Prozess gegen Cap Anamur-Chefs: Flüchtlingshelfer sollen in Haft
Die Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre Haft für die früheren Chefs der Cap Anamur, weil sie bei der Rettung Schiffbrüchiger angeblich finanzielle Interessen gehabt hätten.
ROM taz | Vier Jahre Haft für Elias Bierdel und Stefan Schmidt, dazu je 400.000 Euro Geldstrafe: Dies ist der Antrag der Staatsanwaltschaft von Agrigent im Prozess um den Rettungseinsatz der "Cap Anamur" im Sommer 2004.
Schmidt, Kapitän des Schiffs, und Bierdel, der damalige Vorsitzende des gleichnamigen Hilfsvereins, hätten sich der gewerbsmäßigen Schleuserei schuldig gemacht, behaupteten die Staatsanwälte in ihrem Plädoyer am Mittwoch.
Die "Cap Anamur" hatte am 20. Juni 2004 37 Afrikaner im Mittelmeer zwischen Malta und der italienischen Insel Lampedusa an Bord genommen. Die Flüchtlinge, die von Libyen die Überfahrt nach Europa angetreten hatten, trieben hilflos in einem lecken Schlauchboot, dessen Motor ausgefallen war.
An die Bergung schloss sich ein tagelanges Tauziehen mit den italienischen Behörden an, die behaupteten, die "Cap Anamur" habe sich zum Zeitpunkt der Rettung näher an Malta befunden und deshalb diese Insel anlaufen müssen.
Das Schiff aber steuerte den sizilianischen Hafen Porto Empedocle an. Es erhielt schließlich die Erlaubnis zum Einlaufen - doch wurden die Flüchtlinge umgehend nach Afrika zurückverfrachtet, ohne ihnen die Chance zu geben, Asylanträge zu stellen. Bierdel, Schmidt und der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch kamen in U-Haft.
Voraussichtlich am 20. Mai soll das Urteil in dem seit Oktober 2006 laufenden Prozess kommen. Daschkewitsch winkt ein Freispruch, damit würde der Vorwurf der bandenmäßigen Schleuserei - für die es mindestens drei Täter braucht - hinfällig. Nicht aber der Vorwurf, Bierdel und Schmidt hätten finanzielle Interessen verfolgt. Die Staatsanwaltschaft billigte den beiden zwar humanitäre Motive zu, behauptet jedoch, die Rettungsaktion habe auf "Werbung" für den deutschen Hilfsverein gezielt.
Die Staatsanwaltschaft Agrigent nimmt da zwar eine ziemlich gewagte Rechtsauslegung vor, sie befindet sich damit aber völlig auf der Linie der Regierung Berlusconi. Die Rechtskoalition in Rom lässt kaum einen Tag vergehen, ohne zu demonstrieren, wie unerwünscht die Ausländer im Land sind, selbst wenn sie aus humanitären oder politischen Gründen als Flüchtlinge kommen.
Ein passendes Beispiel liefert der Knüppeleinsatz von Polizei und Carabinieri am Dienstag in Mailand gegen etwa 300 Eritreer, Äthiopier und Sudanesen. Nicht "illegale Immigranten" waren da im Visier der Sicherheitskräfte, sondern Menschen, die durch die Bank eine Aufenthaltserlaubnis haben und auf die Bescheide in ihren Asylverfahren warten. Sie hatten am Freitag letzter Woche ein leerstehendes Wohngebäude besetzt, da der italienische Staat nicht daran denkt, ihnen Unterkünfte und eine auch noch so bescheidene Unterstützung zur Verfügung zu stellen.
Die Folge: Die Asylbewerber sind obdachlos und nächtigen gewöhnlich in Parks, Baracken oder Fabrikruinen. Als sich jetzt die Ostafrikaner, unter ihnen etwa 20 Frauen und zwei Kleinkinder, auf eigene Faust ein Dach über dem Kopf verschafften, folgte die Räumung auf dem Fuße.
Doch die Flüchtlinge reagierten mit heftigen Protesten, die den ganzen Tag andauerten. Zunächst zogen sie zu einer nahe gelegenen Eisenbahnstrecke, dabei skandierten sie: "Wir wollen Frieden, wir wollen Rechte". Am Ende des Polizeieinsatzes waren sieben Verletzte unter den Demonstranten zu bilanzieren. Am Donnerstag blockierten sie dann die Zugänge zur Mailänder Möbel- und Designmesse. Der Protest gegen die in ganz Mailand stattfindenden "Fuori Salone" hielt zahlreiche Touristen und Geschäftsleute von der internationalen Messe fern.
Kein Verständnis für die Proteste hat die von der Rechten regierte Stadt Mailand. Den Frauen und Kindern unter den Flüchtlingen seien schließlich Schlafplätze angeboten worden, erklärten ihre Vertreter, und für ein paar Tage hätten auch etwa 100 Männer in Obdachlosenunterkünften nächtigen dürfen - Asylpolitik auf italienisch.
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