Innenminister de Maizière: Der Stillhalter
Er mag es geräuschlos, doch seit den Terrorwarnungen steht Thomas de Maizière im Mittelpunkt. Auch die Opposition lobt ihn. Plötzlich fragen die Medien: Kann der Kanzler?
Sie hängen da, in Schwarz-Weiß, die Mienen streng. Seiters, Kanther, Schily, Schäuble. Die ehemaligen Innenminister. Der amtierende hängt an der Wand daneben, in Farbe, den linken Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben gezogen.
Genau so wollte Thomas de Maizière rüberkommen: kein harter Hund wie seine Vorgänger wollte er sein, sondern ein freundlicher Innenminister. Doch als er am Mittwoch vorvergangener Woche in seinem Ministerium vor die Kameras tritt, ist sein Blick ernst. Kein Lächeln nirgendwo. Er spricht von einem möglichen Anschlag, vielleicht schon bald. "Wir zeigen Stärke", sagt er.
Hätte man ein Schwarz-Weiß-Foto geschossen, es hätte hervorragend neben die Verkniffenen in der Ahnengalerie gepasst. Die Hardliner freuten sich schon: Endlich macht er den Sheriff!
Wessi: Karl Ernst Thomas de Maizière wird im Januar 1954 in Bonn geboren, der Vater war Generalinspekteur der Bundeswehr, die Mutter Künstlerin. De Maizière studiert Rechtswissenschaft und Geschichte, später promoviert er in Münster über Kartellrecht. Von 1983 an arbeitet er bei den Regierenden Bürgermeistern Berlins, Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen, 1989 wird er Pressesprecher der Westberliner CDU.
Ossi: Nach der Volkskammerwahl 1990 wird er Berater seines Cousins Lothar de Maizière in der letzten DDR-Regierung. Danach geht er nach Mecklenburg-Vorpommern, dann nach Sachsen. Dort wird er 1999 Staatskanzleichef, später unter anderem Finanzminister. Die Chance, selbst Ministerpräsident zu werden, lässt de Maizière zweimal aus.
Wossi: 2005 wird de Maizière Kanzleramtschef, 2009 dann Innenminister und Beauftragter für die ostdeutschen Länder. Seine Frau Martina und seine drei Kinder leben in Dresden. (wos)
Eine Woche später sitzt de Maizière im Bundestagsrestaurant. Draußen sieht man weiß-rote Gitter, das Reichstagsgebäude ist abgesperrt, Polizisten patrouillieren mit Maschinenpistolen. De Maizière hätte in dieser Situation auf schärfere Gesetze drängen können. Er tat es nicht. Unionshardliner kritisierte er, mal direkt, mal indirekt, als diese wegen der Terrorgefahr die Bundeswehr im Innern einsetzen oder Polizisten in "muslimische Viertel" schicken wollten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel kommt ins Restaurant. De Maizière geht auf ihn zu, ruft: "Danke!" Gabriel hatte am Tag vorher das "sehr sachbezogene Handeln" des Innenministers gelobt. Deshalb die Geste. Sogar Grüne und Linksparteiler finden seine Besonnenheit gut. De Maizière will warnen. Aber er will keinen Aktionismus. "Ich bin Sicherheitsminister und kein Unsicherheitsminister", sagt er.
Er will immer noch nicht so sein wie die harten Sheriffs in Schwarz-Weiß.
Und doch: De Maizière hat sich verändert in den vergangenen Wochen. Man sieht ihn jetzt in den Talkshows, bei Beckmann und bei Anne Will. Dabei mag er das eigentlich gar nicht. "Das ganze Gequatsche bekommt der politischen Kultur nicht", sagte er mal in einem Interview.
Lange konnten deshalb die Menschen wenig mit dem Mann mit der eckigen Brille anfangen, laut Umfragen kannten ihn im Sommer mehr als ein Fünftel noch nicht einmal. Nun scheint er viele zu überzeugen, für die er bisher ein Unbekannter war. Vielleicht einfach nur, weil da plötzlich einer sitzt, der mit tiefer Stimme und ruhiger Art nicht so überdreht rüberkommt wie viele der Dauertalkshowgäste. Das Spröde und Trockene wird auf ein Mal zum Vorteil.
Jahrelang war Thomas de Maizière nur der Mechaniker der Macht. Aufgewachsen in Bonn als Sohn eines Generalinspekteurs der Bundeswehr und einer Künstlerin, steigt er als junges CDU-Mitglied 1983 in Westberlin in den politischen Betrieb ein. Er wird zu einem, der im Hintergrund dafür sorgt, dass die Regierungsmaschinen laufen. "Er regelt die Dinge gerne geräuschlos", sagt der CDU-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Steffen Flath. Sein Cousin Lothar de Maizière hat einmal über ihn gesagt: "Wenn man böse ist, kann man sagen: Er funktioniert."
Er muss es wissen. Im Frühjahr 1990 machte der letzte und einzig frei gewählte DDR-Ministerpräsident seinen West-Cousin Thomas zu seinem Berater. Bis zum 2. Oktober wurden 759 Kabinettsvorlagen bearbeitet. Durch Thomas Mitarbeit habe er die Gewissheit gehabt, dass sie "formaljuristisch in Ordnung waren", schreibt Lothar de Maizière in seinen Erinnerungen.
Das klingt nach einer wichtigen Aufgabe. Sexy klingt es nicht. Aber das ist vermutlich der falsche Maßstab an einen Mann, dessen Dissertation den Titel trug: „Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt."
Als Verwaltungsprofi geht de Maizière nach der Vereinigung nach Mecklenburg-Vorpommern, zuerst als Staatssekretär eines überforderten Kultusministers, schließlich wird er Chef der Staatskanzlei.
Der Mann, in dessen Diensten Thomas de Maizière damals stand, wohnt in einem kleinen Haus im Dörfchen Walow an der Müritz: Berndt Seite, bis 1998 Ministerpräsident des Landes. Er sieht das so: Nach der Wende seien zahllose Experten in den Osten gekommen. Darunter gab es Aufschneider und Aufrichtige, Karrieristen und Könner. De Maizière war aufrichtig und konnte was.
Wie die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern ticken, das wusste der einstige Tierarzt Seite selbst - jedes Tier hat einen Halter. Doch wie Verwaltung geht, davon hatte er keine Ahnung. "Wir waren blanke Amateure." Für die Details brauchte man Typen wie Thomas de Maizière.
Seite hatte ihn aber noch aus einem anderen Grund zum Staatskanzleichef gemacht: De Maizière sollte die große Koalition zusammenhalten. Die Vorgängerin in der Staatskanzlei war stramm konservativ. Für den Draht zur SPD brauchte Seite einen Moderateren. Einen Mann, der wie Ex-Regierungssprecher Thomas Steg sagt, zwar "durch und durch bürgerlich-konservativ" ist, aber alles andere als ein "Sozi-Fresser".
Loyalität, Treue, Vertrauen: De Maizière nimmt oft solche Wörter in den Mund. Er ist da ziemlich altmodisch. Dazu passt auch seine tiefe Staatsgläubigkeit. Der Staat ist in seinen Augen der Gute. Bis heute verteidigt er einen völlig misslungen Einsatz eines Sondereinsatzkommandos in seinerZeit in Sachsen. Auf die Frage, ob er denn schon mal eine Phase jugendlicher Rebellion hatte, antwortete er einmal: Doch, als junger Student habe er die Juristenausbildung umkrempeln wollen.
In Sachsen landet de Maizière Ende der 90er. Er wird auch dort zunächst Leiter der Staatskanzlei, später Finanz-, dann Justiz-, dann Innenminister. Er ist ein Multifunktionspolitmanager.
In Dresden findet er auch seine Heimat. Das verwundert nicht, de Maizière passt in die Stadt von Frauenkirche und Semperoper wie ein Punk ins Berlin-Kreuzberg der 80er. Er ist ein klassischer Bildungsbürger. Einer, der Bach und Brahms hört, seinen Sohn in den Kreuzchor schickt und auf dem Evangelischen Kirchentag Bibelarbeit leistet. Heute pendelt de Maizière zwischen Berlin und Dresden. Ein Grund, warum er erst jetzt zu Anne Will kam, war auch, dass ihm der Sonntag bei Frau und Kindern heilig ist.
Zum Pendler wurde de Maizière durch Angela Merkel. Sie kennen sich seit der Wende. Am Abend des 18. März 1990 kommt es zu einem folgenreichen Treffen. Thomas de Maizière feiert mit seinem Cousin Lothar den Erfolg der CDU bei der Volkskammerwahl im "Ahornblatt". Später schauen sie im Gasthaus "Mühle" in Prenzlauer Berg vorbei, wo der "Demokratische Aufbruch" sein katastrophales Ergebnis verdaut. Mit dabei: Angela Merkel. Sie kommt auf die de Maizières zu und sagt: "Vergesst uns nicht."
Das haben sie nicht. Als wenig später eine Vizesprecherin für die letzte DDR-Regierung gesucht wird, bringt Thomas de Maizière Merkel ins Gespräch. In den Monaten danach entsteht ihr tiefes Vertrauensverhältnis.
Als Merkel de Maizière 15 Jahre später ins Kanzleramt holt, macht er dort das, was er am besten kann. Er sei ein "sicherer Garant für effizientes Arbeiten" gewesen, urteilt Ex-Regierungssprecher Steg. Beim Regierungswechsel 2009 legt de Maizière dann sein Schicksal ganz in die Hände Merkels: Viele waren davon ausgegangen, dass er Finanzminister wird, schließlich hatte er bei den Koalitionsverhandlungen für die Union die Arbeitsgruppe Steuern und Finanzen geleitet. Er wird Innenminister.
De Maizière schlägt einen anderen Kurs ein als seine Vorgänger. Selbst unter Oppositionspolitikern hört man in den Wochen danach viel Wohlwollendes. De Maizière sei vermutlich der menschlich angenehmste Innenminister, "10-mal angenehmer als Schäuble, und 100-mal angenehmer als Schily", sagt einer von der SPD.
De Maizière suchte sich ein neues Feld, auf dem er glänzen will: die Internetpolitik. Gelungen ist ihm das allerdings nicht.
Er hatte Leute vom Chaos Computer Club, Blogger und Internetaktivisten zum Dialog eingeladen. Im Juni hält de Maizière dann im Deutschen Technikmuseum in Berlin eine Rede, die grundsätzlich sein soll, es ist der 100. Geburtstag des Computererpioniers Konrad Zuse. Doch statt Bahnbrechendem präsentiert de Maizière trockene Juristerei. Die einzige Idee, die hängen bleibt, ist das mit dem digitalen Radiergummi. De Maizière fände es gut, wenn das Internet vergesslich wird. Das hat Charme, mehr aber auch nicht. "Viel Theorie, wenig Konkretes", klagt ein Teilnehmer. "Man denkt sich am Ende: what the fuck."
Nach einem Jahr ist de Maizière dann doch auf dem Feld gelandet, das er am liebsten umschifft hätte: derTerrorabwehr. Auch hier sind ihm Fehler unterlaufen, die einen Perfektionisten wie ihn wurmen müssen: Merkel erfuhr erst durch den britischen Premier von der Jemen-Paketbombe und nicht von ihrem Innenminister. Sie war richtig sauer. Und dann war da noch die Bombenattrappe, die von Namibia nach München reisen sollte. De Maizière brauchte 27 Stunden, um Entwarnung zu geben, obwohl es schon früher Hinweise auf einen möglichen "Testkoffer" gab.
Am Ende aber wird entscheidend sein, wie die Sache mit dem angeblich geplanten Anschlag ausgeht. Von einem "politischen Elchtest" ist in den Medien nun die Rede.
Schon jetzt ist de Maizière Merkels wichtigster Minister. Als es vor wenigen Wochen so aussah, als würde Finanzminister Wolfgang Schäuble aufhören, gab es nur einen ernsthaften Kandidaten für den Job: de Maizière. Das zeigt, wie wichtig er geworden ist. Es zeigt aber auch, wie sehr Merkel zugelassen hat, dass ihre Partei personell ausdünnt. Jetzt fragen die ersten sogar, ob de Maizière zu Höherem taugt. De Maizière Kanzler? Das kann man sich dann doch nicht so recht vorstellen. "Er ist kein Volkstribun", sagt der sächsische CDU-Mann Flath.
Zweimal schon hätte de Maizière sächsischer Ministerpräsident werden können. 2002 wollte ihn Kurt Biedenkopf zum Nachfolger machen, de Maizière wollte aber keine Kampfkandidatur gegen Georg Milbradt. Sechs Jahre später ging es um die Nachfolge von Milbradt - und wieder kniff de Maizière. Wenn er unbedingt gewollt hätte, sagen manche, hätte er bei einer Klüngelrunde im April 2008 den Job bekommen können. Merkel aber wollte nicht, dass de Maizière das Kanzleramt verlässt, und de Maizière habe sie nicht im Stich lassen wollen, heißt es.
Vielleicht fehlt de Maizière auch der Killerinstinkt. Vielleicht hat er aber auch Angst, vollends zur öffentlichen Person zu werden. Schon jetzt sei ihm aufgefallen, dass ihn die Leute in Berlin anders anschauten, sagt de Maizière. Er wolle nicht irgendwann mit Baseballmütze und Sonnenbrille aus dem Haus gehen müssen.
Im Innern ist er immer noch der Mann im Maschinenraum.
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