SPD-Chef Gabriel über Koalitionen: "Die Grünen müssen sich entscheiden"
Sigmar Gabriel wirft den Grünen vor, soziale und ökonomische Fragen aus den Augen zu verlieren. Er streitet ab, dass es einen Konflikt mit Fraktionschef Steinmeier um die Rente mit 67 gibt.
Herr Gabriel, haben Sie in den letzten Tagen schon mit Parteifreunden angestoßen?
Sigmar Gabriel: Nur mit meiner Freundin, wir waren im Urlaub an der Ostsee. Warum fragen Sie?
Es gibt in Umfragen die erste rot-grüne Mehrheit seit 2002. Ist das kein Grund zu feiern?
Das ist vor allem die Folge der katastrophalen Arbeit der Bundesregierung. Es ist aber auch die Erinnerung daran, dass dieses Land in der Finanzkrise gut Kurs gehalten hat, solange Sozialdemokraten regiert haben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Arbeitsminister Olaf Scholz oder Finanzminister Peer Steinbrück standen für Stabilität und Sicherheit. Und sie haben die Maßnahmen durchgesetzt, die dazu geführt haben, dass wir bislang vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sind.
Die Grünen sehen den Grund für den Aufschwung bei sich und lassen kaum eine Gelegenheit aus, ihre Eigenständigkeit zu betonen. Wäre Rot-Grün mehr als eine arithmetische Mehrheit?
Wenn man eine Koalition nur deshalb eingeht, weil sie von den Zahlen passt, dann kommt so etwas heraus wie bei Merkel und Westerwelle. Regierungsbildung ist mehr als eine Rechenaufgabe. Dafür müssen die Grünen irgendwann allerdings die Frage beantworten, wofür sie am Ende stehen wollen. Die von den Grünen immer wieder beschriebene Äquidistanz, der gleiche Abstand zu SPD und CDU, lässt diese Frage offen. Wollen sie eine rechtsliberale Politik, bei der sie Gemeinsamkeiten mit Konservativen im Naturschutz und in der Umweltpolitik suchen, dafür aber sozial- und gesellschaftspolitisch nichts durchsetzen können? Oder stehen sie für eine im besten Sinne linksliberale Politik, um auch für Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft einzutreten? Wir Sozialdemokraten jedenfalls wissen, worin ein gemeinsames politisches Konzept bestehen könnte.
Sagen Sie es uns.
Zu zeigen, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind, sondern miteinander verbunden werden müssen. Dafür reicht es nicht aus, nur auf einen "Green New Deal" zu setzen. Denn der Erfolg in der deutschen Industriegesellschaft wird nicht ausschließlich auf grünen Technologien beruhen, auch wenn sie immer wichtiger werden. Außerdem müssen wir Europa eine verlässliche soziale Ordnung zurückgeben. Wenn die Grünen das auch so sehen, dann macht gemeinsames Regieren Sinn.
50, ist seit dem Jahr 2009 Parteivorsitzender der Sozialdemokraten. Zuvor war der gelernte Berufsschullehrer Bundesumweltminister (2005-2009) und niedersächsischer Ministerpräsident (1999-2003). Gabriel ist seit 1977 in der SPD und war Mitglied der Jugendorganisation Die Falken. Lange galt er als Mann ohne Truppen: Im Jahr 2007 verfehlte er als einziger Kandidat den Einzug in das SPD-Präsidium, 2009 verweigerte ihm sein niedersächsischer Landesverband eine Spitzenplatzierung für die Bundestagswahl. Anschließend gewann Gabriel seinen Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel mit 44,9 Prozent.
Die Umfragen: Nach den jüngsten Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Infratest dimap und Forsa liegt die SPD derzeit bei 31 bzw. 28 Prozent (die Grünen kommen auf 17 bzw. 18 Prozent.) Im Dezember 2009 lag die SPD in der "Sonntagsfrage" noch bei 24 bzw. 22 Prozent. Die Umfragewerte für die SPD sind so gut wie zuletzt um die Jahreswende 2007/08.
Vielleicht haben sie immer noch Schröders Spruch von Koch und Kellner im Ohr?
Diese Zeiten sind vorbei. Wir wollen schließlich kein Restaurant aufmachen.
Die Grünen sehen das anders. Cem Özdemir etwa ärgert sich immer noch darüber, dass Sie seine Bundestagskandidatur in Stuttgart nicht unterstützt haben.
Auch darüber kann man reden, wenn umgekehrt die Grünen unsere Kandidatinnen oder Kandidaten in den zwischen CDU und SPD umkämpften Wahlkreisen unterstützen. Gemeinsame politische Ziele sind aber immer die Voraussetzung.
Sie werfen den Grünen Opportunismus vor?
Nein. Aber zu sagen "wir wollen regieren - egal mit wem" führt sicher nicht dazu, dass sich Menschen wieder mehr für Politik interessieren.
Grünen-Chef Jürgen Trittin sagt, die Zeit der Volksparteien ist sowieso vorbei.
Ich habe mir vorgenommen, darüber mal mit ihm zu diskutieren. Für ihn scheint das von der Größe abzuhängen. Darum geht es beim Konzept von Volksparteien aber gar nicht in erster Linie.
Sondern?
Darum, ob man Klientelinteressen vertritt wie die FDP oder sich am Gemeinwohl orientiert. Und es geht bei Volksparteien darum, dass sie in sich die gesamte Bandbreite der Gesellschaft repräsentiert wissen wollen. Wenn sie nur einen kleinen Ausschnitt repräsentieren und nur für diesen Ausschnitt Politik machen, dann sind sie keine Volksparteien. Ich bin nicht sicher, ob Jürgen Trittin zufrieden damit wäre, wenn er seine Partei so charakterisiert sähe. Von daher würde ich mir wünschen, er gäbe das Konzept der Volksparteien nicht auf, sondern würde auch die Grünen daran orientieren.
Was müssen die Grünen tun?
Ich kann nur sagen, was für eine Zusammenarbeit mit der SPD wichtig wäre. Wenn die Grünen sagen, sie wollen Partner auf Augenhöhe sein, dann finde ich das sehr gut. Dann dürfen sie aber nicht mehr nur für die vermeintlichen Wohlfühlthemen grüner Wählerschichten wie Umwelt- und Klimaschutz zuständig sein - und die SPD für die harten Aufgaben solider Finanzen, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Arbeit. Auch diese Form rot-grüner Arbeitsteilung muss der Vergangenheit angehören.
Über Sozialthemen wie Hartz IV hat sich die SPD seinerzeit selbst zerstritten.
Dafür haben wir bei der Bundestagswahl vorigen Herbst die Quittung bekommen, und deswegen haben wir unsere Politik verändert.
Deshalb wollen Sie nun die Rente mit 67 zurücknehmen?
Es gibt neben der demografischen eine arbeitsmarktpolitische Wirklichkeit: Wir haben die Situation, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer schon heute das gesetzlich festgelegte Renteneintrittsalter von 65 nicht erreicht. Deshalb müssen wir zum einen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen länger arbeiten können. Zum anderen brauchen wir flexible Übergänge für die, die das nicht können. Hier sehe ich auch die Arbeitgeber in der Pflicht.
Ihr Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist bei der Rente anderer Ansicht.
Nein. Wir sind uns im Grundsatz völlig einig. Über die konkrete Ausgestaltung unseres Konzepts werden wir in den nächsten Wochen beraten.
Sie fordern Volksabstimmungen auf Bundesebene. Worüber soll da entschieden werden?
Wir fordern das schon lange, aber dafür braucht man verfassungändernde Mehrheiten und die Union hat das immer blockiert. Ich glaube es gibt Themen, bei denen die Politik nicht aus ihrer Selbstblockade herauskommt: Wir könnten beispielsweise darüber abstimmen lassen, ob wir in der Bildungspolitik das unsinnige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern wieder abschaffen. Damit der Bund den Ländern endlich wieder Geld für bessere Schulen geben kann.
Es schreckt Sie nicht, dass Plebiszite eher konservativ ausgehen, wie zuletzt bei der Hamburger Schulreform?
Sie tun ja so, als ob die Parlamente in der Vergangenheit keine Fehlentscheidungen getroffen hätten. Die Frage ist: Traue ich den Menschen zu, in Sachfragen selbst zu entscheiden? Oder halte ich sie im Kern für weniger klug als die gewählten Abgeordneten? Ich gehöre nicht zu denen, die Angst vor mehr direkter Demokratie haben. Plebiszite führen automatisch dazu, dass auch wir Politiker für unsere Positionen werben und kämpfen müssen. Und wenn man das nicht intensiv genug macht, kann man auch verlieren. Das ist bei Wahlen ja nicht anders.
Wenn Sie das Volk über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan abstimmen lassen, könnten Sie die Truppen vermutlich gleich abziehen.
Natürlich gibt es auch Grenzen von Volksabstimmungen. Über die Grundrechte der Verfassung wie die Religionsfreiheit zum Beispiel oder auch über UN-Beschlüsse - und der Afghanistan-Einsatz beruht auf einem UN-Beschluss - kann man keine Volksabstimmung machen. Hätten die Amerikaner ihren Kriegseintritt in Europa von einer Mehrheit in der Bevölkerung abhängig gemacht, wären wir vermutlich nicht befreit worden.
Wie groß ist der Rückhalt für den Einsatz in der SPD noch?
Die SPD hat klar beschlossen: Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass zwischen 2013 und 2015 die Bundeswehr an bewaffneten Einsätzen in Afghanistan nicht mehr beteiligt ist. Bis dahin müssen die Alliierten in Afghanistan den Konflikt politisch beherrschen, denn allein militärisch ist er nicht zu gewinnen. Der Militäreinsatz kann uns nur Zeit für eine politische Lösung schaffen. Darüber müssen wir mit allen beteiligten Parteien reden, auch den …
… gemäßigten Taliban?
Sehen Sie: Dieselben Leute, die das heute fordern, haben sich vor ein paar Jahren über den damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck lustig gemacht, als er auch zu Verhandlungen mit den Taliban aufgefordert hat. Das zeigt doch nur, dass man seine eigenen politischen Auffassungen nicht von der öffentlichen Kommentierung abhängig machen soll. Schon gar nicht, wenn sie von CDU oder FDP kommen.
Und wenn Sie diese Vereinbarung in drei bis fünf Jahren nicht hinbekommen?
Allen ist klar, dass das kein Dauereinsatz werden kann. Wir brauchen eine klare Abzugsperspektive - auch damit die Verantwortlichen in Afghanistan ihre Hausaufgaben machen.
Sie würden solch einen Einsatz heute nicht mehr beschließen?
Wenn die Vereinten Nationen sagen, eine Gefahr für den Weltfrieden oder ein drohender Bürgerkrieg lässt sich nur mit militärischer Gewalt abwenden, dann dürfen gerade wir als Deutsche dazu nicht prinzipiell Nein sagen. Aber wir müssen immer wieder abwägen, ob wir die Ziele eines solchen UN-Auftrags durch den Militäreinsatz auch tatsächlich erreichen können und was wir parallel dazu tun müssen, um Konflikte zu befrieden.
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