Stadtwandel in Oberschöneweide: Warten auf die Gentrifizierung
Eine Ausstellung zeigt, wie sich Oberschöneweide und Alt-Köpenick verändern. Und dass noch viel passieren muss, bis die Viertel aus dem Dornröschenschlaf erwachen.
"No go area", steht auf einer Hauswand in der Wilhelminenhofstraße. Aus der sicheren Perspektive von Kreuzberg oder Prenzlauer Berg ist Oberschöneweide tatsächlich ein Stück Feindesland. Die Neonazikneipe "Henker" ist nicht weit, und statt der vertrauten Accessoires der Szenequartiere findet man reichlich Sonnen- und Nagelstudios für die Jaquelines und Jeanettes im Unterschichtsquartier.
Klare Verhältnisse also - und dennoch weit gefehlt, wie eine kleine Ausstellung des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (BDLA) zeigt. "Auf dem Sprung", heißt die Schau und zeigt zehn neu gestaltete Plätze, Promenaden und Freiräume in Oberschöneweide und Alt-Köpenick. Einen ersten Kontrapunkt wider den Niedergang in Berlins ehemaliger Elektropolis hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) gesetzt. Drei ihrer fünf Standorte wurden aufgegeben, seit Oktober 2009 befindet sich der zentrale Campus der HTW im Wilhelminenhof an der gleichnamigen Straße. 6.000 Studierende und 300 Lehrende bevölkern seitdem Hörsäle und Freiflächen. Auf der Straße aber ist vom studentischen Leben außer einer Sushi Bar und einem Italiener noch nichts angekommen.
Den Zentralcampus hat das Büro Lützow 7 entworfen und sich damit für einen erstaunlich defensiven Umgang der HTW mit dem Stadtquartier entschieden. Statt die Hochschule zur Wilhelminenhofstraße zu öffnen, zieht sie sich in drei Freiräume im Inneren des Geländes zurück. Zum Relaxen bietet sich die Mensa an der Spree an, vor der auch ein paar Liegestühle stehen. No-go-Area? Fast scheint es, als wäre das Graffito auf der Straße auch zur Philosophie der Campusplanung geworden.
Einen viel offensiveren Umgang mit den industriellen Relikten hat die Landschaftsarchitektin Ulrike Böhm gewählt. Nicht weit von der HTW hat sie den Stadtplatz am Kaisersteg entworfen und damit die Visitenkarte des neuen Oberschöneweide. Sowohl von der Laufener Straße als auch über das Gelände der ehemaligen Kranbahn sollte von der Wilhelminenhofstraße ein Zugang zur Spree geschaffen werden. Der Platz selbst sollte auf der einen Seite vom Neubau der Schauhallen, einem Zentrum für zeitgenössische Kunst, gesäumt werden, auf der anderen Seite sollte ein Hotel entstehen. So wäre der Stadtplatz eine Schnittstelle zwischen dem alten und dem neuen Oberschöneweide sowie der Spree geworden.
Eine schöne Vorstellung, die leider der Finanzkrise zum Opfer fiel. Bis heute gibt es weder die Schauhallen noch das Hotel. Der Stadtplatz aber ist gebaut und wird von beiden Seiten nun von eingezäunten Brachen begrenzt. Das wirkt, vor allem in der Abenddämmerung, wie ein Lkw-Parkplatz, auf dem aus unerfindlichen Gründen die Lkw fehlen.
So ist die Visitenkarte des Quartiers ein Platz, der wegen der fehlenden Randbebauung unvollendet ist. Angetreten, den Dornröschenschlaf im ehemaligen Industrierevier zu beenden, ist er nun selbst Teil dieses Dornröschenschlafs geworden. Immerhin: Der Platz hält einiges aus. Das Warten auf bessere Zeiten, in denen die Aufwertungskarawane eines Tages vielleicht doch noch Oberschweineöde erreicht, fällt ihm in seiner Robustheit nicht schwer. Und in der Nachbarschaft haben sich auch schon die ersten Zwischennutzer niedergelassen.
Doch kommt die Karawane wirklich? 25.000 Arbeitsplätze hat die Deindustrialisierung nach der Wende allein in Oberschöneweide gekostet. Die Versuche der Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (Bleg), neues Gewerbe in den Fabrikhallen anzusiedeln, hat nicht zur Wiederbelebung beigetragen. Die soll nun der Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) bringen. In den Augen von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gilt der Südostraum in den kommenden Jahren als Wachstumsmotor der Stadt.
Und dann ist da noch die Spree. Die Missachtung der Wilhelminenhofstraße und die Zuwendung zum Wasser durch die HTW ist womöglich ein Hinweis darauf, dass der Fluss bei der Erschließung des Quartiers eine große Rolle spielen wird. Ein erster Vorbote ist das neue Krancafé am Spreeufer unweit der Rathenauvilla.
Wie das neue Verhältnis von Wasser und Stadt aussehen kann, lässt sich ebenfalls in der Schau des BDLA betrachten. In Alt-Köpenick haben die Promenaden am Frauentog und am Luisenhain längst neue Verbindungen und Perspektiven geschaffen.
Zu sehen ist die Ausstellung "Auf dem Sprung" in der BDA-Galerie in der Mommsenstraße 64. Am 4. und 5. September gibt es vor Ort Führungen zu den zehn Freiräumen. Programm unter www.bdla-bb.bdla.de/pdf/gartenwelten_2010.pdf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit