Psychologe Rolf Pohl über Sexismus: "Männer haben Angst vor Frauen "

Wir erleben eine "rhetorische Modernisierung", sagt der Sozialpsychologe Rolf Pohl. Frauen werden kaum noch offen diskriminiert. Doch Männer brauchen weiterhin das Gefühl, die Mächtigeren zu sein.

Mit ihren sexistischen Werbeplakaten wollte die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) den Absatz von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ankurbeln. Bild: dpa

taz: Herr Pohl, die Frauenbewegung der Siebzigerjahre hat unsere Gesellschaft als sexistisch beschrieben. Ist sie das noch?

Rolf Pohl: Ja. Aber "Sexismus" war eine Kampfparole in einer Zeit, in der Männer ihren Herrschaftsanspruch noch ganz offen formulierten. Heute ist sexistisches Verhalten offiziell verpönt, wir haben eine rhetorische Modernisierung erlebt. Weil die Diskriminierungen subtiler geworden sind, wirkt der Begriff nun ungenau. Ich würde auch nicht mehr sagen, wir leben in einem Patriarchat, sondern: Wir leben in einer männlich dominierten Gesellschaft mit klaren Geschlechterhierarchien.

Rolf Pohl, 57, ist Professor für Sozialpsychologie in Hannover und schrieb u. a. "Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen".

Was ist der Unterschied?

Niemand sagt mehr: Eine Frau darf nicht Bundeskanzlerin oder Führungskraft werden. Aber die Eigenschaften, die etwa dem Amt von Frau Merkel zugeschrieben werden, sind einer positiven Vorstellung von dominanter Männlichkeit entliehen. Und dann ist das Geschlecht der Amtsinhaberin natürlich mediales Dauerthema. Dieser Umstand ist mit "hegemonialer Männlichkeit" besser beschrieben als mit dem Begriff Patriarchat, in dem eine Frau auf dem Posten des Kanzlers nicht akzeptabel ist.

Und woran erkennt man die Hegemonie?

Die australische Soziologin Raewyn Connell weist drei Bereiche aus: Wer dominiert in der Wirtschaft? Wer dominiert in der Politik? Und wer dominiert in den emotionalen Beziehungen? Wer bekommt Aufmerksamkeit, Geld oder Zuwendung, und welches Geschlecht wird eher diskriminiert? Besonders in den privaten Beziehungen gibt es eine sehr starke Ausprägung männlicher Vorherrschaft.

In den privaten Beziehungen? Das würden viele Paare von sich weisen.

Natürlich versuchen viele Männer, die Idee der Gleichberechtigung zu leben. Aber zum einen hat derjenige mehr Macht, der Zugang zu Geld hat. Zum anderen findet vieles unbewusst statt. Sexismus wird oft verlagert, in Witzchen etwa. Freud würde sagen: Ein offiziell tabuisiertes Thema - Frauenverachtung - taucht als Witz wieder auf. Wenn man darüber lacht, schadet man Frauen nicht direkt und gilt deshalb nicht als Sexist. Männer generieren auch Macht in ihrer Beziehung, indem sie Aufmerksamkeit verweigern, hinhalten, Aufgaben vergessen, Bedürfnisse ihrer Partnerin ignorieren.

Männer können halt nicht anders, sagt man heute gern: Sie sind hirnphysiologisch so veranlagt. Kann man das Sexismus nennen?

Das ist auch verschobener Sexismus. Man findet pseudorationale Begründungen dafür, dass das Geschlechterverhältnis ungleich bleiben muss. Dabei ist die Hirnfrage extrem strittig: Viel spricht dafür, dass die Hirnstrukturen nicht naturgegeben so sind, sondern sich in unserer Kultur so entwickelt haben. Vor allem ist interessant, worauf die Wissenschaft sich konzentriert. Plakativ ausgedrückt: Wir können gesellschaftliche Stereotype verändern, wenn wir wollen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf das, was die Geschlechtsunterschiede endgültig als natürliche erscheinen lässt. Das ist Vermeidungsverhalten. Dieser Biologismus ist so gesehen eine neue Form des Sexismus.

Das klingt, als wollten Männer Frauen generell abwerten. Das glauben Sie nicht wirklich, oder?

Das Problem ist: Männliche Identität ist so konstruiert. Zu dieser Identität gehört das unbewusste Bedürfnis, sich aufzuwerten, indem Frauen abgewertet werden. Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion abzugrenzen ist sehr schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem kleinen Jungen ein - und erfährt immer wieder Nachprägungen.

Die Abwertung von Frauen gehört fest zur männlichen Identität?

Wenn man sich anschaut, was in unserer Gesellschaft als männlich gilt, dann finden sich immer wieder zwei dominante Merkmale: zum einen eine Hierarchie innerhalb der Männergruppe - Status- und Rangkämpfe sind für eine männliche Identität sehr wichtig. Und zum anderen die Abgrenzung zur Weiblichkeit, die alle Männer in ihrer Überlegenheit miteinander vereint.

Aber die Abgrenzung muss doch nicht zwangsläufig negativ ausfallen.

Sie tut es aber. Wenn man die Gruppe der Männer höher bewertet als die der Frauen, kann man jenseits der Hierarchiekämpfe eine Gruppenidentität herstellen. Deshalb kommt es in reinen Männerrunden manchmal zu Verbrüderungsszenen, in denen Frauen sexualisiert und als minderwertig markiert werden. Etwa beim gemeinsamen Puffbesuch: Frauen haben dort Männer zu bedienen und Männer können ihre heterosexuelle Potenz vor den anderen demonstrieren. Diese gemeinsamen Erfahrungen zur Stabilisierung einer männlichen Gruppenidentität auf Kosten abgewerteter Frauen ist ein Beispiel für das, was nach Connell als "patriarchale Dividende" bezeichnet wird.

Sie sagen, die Geringschätzung präge sich früh ein. Wie tut sie das?

Unser vorherrschendes Männlichkeitskonzept lautet: Sei autonom, hab alles unter Kontrolle. Besonders in der Sexualität hat ein Mann aber weder seine Sexualfunktionen noch die Aktion oder Reaktion der Frau unter Kontrolle. Diese Diskrepanz macht in zweifacher Richtung Angst: Nach einer Umfrage haben 84 Prozent der deutschen Männer Angst vor Potenzversagen und 88 Prozent Angst vor Frauen. Und diese Angst wird häufig durch eine Kontrollfantasie kaschiert: Ich kann immer, sie will immer. Je abhängiger er sich fühlt, desto eher neigt er zur Kontrolle bis hin zur Gewalt. Und da geht es nicht um Bagatellen, solange die UNO zählt, dass weltweit jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von Männern körperlich oder sexuell misshandelt wird.

Reagieren Männer deshalb so allergisch auf Feministinnen? Weil die sich der Kontrolle entziehen?

Ja, das ist eine mögliche Abwehrstrategie zur Bestätigung einer "intakten" Männlichkeit. Feministinnen wurden und werden lächerlich gemacht. Es gibt natürlich immer Unterschiede in der Heftigkeit der Abwehr. Das Extrem war wohl der Kanadier, der Mitte der Neunziger mit einer Schnellfeuerwaffe in einen Hörsaal stürmte, alle Männer rausschickte und einen Großteil der Frauen erschoss, mit dem Ausruf: Ihr Feministinnenpack!

Der war ja wohl schwer gestört.

Aber wie kam er auf die Idee, seine Störung an vermeintlichen Feministinnen auszuleben? Auch viele Sexualstraftäter sind "gestört". Aber wo holt man sich eine ultimative Machterfahrung, wenn die Kontrolle über das eigene Leben zu entgleiten droht? Bei der Gruppe, von der man sich mit aller Macht abgrenzen will und die vermeintlich Schuld an der eigenen Misere trägt.

Und wie soll man daran etwas ändern können?

Man muss an die Wurzeln gehen. Im Moment wird der Mythos aufrechterhalten, dass Männer ihre Sexualität benutzen können, wie sie wollen. Entweder als Waffe oder friedlich. Die Angst, die dem zugrunde liegt, kommt nicht zur Sprache. Über diese Angst müssen wir reden, nicht erst über ihre Konsequenzen, die Gewalt.

Können Eltern ihre Söhne zu "Antisexisten" erziehen?

Da bin ich etwas skeptisch. Solange es gesellschaftlich verpönt ist, dass Männer ihre Hilfsbedürftigkeit zugeben, kann sich das Gefüge nicht ändern.

Aber es gibt Väter, die Elternzeit nehmen. Trauen Sie denen nichts zu?

Das sind sehr wenige, die einen verlängerten Familienurlaub nehmen. Vor allem aber kommt es darauf an, welche Form von Männlichkeit der Vater repräsentiert. Der Vater kann nach außen wie ein "neuer Mann" wirken - aber unbewusst weiter seine Frau abwerten, etwa weil er sich als Supervater inszeniert, der alles besser kann. Dann hat er wieder das traditionelle Männlichkeitsbild vermittelt.

Wie sollen sich Männer verhalten? Alles herkömmlich "Männliche" wird doch honoriert. Kein Wunder, dass keiner der Frauenversteher sein will.

Eines der wirksamsten Mittel gegen Vorurteile ist für meinen Lehrer Peter Brückner das Hören auf "unpassende Nachrichten". Das heißt, man darf dieses Unbehagen in den Geschlechterbeziehungen nicht zukleistern, sondern muss weiterfragen, was für eine Angst die Männer an diesem Punkt befällt.

Die sogenannten Alphamädchen betonen, sie wollten nicht gegen Männer, sondern mit Männern Feministinnen sein. Was halten Sie davon?

Das ist zunächst positiv. Man kann etwas über wechselseitige Wahrnehmungen herausfinden und zusammen etwas entwickeln. Allerdings macht mich stutzig, wie diese Rede geführt wird. Wenn die geltenden Männlichkeitsideale nicht infrage gestellt werden, dann betreiben diese Frauen bloße Affirmation.

Sie halten wohl nicht viel vom neuen Feminismus?

Der "neue Feminismus" ist für mich zunächst ein medial inszeniertes Backlash-Phänomen. Junge, hübsche Gesichter werden hier zu den alten feministischen "Schlachtrössern" in Konkurrenz gesetzt. Das dient erst einmal dazu, den "alten Feminismus" abzuwerten. Aber diese Frauen analysieren die vorherrschenden Machtstrukturen nicht. Sie folgen eher dem allgemeinen Trend der Individualisierung, nach dem jeder seines Glückes Schmied ist. Das ist keine Kritik an der Geschlechterhierarchie. Ein Feminismus, der nichts verändern will, ist keiner.

Wie reagieren Männer darauf, wenn Sie sie auffordern, sich mit ihrer Angst zu beschäftigen?

Bei meinen Vorträgen reagieren vor allem die Frauen positiv. Männer sind eher irritiert und oft peinlich berührt. Über seine Ängste nachzudenken anstatt sie als Bedrohung abzuwehren ist in der Männerrolle nicht vorgesehen.

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