Relais de Savanne" mehr als eine Worthülse.
Noch ist die Community im Wedding ein zartes Pflänzchen. Das Redaktion des LoNam bezog vor gut einem Jahr hier Quartier. Wartenbergs Restaurant bietet afrikanische Spezialitäten erst seit vier Monaten. Noch vor kurzem war Charlottenburg die Wahlheimat der Togoerin. Die Entscheidung für den Wedding fiel nicht schwer. "Will ich mit anderen Afrikanern zusammenleben, muss ich hierher", erzählt die Restaurantbesitzerin. So wie Assibi Wartenberg denken viele ihrer Landsleute. Günter Piening, der Integrationsbeauftragte von Berlin, beobachtet diese Entwicklung nicht nur bei Afrikanern: "Kieze entstehen, wo Menschen sich wohl fühlen", erklärt der Experte. Im Wedding sind es nach Pienings Einschätzung zwei Faktoren entscheidend: Sicherheit und billige Mieten. "Afrikaner fühlen sich im Wedding geschützter vor Übergriffen als in anderen Bezirken", sagt Piening.
Ist erst mal der Anfang gemacht, entsteht schnell ein soziales Auffangbecken. "Informelle Netzwerke", nennt der Integrationsbeauftragte diese Kontaktstruktur. Ein besonders engmaschiges Netz ist im Wedding zu bestaunen.
Arthur Kingsley bildet in diesem Netz einen starken Knoten. Der Pastor der "International Christian Church" malt mit Kuli verschlungene Linien auf einen Block. Arbeitslosengeld, Rente, Jugendamt schreibt der Pastor in die Zeichnung und sagt: "In Afrika sind solche Dinge unbekannt." Was die Menschen kennen, heißt Afroshop, Gemeinde und Nachbarn. "Und all das finden wir Afrikaner im Wedding." Die Augen des Pastors leuchten. Eigentlich ist es nur das Tageslicht, das durch die Scheiben des Beratungszentrums in der Exerzierstraße fällt und sich in seiner Brille spiegelt. Doch auch hinter der randlosen Brille ist Zuversicht zu erkennen.
26 Jahre lang lebt der Ghanaer Arthur Kingsley schon in Berlin. Seit 1991 ist er Pastor. "Als die Mauer gefallen war, gab es keinen einzigen Afro-Shop im Wedding", erzählt Kingsley. Rassismus grassierte, Menschen mit dunkler Hautfarbe hatten Angst vor gewalttätigen Übergriffen. Der Pastor war einer der ersten, die im Wedding am sozialen Netz für Afrikaner webten. Mit Beratungsstelle und Gemeinde.
"Was Afrikaner im Wedding finden, ist Heimat in der Fremde", erklärt der Pastor. Kingsley lässt das Wort Diaspora fallen. Die verstreuten, versprengten Afrikaner hätten im Wedding wieder zueinandergefunden. Heute ziehen sie in das Viertel, weil sie wissen: Hier wird ihnen geholfen. Jemand pocht an die Tür. Das Gespräch ist zu Ende. Der Pastor wird gebraucht.
Im Vergleich zu anderen Vierteln mit einem hohem Migrantenanteil erzeugt ein afrikanischer Wedding fast schon Jubelschreie. Anfang September richteten dort verschiedene afrikanische Initiativen Berlins erstes Afrika-Festival aus. Um den Trend auch den Berlinern nahezubringen, gründete eine Historikerin das Magazin Afrika im Wedding. Zwischen Überraschung und Begeisterung liegen derzeit die Reaktionen auf die sich etablierende afrikanische Community. Ein Ghetto fürchtet dabei niemand.
Mustafa Turgut Cakmakoglu, Ausländerbeauftragter des Bezirksamtes Mitte, hält einen afrikanischen Wedding sogar für integrationsfördernd: "Die afrikanische Lebensweise ist sehr offen für andere Nationalitäten." Zudem gibt Cakmakoglu zu bedenken: "Es ist ja nicht so, dass der Wedding von Afrikanern übernommen wird."
In der Torfstraße 12 hat Verleger Hervé Tcheumeleu den Wedding heute wieder ein bisschen afrikanischer, internationaler, bunter gemacht. Bis vor wenigen Minuten führte der Verleger den Schöneberger Verein "Pro Afrika" durch die Räume des Medienzentrums. "Es gibt so viele afrikanische Initiativen", sagt Tcheumeleu, nachdem die Gäste gegangen sind. LoNam könnte nach Meinung des Verlegers dabei eine Plattform bilden. Tcheumeleu steht auf dem dunkelgrünen Teppich, blickt zur gelben Wand und verrät: "Pro Afrika will jetzt auch in den Wedding."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel