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die wahrheitNun ist es aber auch gut

Neues zur Kritik der Phraseologie - Der irgendwo bellende Hund treibt auch weiterhin lautstark sein Unwesen in der Literaturgeschichte.

Auch ein ungarischer Hütehund wie der Puli wird eines Tages irgendwo an einem literarischen Ort bellen. Bild: ap

Es hat sich herumgesprochen, dass ein irgendwo bellender Hund in Büchern nichts mehr zu suchen haben sollte, nachdem ihm selbst die Stimmungskanone Rosamunde Pilcher in ihren "Wintergeschichten" ein Denkmal errichtet hat: "Sechs graue Häuser aus Granit, eine Wirtschaft, eine alte Kirche, ein Pfarrhaus und ein kleiner Laden. Vor diesem parkte ein verbeulter Lieferwagen, irgendwo bellte ein Hund, doch davon abgesehen schien alles wie abgestorben."

Wo kommt er her, dieser bellende Hund? Eine Fährte hat er 1951 in Astrid Lindgrens Jugendroman "Kalle Blomquist lebt gefährlich" hinterlassen: "In der Ferne bellte ein Hund auf, und danach war die Stille noch tiefer als zuvor." Hinterlassen hat er offensichtlich auch eine reiche, seit den frühen Achtzigerjahren rudelweise in Erscheinung tretende Nachkommenschaft. "Irgendwo bellte ein Hund, eine ganze Meute Hunde", vermerkte Marion Zimmer Bradley in ihrem Weltbestseller "Die Nebel von Avalon". Auf den gleichen Sachverhalt spielte sie in dem 1984 erschienenen Roman "Herrin der Falken" mit der treffenden Bemerkung an: "Irgendwo bellte ein Hund."

Einem weiteren Exemplar dieser Gattung verhalf 1982 der Hobbydichter Ralph Giordano in seinem Roman "Die Bertinis" zu einem kurzen und doch außergewöhnlich eindrucksvollen Auftritt: "Still stand die Luft über dem Dorf. Irgendwo bellte ein Hund." Es könnte derselbe gewesen sein, der sich 1988 nicht nur in Robert Harris Thriller "Aurora" bemerkbar machte ("Irgendwo zu seiner Linken konnte er einen Hund bellen und ein Kind weinen hören"), sondern auch in Ralf Rothmanns Erzählung "Der Windfisch": "Irgendwo bellte ein Hund, ein pausenloses, wütendes Kläffen im Rhythmus seines Herzschlags."

Danach war die Stille jedoch keineswegs tiefer als zuvor, denn das Bellen hörte überhaupt nicht mehr auf. Es setzte sich fort, bis es 1997 in Leonie Ossowskis Roman "Herrn Rudolfs Vermächtnis" erscholl ("Irgendwo bellte ein Hund und brachte den behäbigen Feierabend durcheinander") sowie in Petra Urbans Roman "Die Maulwürfin" ("Irgendwo bellte ein Hund mit heiserer Stimme. Ob Tiere auch schlecht träumen?"). Verblüffend exakt beschrieb 2001 der Romancier Nicholas Evans in seinem Roman "Feuerspringer" die Situation: "Irgendwo bellte ein Hund, ein Mann brüllte, er solle aufhören, doch der Hund gehorchte nicht."

"Irgendwo bellte ein Hund. Sonst war alles still", behauptete Renate Klöppel 2002 in ihrem Roman "Die Mäusemörder", aber da hatte sie wohl nicht so genau hingehört wie Peter O. Chotjewitz, der die laufenden Ereignisse 2004 in seiner Erzählung "Urlaub auf dem Lande" folgendermaßen zusammenfasste: "Irgendwo spielte ein Radio. Irgendwo hupte ein Auto. Irgendwo bellte ein Hund. Irgendwo leuchtete ein Stern. Irgendwo lebte ein Mann, der vor einer Woche zwei junge Frauen umgebracht hatte." Und irgendwo lebte der Schriftsteller Gerhard Roth und arbeitete an einem Roman mit dem beziehungsreichen Arbeitstitel "Das Alphabet der Zeit". Man durfte gespannt sein: Würde es Roth gelingen, diesem Opus einen irgendwo bellenden Hund einzuverleiben? 2007 stellte sich heraus, dass Roth dieses Kunststück tatsächlich geglückt war: "Frau Oberst spähte aus dem Nebengarten herüber, irgendwo bellte ein Hund."

1995 hatte es Jutta Ditfurth in ihrem Trivialroman "Blavatzkys Kinder" einmal ganz anders zu machen versucht, ohne ihren Kritiker Wiglaf Droste überzeugen zu können: "Selbst die Phrase ,Irgendwo bellte ein Hund' hat die Autorin, die zwischen Jutta Courage und Kassandra Cotton schwankt, nicht vergessen; sie liefert allerdings die weibliche Variante: ,Irgendwo schrie eine Katze.' " Aber auch diese Katze war nicht Jutta Ditfurths alleiniges geistiges Eigentum: In seinem Roman "Es waren Habichte in der Luft" hatte Siegfried Lenz schon 1951 eine Katze irgendwo schreien lassen.

Neue Wege hat Jo Nesbo in seinem Kriminalroman "Der Erlöser" beschritten ("Der raue Schrei einer Krähe am Waldrand durchbrach die Stille"). In dem Roman "Wahn" hat zuletzt auch Stephen King eine interessante Variante des bellenden Hundes untergebracht: "Irgendwo tickte eine Uhr, aber das war alles." Robert Harris wiederum hat 2003 in seinem historischen Roman "Pompeji" einen radikalen Sinnesorganwechsel riskiert: "Von irgendwo kamen Kochgerüche." Und das wiederum erinnert fatal an den Titel eines klassischen Werks von Tex Rubinowitz ("Von der Toilette kamen Wischgeräusche"). Das vorläufig letzte Wort in dieser internationalen Debatte sollte Hermann L. Gremliza gehören: "Die Karawane bellt, der Hund zieht weiter."

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8 Kommentare

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  • M
    Maddin

    Gary Larson klärt uns auf: Hunde bellen uns zu: "Hey! Hey!" Oder: "Heeeeyyyy...!"

  • C
    Carlo

    Auch die Filmbranche hat es doch schon längst erwischt. In David Lynchs "Lost Highway" nervt diese Töle, von der wir jetzt wissen, dass es immer ein und dieselbe ist, derart penetrant, dass es selbst Bill Pullman zu viel wird und er die im Grunde wichtigste und brennendste Frage zu diesem Themenkomplex stellt: "Wem gehört eigentlich dieser Scheißköter?"

  • L
    Likewise

    Ich bin soeben auf des Rätsels Lösung gestoßen! Man höre bei den B-52's, "Quiche Lorraine", "Have you ever seen a dog dyed dark green..."

  • RR
    ROB R. ROS

    Ja, so unwahrscheinlich es klingen mag: Es ist immer ein und derselbe Hund! Wären die Lektoren unaufmerksamer, würde dieser wohl in nahezu jedem Roman irgendwo bellen. Werten muss man dieses paranormale Phänomen (das den Autoren meist völlig unbewußt ist) als Sehnsucht nach Gott (god – dog). Rational um die Abwesenheit einer höherer Intelligenz wissend, schleicht sich der anwesende Wunsch nach ebendieser in einer niedrigen Kreatur durch die Hintertür wieder herein (s.a. Faust I). Der Hund ist immateriell und seine vermeintliche akustische "Äußerung" nur die Spiegelung der schmerzlichen Erkenntnis der eigenen Einsamkeit.

  • R
    Redfox

    "Hinterlassen hat er offensichtlich auch eine reiche, seit den frühen Achtzigerjahren rudelweise in Erscheinung tretende Nachkommenschaft"

     

    Interesant, 1979 sang Bon Scott ja in " Night Prowler":

     

    "Somewhere a clock strike midnight

    And there's full moon in the sky

    You hear a dog bark in the distance

    You hear someone's baby cry"

     

    Und kurz danach ist er dann gestorben.....

  • I
    Immerhin

    Nicht ganz einzusehen, weshalb der Autor sich dergestalt gegen bellende Hunde auslässt. Haben Sie ihm etwa nicht zu dem 69-Zeilen-Artikel verholfen? Des weiteren: Sind deren Äußerungen - um nur ein Beispiel zu nennen - etwa nicht um ein Vielfaches ehrlicher als jene, mit denen uns die Politiker von früh bis spät zu versorgen pflegen?

  • DK
    Daniel Krastel

    Auch vor den 1950er Jahren waren die irgendwo bellenden Hunde irgendwie ein Problem:

    "Ich hoffe, die Hunde bellen heute nacht nicht"

    Albert Camus, L'Étranger, 1942, in der Übersetzung durch Uli Aumüller, Rowohlt 1994, Seite 58

  • L
    likewise

    Nicht nur bei uns, auch im asiatischen Irgendwo, bellt es bisweilen, wenn auch in typisch asiatischem Exotismus. Der taiwanesische Autor Chen Yingzhen ließ in einer kleinen Erzählung aus den 70ern "aus den vier Himmelsrichtungen drei Hunde bellen", ein Phänomen, das ich dort persönlich nicht wahrnehmen konnte...