Plädoyer für einen radikaldemokratischen Versuch: Ein Quadratmeter Tempelhof für jeden
Das stillgelegte Flugfeld von Berlin-Tempelhof misst 3,4 Millionen Quadratmeter. Die Stadt hat 3,4 Millionen Einwohner. Tempelhof wäre somit ideal für einen Feldversuch in Stadtplanung durch virtuelle Basisdemokratie.
Ein Jahr schon liegt der Flughafen Tempelhof still. Am 30. Oktober 2008 starteten die letzten Flieger. Zwar kann man nicht behaupten, dass seither nichts passiert ist. Der Senat ließ die Wünsche die Anwohner für die Nachnutzung erfragen (siehe unten). Und Anfang diesen Monats durften Berliner zum Kurzbesuch auf das weite Feld hinterm Zaun. Sie sollten sich ein Bild machen - und Ideen für einen künftigen Park auf dem Gelände entwickeln. Doch über die Umsetzung entscheidet die Politik. Damit wird eine Chance für direkte Bürgerbeteiligung verpasst, wie sie so schnell nicht wiederkommen wird.
Rund 380 Hektar misst das Flughafenareal. Zieht man das denkmalgeschützte Gebäude und die dahinter liegende Betonfläche ab, bleiben ziemlich genau 340 Hektar. Eine unfassbare Größe. Kein Wunder, dass sich Fachpolitiker wie Normalbürger schwer tun, Nachnutzungvorschläge zu machen. Überraschend handlich aber wird das Gelände, wenn man es in kleine Einheiten zerlegt. 340 Hektar, das sind 3.400.000 Quadratmeter. Auf jeden der 3,4 Millionen Berliner kommt ziemlich exakt ein Quadratmeter Tempelhof. Eine leicht vorstellbare Größe.
Warum also lässt man die Berliner nicht direkt entscheiden, was mit dem Flugfeld werden soll? Jeder über einen, über seinen Quadratmeter.
Informationen über die offizelle Form der Bürgebetiligung finden sich auf den entsprechenden Internetseiten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Die Planung einen Parks auf dem engeren Flugfeld hat die Grün Berlin GmbH übernommen.
Für eine umgehende Öffnung des Flugfeldes demonstriert die Initiative "". Aus Anlass des Jahrestags der Flughafenstlillung ruft sie für Samstag zu einer Demonstration.
Die taz wird alle Artikel zur radikaldemokratischen Intitiatve unter dem Link www.1qm-tempelhof.de sammeln.
Infos gibt es auch bei facebook sowie bewegung.taz.de.
Doch was soll man mit einem Quadratmeter Wiese? Ein Bäumchen pflanzen? Einen Beerenstrauch? Beides ist nicht ausgeschlossen. Doch selbst dem letzten Eigenbrötler wird schnell klar werden: Großes realisieren kann man nur, wenn man sich zusammenschließt - und seinen Quadratmeter in ein Projekt, für eine Idee einbringt.
Organisieren ließe sich das recht einfach - schließlich leben wir in Zeiten des Internet. Schlagworte wie "iDemokratie" oder "eParticipation" werden heftig diskutiert - in Berlin etwa bei einer dreitägigen Veranstaltung über "netzbasierte Informationtechnologien" im September. Dort redete unter anderem Hella Dunger-Löper über Berlin als "Hauptstadt der Partizipation". Sie ist Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Doch bisher fehlt ein Projekt, um das Potenzial der virtuellen Bürgerbeteiligung zu demonstrieren. Berlin könnte weltweit vorn liegen, wenn in Tempelhof ein Feldversuch gestartet würde.
Man bräuchte eine Internetseite mit einem Luftbild des Flughafens, auf der sich jeder Berliner einloggen kann - das Passwort gibt es von der Landeswahlleiterin. Dann kann jeder einen Quadratmeter für sich reservieren. Und wer will, schlägt ein Projekt vor, in der Hoffnung, genügend Unterstützer zu finden.
Für einen Fußballplatz etwa bräuchte man rund 7.500 Quadratmeter - also die Unterstützung von 7.500 Berlinern. Falls die aktuell räumungsbedrohte Wagenburg "Schwarzer Kanal" dort ein neues Plätzchen wollte, müsste sie das Plazet von rund 3.000 Berlinern erhalten. Ein Park von der Größe der Hasenheide würde 470.000 Parzellengeber benötigen. Auch der Senat könnte mit seinen Ideen in den Wettbewerb treten. Für das als "Adresse für innovaties Wohnen" vorgeschlagene "Columbia-Quartier" am Nordrand des Areals müsste er 105.800 Berliner begeistern. Für das kleinere "Stadtquartier Neukölln" am Ostrand nur 84.300.
Denkbar sind auch Projekte mit einer nicht von vornherein definitieren Größe. Ein Wald zum Beispiel. Oder ein See. Für solche Projekte könnte man, analog zu Volksbegehren, eine Frist setzen, innerhalb derer sich Unterstützer sammeln dürfen.
Theoretisch könnte diese Form der Bürgerbeteiligung auch dazu führen, dass aus der Brache wieder ein Flugfeld wird. Theoretisch. Denn praktisch müssten alle 3,4 Millionen Berliner ihren Quadratmeter für die Wiedereröffnung des Flughafens zur Verfügung stellen. Genauso wahrscheinlich wäre es, dass dort ein 1.000 Meter hoher Berg errichtet wird. "The Berg" war Anfang des Jahres von einem Architekt vorgeschlagen worden. Der Entwurf hat Charme, eine Chance im basisdemokratischen Stadtplanungsprozess hat er nicht. Jedenfalls nicht mit dem allumfassenden Flächenbedarf. Denn hier geht es um die Konkurrenz der Ideen, von denen - wie in einem repräsentativ besetzten Parlament - viele nebeneinander Platz finden können.
Wichtig wäre, dass während einer Wahlkampfzeit Ideen in Foren diskutiert und Quadratmeter ausgetauscht werden können. Denn es wird auch verrückte Vorschläge geben. Einige werden gar Unterstützer finden. Aber am Ende dürfte es etwa so wie bei Wikipedia laufen. Bei dem online zusammengetragenenen Wissensportal steht hin und wieder Unsinn. Das meiste aber stimmt. Und ist es nicht Grundlage jeder Demokratie, dass man auf das Wissen der Masse vertraut und zugleich ein paar Exoten ertragen kann?
Das Tempelhofer Flugfeld ist auf einzigartige Weise für eine radikaldemokratische Bürgerbeteiligung geeignet. Wegen seiner passgenauen Größe. Und weil es durch den Volksentscheid über den Weiterbetrieb des Flughafens bereits als direktdemokratisches Objekt etabliert ist.
Einige werden fragen, ob tatsächlich jedem Berliner, also auch Kindern, auch Nicht-Deutschen, ein Quadratmeter zur Mitbestimmung überlassen werden soll. Ob man nicht nur die 2,4 Millionen Wahlberechtigten mitreden lassen darf, vielleicht auch nur über den als Parkgelände auserkorenen Innenraum. Der ist - welch Zufall - abzüglich der betonierten Pisten gute 2,4 Millionen Quadratmeter groß.
Die größte Hürde aber dürften die Politiker selbst sein. Denn sie müssten ein Stück ihrer Planungshoheit abgeben. Vielleicht kann man ihnen die Gestaltung der Nichtwählerbrache überlassen. Darüber ließe sich diskutieren. Zum Beispiel hier in den Leserkommentaren.
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