Tierschutz per Internetforum: Netzjagd auf Tierquäler
Auf 4chan.org versammeln sich anonyme Nutzer zu Mobs mit fast übernatürlichen Kräften. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Tierquäler outen, schikanieren - und dann an die Polizei übergeben.
Eine junge Frau in einem roten Kapuzenpullover wirft ein Bündel in einen Fluss. Noch scheint das Video harmlos, wäre da nich dieses verdächtige Fiepen. Sie bückt sich, holt aus dem Eimer einen zweiten quiekenden Hundewelpen und wirft auch diesen weit raus ins Wasser. Als das 44-sekündige Video am 30. August im Netz verbreitet wurde, war die Frau unbekannt. Und wahrscheinlich dachte sie, dass sie es auch bleiben würde.
Keine 24 Stunden später ermittelte die bosnische Polizei gegen eine Verdächtige, der nun bis zu 5.000 Euro Strafe drohen. Bosnische Medien berichteten kurz darauf, das Mädchen sei von seiner Großmutter angestiftet worden, die erst drei Tage alten Hunde zu ertränken. Und durch das Netz kursierten viele anonyme Gewalt- und Morddrohungen.
Hinter dem Ermittlungserfolg steckte eine der berüchtigsten Gemeinden des englischsprachigen Teil des Internets: 4chan.org. In der Mischung aus Forum und Pinnwand kann jeder anonym Bilder hochladen und kommentieren. Die Anonymität der Seite gab ihr ein eigenes Leben. Meistens tauschen die 4chan-User Schockbilder, Pornographie oder Katzenfotos mit lustigen Bildunterschriften aus. Doch immer wieder versammeln sie sich zu einem schlagkräftigen Mob, der gerne Tierqüaler outet. Der Mob gilt inzwischen als eigenständiges, schwarmintelligentes Wesen - mit dem beliebtesten Nutzernamen auf 4chan: Anonymous.
Das erste Opfer von Anonymous' Tierliebe war 2009 der 14-jährige Kenny G. Der US-Amerikanische Jugendliche hatte sich dabei gefilmt wie er völlig vermummt seine Katze gegen eine Wand schlug. Anonymous ermittelte aus seinem Youtube-Konto seinen Wohnort, ermittelte daraus seine Facebook-Seite und verglich dort hochgeladene Fotos mit dem Hintergrund aus dem Video. Die Polizei rettete daraufhin den mittlerweile berühmten Kater „Dusty the cat“. Nebenbei veröffentlichte Anonymous auch die Büroadressen und Telefonnummern von Kennys Eltern, die massenhaft Scherzanrufe und Drohungen erhielten.
Wenige Wochen bevor sich er die junge Bosnierin vornahm, hatte Anonymous bereits eine andere angebliche Tierquälerin aufgespürt. Der Fall von Mary B. aus Großbritannien entzürnte im Juli sowohl Netzgemeinden als auch Boulevardmedien: Eine Sicherheitskamera hatte gefilmt, wie die 45-Jährige auf der Straße eine Katze streichelte - und dann kurzerhand in eine Mülltonne warf. Als das Video auf 4chan landete, ermittelten die anonymen Nutzer innerhalb von Stunden die Identität von Mary B.; auf einer Aufnahme aus Google Street View identifizierten sie ihr Haus. Zum Schluss wurde auch Mary B. derart übel bedroht, dass die Polizei sie in Schutz nahm.
Vergangene Woche zeigte sich das scheue Wesen Anonymous von einer bisher eher unbekannten, liebenswürdigen Seite. Er bereitete einem 90-jährigen US-amerikanischen Kriegsveteran eine einzigartige Party: Am 1. September war auf 4chan ein Bild von William J. Lashua mit der Aufschrift „Suche Leute für Geburtstagsfeier“ – offenbar der Aushang aus einem Supermarkt - erschienen. Drei Tage später, an seinem Geburtstag, beglückwünschten ihn auf Facebook mehrere tausend Menschen. Aufnahmen von der Feier zeigen einen vergnügten Mann auf einem Haufen Geburtstagskarten. Sogar ein dutzend echte Menschen „aus dem Internet“ sollen vorbeigekommen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen