Kommentar Lebensmittelstreit in Venezuela: Falsche Agrarpolitik
Eine Kommandowirtschaft und die ständige rhetorische Polarisierung durch Chávez werden kaum dazu beitragen, die Agrarproduktion in Venezuela dauerhaft zu beflügeln.
Mit seiner Weisung, sämtliche Reisfabriken Venezuelas militärisch besetzen zu lassen und widerspenstige Firmen notfalls zu enteignen, will Hugo Chávez Führungsstärke demonstrieren. Der Beifall der meisten VenezolanerInnen, die schon länger mit steigenden Lebensmittelpreisen zu kämpfen haben, ist dem Präsidenten gewiss. Doch von der sogenannten Ernährungssouveränität, also der vollständigen Versorgung der Bevölkerung mit einheimischen Produkten, ist das Ölland Venezuela weiter entfernt denn je.
Die Reisproduktion gehört dabei gar nicht zu den Sorgenkindern; sie steigt kontinuierlich an. Auch letztes Jahr hatte die Verstaatlichung von Milch- und Fleischfabriken kurzfristig zur Linderung von Lebensmittelengpässen beigetragen. Denn insgesamt ist die flächendeckende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln dank zweier staatlicher Vertriebsnetze und dem Festpreissystem garantiert.
Doch das Getöse um die Reisfabriken lenkt langfristig vom Wesentlichen ab: In den Jahren des Erdölbooms ist es der Regierung Chávez nicht gelungen, ihre hehren Absichten umzusetzen. So wurden 2008 deutlich mehr Hühner, Rindfleisch oder Milchpulver importiert als im Vorjahr.
Bisher waren immer genug Petrodollars vorhanden, um die Defizite bei der einheimischen Produktion durch Nahrungsmittelimporte auszugleichen. Da fiel es nicht weiter auf, dass die schon lange von Chávez propagierte "Entwicklung nach innen" lahmte - viele Kooperativen auf dem Lande scheiterten, immer häufiger übernahmen Staatsfunktionäre die Leitung von Agrarbetrieben. Von der gesamten Agrarfläche wird nur ein Viertel genutzt, die Landflucht hält an, neue Versorgungsengpässe sind absehbar.
Eine Kommandowirtschaft oder auch die ständige rhetorischen Polarisierung durch Chávez werden kaum dazu beitragen, die Nahrungsmittelproduktion in Venezuela dauerhaft zu beflügeln. Vielmehr brauchen Klein- wie Großproduzenten klare Vorgaben, rechtliche Garantien und genug Raum für Eigeninitiative. GERHARD DILGER
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm