Einzeltäter-These erschüttert: Dutschkes Attentäter und die Nazis
Aus der Auswertung von Stasi-Akten und Polizeiprotokollen geht hervor, dass der Dutschke-Attentäter vor 40 Jahren Kontakte zu gewalttätigen Neonazis hatte. Das erschütterte die bisherige Einzeltäter-These.
BERLIN dpa/taz | Berliner Polizeiprotokolle und bisher unbekannte Stasiakten geben neue Informationen über den Dutschke-Attentäter Josef Bachmann. Demnach unterhielt Bachmann enge Beziehungen zu einer rechtsradikalen Gruppe, die später als "Braunschweiger Gruppe" durch Sprengstoffanschläge bekannt wurde. Das berichtet der Spiegel. Trotz mehrerer Hinweise in den Vernehmungen hätten die Ermittler damals diese Zusammenhänge nicht konsequent aufgedeckt.
Bisher galt der Hilfsarbeiter Bachmann, der den Studentenführer Rudi Dutschke 1968 niederschoss, als Einzelgänger. Der Attentäter nahm sich 1970 in der Haft das Leben. Bei seiner Festnahme hatte er einen Artikel über Dutschke aus der rechtsextremen "Deutschen National-Zeitung" bei sich gehabt.
Laut Spiegel verkehrte Bachmann in seinem zeitweiligen Wohnort Peine unter anderen mit dem früheren NPD-Mann Wolfgang Sachse, der mit ihm das Schießen geübt und ihm Schusswaffen und Munition verkauft habe. Mit seinen Gesinnungsgenossen habe Bachmann zuvor Anschläge auf die innerdeutsche Grenze verübt und dabei auch auf DDR-Grenzer geschossen. Sogar ein Attentat auf den damaligen DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht habe er geplant.
Auch der Dutschke-Biograf Ulrich Chaussy thematisiert für ein Radiofeature diese neuen Informationen. Sie würden, sagte Chaussy der taz, zwar nicht die grundsätzliche Bewertung des Attentats in Frage stellen, aber durchaus Fragen aufwerfen: "Warum zum Beispiel wurde Sachse weder befragt noch vorgeladen? Er hätte überprüft werden müssen als einer, der als Waffenlieferant in Frage kommt." Ziel der Ermittler aber sei es gewesen, "die rechtsextreme Motivation zu individualisieren".
Bachmanns Leben war im vergangenen Sommer wieder zum Diskussionsthema geworden, als der Westberliner Kriminalbeamte Karl-Heinz Kurras als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit entlarvt wurde. Kurras hatte 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen.
Kurras ungeahnte Vergangenheit warf die Frage auf, ob auch Bachmann im Dienst der Stasi gestanden haben könnte. Laut der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gibt es aber keine IM-Akte über Bachmann.
Stasi-Minister Erich Mielke aber ließ nach den Schüssen auf Dutschke Material über Bachmann sammeln. Einiges davon hat die Stasi-Unterlagenbehörde schon vor Jahren in Kopien zu Forschungszwecken herausgegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja